[211] 50. Wie das Flugschiff nach Ponape kam

Es waren einmal zwei Männer, die hießen Naneken und Schauenpok und wohnten in der Landschaft Kitti auf Ponape. Eines Tages besuchte Naneken den Schauenpok und lud ihn ein, am nächsten Morgen mit auf den Fischfang zu gehen. Schauenpok sagte ja. Sie legten dann ihr Fischereigerät zurecht und fuhren am andern Morgen auf den Fang. Gegen Abend kamen sie auf eine kleine Insel. Sie rasteten dort, und Naneken, den die Anstrengungen des Tages sehr müde gemacht hatten, schlief bald ein. Als Schauenpok es bemerkte, schob er vorsichtig das Boot, in dem Naneken eingenickt war, ins Wasser. Der Habgierige wollte nämlich alle Fische für sich allein behalten. Das Boot trieb auf das hohe Meer hinaus, und als Naneken erwachte, da sah er rings um sich herum nur Wasser und nirgendwo eine Spur von Land. Er war aber guten Mutes und nahm einen Kokoswedel aus dem Boote. Als er damit das Orakel befragte, verkündigte es ihm einen günstigen Ausgang seiner Irrfahrt.

Plötzlich kam eine kleine braune Möwe herbei; die nahm das Boot in den Schnabel und trug es durch die Lüfte weit fort in ein fernes Land. Dort setzte sie das Boot im Wipfel eines Mangrowenbaumes ab. Naneken stieg aus und kletterte den [211] Baum hinab; mit den Füßen klammerte er sich dabei am Stamme fest.

Nun wohnte unten zwischen den Wurzeln eine kleine Krabbe; und als Naneken ihr zu nahe kam, öffnete sie ihre Scheren und zwickte ihn tüchtig in die Zehe. Er zog schnell die Beine hoch und wunderte sich nicht wenig, als die Krabbe ihn aufforderte, doch ruhig herabzusteigen. Schließlich tat er es, und die Krabbe führte ihn in ihr Haus. Dort bewirtete sie ihn und beide befragten darauf das Kokosblattorakel, das ihnen den Rat gab, Naneken solle sich lieber unter dem Baume verstecken. Es geschah; und bald danach kamen die Söhne der Krabbe nach Hause; es waren Riesen, die gern Menschen fraßen. Sie riefen: »Mutter, hier riecht es! Hier riecht es nach Menschen! Wo steckt der Kerl? Woher ist er gekommen?« Die Krabbe antwortete: »Was fragt ihr mich danach? Ihr kommt jeden Tag unter Menschen, und jetzt erkundigt ihr euch bei mir nach Menschen?« Sie ließen jedoch nicht mit fragen nach, bis sie zuletzt zu ihnen sagte: »Wenn ich euch nun einen zeige, freßt ihr den auch auf?« Da erwiderten die Riesen: »Aber Mutter! Wenn du einen Menschen bei dir aufgenommen hast, werden wir ihn dir doch nicht auffressen.«

Jetzt rief sie den Naneken herbei. Die Riesen tanzten und spielten mit ihm, bis sie alle herzlich müde waren. Dann legten sie sich hin und schliefen bis in den hellen Morgen hinein.

Als sie aufgestanden waren, sagte die Krabbe, sie wolle ihnen ein Fest geben. Alle freuten sich darüber. Welche richteten den Herd her, und welche gingen fischen. Als sie zurückkamen, trugen sie alles in das große Versammlungshaus. Die kleine Krabbe ging dann zur Tür hinaus und sagte zum Naneken: »Komm her, aber setze dich nicht hier unten hin; da sitzt das gemeine Volk; komm hierher auf die Galerie, wo die vornehmen Leute ihre Plätze einnehmen. So, nimm die beiden Steine und werfe damit die Leute. Wenn du wirfst, kommen die Steine immer wieder in deine Hand zurück. Die [212] Leute sollen Ehrfurcht vor dir bekommen, und meine Söhne werden sich freuen, daß sie einen so tüchtigen und starken Bruder bekommen haben.«

Naneken tat, wie ihm die Krabbe geheißen hatte; und das Fest ging fröhlich zu Ende.

Am anderen Morgen gingen sie alle wieder zum Fischen; nur Naneken blieb mit dem jüngsten Sohn als Einhüter zurück. Naneken schaute sich im Hause um und fragte den jüngsten Sohn: »Was hängt dort an der Wand?« Der Jüngste antwortete: »O, einige Fliegebeutel! Willst du einmal einen versuchen?« – Darauf stiegen beide in einen hinein und flogen fort. Naneken hatte bald genug und schrie: »Bring ihn doch wieder an seinen Platz!« Da brachte der andere ihn wieder zurück und hing ihn an der Wand auf. Sie setzten sich hin, und weil sie sich langweilten, suchten sie sich einander die Läuse ab. Als sie damit fertig waren, wollte der Jüngste schlafen; er legte sich nieder und schlief bald ein. Jetzt schlich Naneken nach den Fliegebeuteln und schlug sie alle bis auf einen entzwei; in diesen stieg er hinein und flog fort. Von dem Geräusch wachte der Jüngste auf. Er sah, daß Naneken entflohen war. Und schnell stieg er in einen anderen Fliegebeutel hinein; er fiel jedoch sofort hindurch, denn Naneken hatte sie alle zusammen zerstört. Schließlich entdeckte er noch ein altes gebrechliches Fahrzeug; er stieg hinein und sagte: »Fliege schnell, mein Fliegebeutel1, fliege schnell! Wir wollen den anderen einholen!« So flog er hinter dem Naneken her, und als sie über der Stelle angelangt waren, wo die Riesen fischten, holte er ihn beinahe ein. Nach unten sauste der Fliegebeutel, und nach oben schwirrte der Fliegebeutel und flog unter dem Naneken weg. Nach unten sauste der Fliegebeutel des Naneken, und nach oben schwirrte der Fliegebeutel des Naneken und vernichtete das Fahrzeug des Jüngsten. Der fiel durch seinen Fliegebeutel und stürzte mitten zwischen den Riesen ab. Er stand aber bald wieder auf, strich sich über die Augen und rief seinen Brüdern zu: »Kommt, [213] wir wollen ihn fangen und fressen, ehe er uns wegläuft!« Sie warfen mit Steinen hinter ihm her, doch sie trafen ihn nicht. Naneken entkam und landete in Telou auf Ponape. Er stieg aus seinem Fliegebeutel und versteckte ihn unter einem Stein. Dann ging er ins Land hinein und nach seinem Hause. Als die Kinder ihn kommen sahen, riefen sie: »O, Papa Naneken ist wieder da!« Das mochte Schauenpok jedoch nicht hören. »Still, Kinder, still!« sagte er, »schwatzt nicht und nennt nicht den Namen eines Toten!« Die entgegneten jedoch: »Schwatz du nicht, da kommt der leibhaftige Naneken!« Schauenpok vertrug sich wieder mit Naneken und gab ihm auch seine Frau wieder, die er ihm während seiner Abwesenheit gestohlen hatte.

Eines Tags besprachen sie sich wieder und wollten nachts auf den Fischfang gehen. Sie machten ihr Gerät fertig und fingen dann viele Fische. Sie trugen den Fang in das Haus des Schauenpok, brieten die Fische und aßen sich satt. Schauenpok legte sich darauf zum Schlafen hin. Nun röstete Naneken noch einen Fisch und zog ihm die Haut ab. Er breitete sie über Schauenpok aus und hetzte dann die Hunde darauf. Die fielen darüber her; sie zerrissen und zerfleischten den Schauenpok, daß er noch in derselben Nacht sterben mußte. Naneken war gerächt.

1

Wörtlich et en pir = Beutel für fliegen = Fliegebeutel.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 211-214.
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