[214] 51. Die Geschichte von der Rohrdrossel

Einst gab es außer der Rohrdrossel keine Vögel auf Nauru. Sie wurde manchmal zum Menschen. So gibt es eine Erzählung von einem Manne im Himmel, namens Auuitimaio, und einem Mann auf Erden, der Amurin hieß; seine Frau war Eakeno. Auuitimaio hatte sich in Eakeno verliebt und wollte sie gern zur Frau haben. Er ließ daher eines schönen Tages ein Netz mit schönen Sachen vom Himmel herab, um damit die Frau herbeizulocken [214] und einzufangen. Die Frau sah wohl die schönen Dinge; aber sie nahm sie nicht, denn sie traute ihnen nicht und fürchtete sich davor. Da ließ Auuitimaio drei wunderschöne glänzende Fische herab; und als die Frau hinzuging, da zog er schnell das Netz zu und in den Himmel, wo er sie zu seiner Frau machte.

Amurin war sehr betrübt und weinte, weil seine Frau ihn verlassen hatte. Er ging an den Strand und bohrte vor Kummer Löcher in den Sand. Der Krebs hörte sein Klagen; er saß unterm Sande und rief dem Amurin zu:


»Amurin oho! Amurin oho!

Verletze mich nicht, verletze mich nicht,

Du berührst schon meinen Rücken

Du tust mir ja weh!«


Der Krebs fuhr fort: »Amurin, weshalb kamst du hierher? Warum weinst du?« Der Gefragte antwortete: »Ich bin so traurig, weil man mir meine Frau gestohlen hat.« »Nun, ich will dir helfen,« sagte der Krebs. – Sie fertigten sich aus Schnüren eine Schleuder und schlichen sich leise nach einem Haufen welken Laubes. Dort saßen zwei Rohrdrosseln. Sie fingen die beiden Vögel, krochen in sie hinein und flogen damit in den Himmel. Da saß Auuitimaio und neben ihm Eakeno; und der Mann hatte seinen Kopf in den Schoß der Frau gelegt. Die beiden hüpften vorsichtig näher; einer flog auf eine Palme und der andere auf den Hauszaun. Dann redeten sie miteinander und sagten:


»Tiri, tiri, tiri

Tira, tira, tira

Eakeno, Eakeno oho!

Komm zu uns beiden,

Damit wir wieder hinabsteigen!«


Als die Frau sie so reden hörte, wurde sie sehr böse, denn es schickte sich nicht, sie in Gegenwart von Fremden mit ihrem Namen anzusprechen. Sie jagte die Vögel mit einem Stocke fort; die beiden flogen weiter und ließen sich auf einem Pfosten in der Nähe des Hauses nieder. Als die Frau das [215] Paar hier ebenfalls vertreiben wollte, ergriffen die beiden Eakeno, nahmen sie zwischen sich in ihre Mitte und flogen wieder zur Erde hinab. Und alle drei lebten fortan beieinander.

Als Auuitimaio eines Tages wieder ein Netz herabließ, um sich die Frau wiederzuholen, eilten die beiden Männer hinzu und zerrissen es. Und seitdem hat Auuitimaio nie wieder ein Netz hinabgesandt.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 214-216.
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