Der Wehrwolf.

[120] Ein Waldweibchen verliebte sich einmal in einen Jäger, der aber wollte nichts von ihr wissen und daher schwur sie ihm Rache. Als sie ihm begegnete, sagte sie ihm, daß er bei dem ersten Schusse, den er noch thue, in einen Wehrwolf verwandelt werden würde. Der Jäger achtete nicht darauf und als ihm ein schöner Hirsch in den Wurf kam, schoß er ihn nieder.[120] Allsogleich war er in einen Wolf verwandelt. Nichtsdestoweniger blieb ihm das Verlangen nach menschlicher Speise. Er vertrieb also Hirten und Holzhauer und aß ihr Brod und ihren Käse.

Des Jägers Geliebte trauerte lange um den Jäger. Als sie nun einmal in der Schenke saß und zusah, wie die Andern tanzten, stürzte ein furchtbarer Wolf in den Saal und entführte das Mädchen. Ein Jahr lang lebte nun der Wehrwolf mit seiner Geliebten im Walde, bis sie vor Gram endlich starb.

So trieb er sich dreiunddreißig Jahre im Walde herum. Nach dieser Zeit aber, als er eines Tages aus dem Schlafe erwachte, sah er, daß er ein Mensch geworden sei. Sogleich gieng er ins Dorf, wo er früher gelebt hatte und mischte sich unter die Leute, die dort eben ein Fest feierten. Niemand erkannte ihn, denn er war ein alter Mann geworden. Da gab er sich seinen alten Freunden zu erkennen und nachdem er ihnen sein Schicksal erzählt hatte, sprang er als Wolf wieder davon und lief heulend dem Walde zu.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 120-121.
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