IV.
Die weiße Jungfrau.

[32] Die Göttin des Frühlings und der Liebe hieß bei den Böhmen Lada. Bei den Frühlingsfesten wurde ihr Name vorzugsweise angerufen und in den Liedern gefeiert. Wo unter dem kühlen Schatten einer Eiche oder Linde ein lebendiger Quell hervorsprudelte, dort dachte man sich am liebsten den Aufenthalt dieser Göttin im Sommer und wallfahrtete dorthin, um an ihrer Quelle zu beten und ihr Opfer darzubringen. Der Name dieser Göttin hat sich noch in den böhmischen Sagen beinahe unverändert erhalten. In ihnen erscheint sie als die weiße gütige Jungfrau Lida, die im Brunnen wohnt und nur in mondhellen Nächten hervorkommt, um ihren Erlöser zu suchen. Noch immer wallfahrtet man zu ihrem Brunnen, und bittet um Heilung für die Kranken oder um Aufschluß über die Zukunft. Insbesondere befragen sie Liebende, wie bald man ihnen den Brautkranz winden werde.

Eine andere jungfräuliche Göttin der Böhmen war die Göttin Děvana, die Tochter des Donnergottes Perun und der Letnice. Der alte böhmische Glossator Wacehrad vergleicht sie[33] mit der Diana und die heutigen Wenden kennen noch heute eine Waldgöttin, ein schönes junges weibliches Wesen, welches mit einem Geschosse versehen in den Wäldern umherstreift und von ihnen Dziwica genannt wird. Die schönsten Jagdhunde bilden ihre Begleitung und schrecken nicht nur das Wild, sondern auch die Menschen, die sich um die Mittagszeit im Walde befinden. Doch soll sie auch in mondhellen Nächten das Geschäft der Jagd betreiben. Auf diese Jagdgöttin bezieht sich wol die Sage von der heidnischen Jungfrau zu Glatz, die unten aus Prätorius mitgetheilt ist, so wie die Sage von der Jägerin Scharka in Böhmen. Hanuš deutet die Děvana als die Göttin des Lichtes. Im Winter ist das Licht in trübe Wolken gehüllt, die Göttin Děvana ist in dem Wolkenberge verbannt und harrt dort auf den Erlöser, der sie im Frühlinge befreien soll. Daraus sind die Sagen von den weißen Jungfrauen entstanden, die im Berge wohnen und sammt den Schätzen, die sie hüten, ihrer Erlösung harren, wie die Herzogin Libussa im Felsen bei Kauřim. Hieher gehört auch die Sage von der Jungfrau auf der Ringelkoppe und ihrem Hemde, bei dessen Vollendung der jüngste Tag einbricht.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 32-34.
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