VI.
Die weiße und die schwarze Frau.

[65] Allgemein ist in Böhmen der Glaube an die Todesfrau. Sie erscheint bald weiß mit schwarzen Handschuhen oder schwarz mit weißer Feder. Es ist die alte Todesgöttin der Heiden. Bei den Deutschen hieß diese Todesgöttin »Hel« und wurde halb schwarz und halb menschenfarbig geschildert; bei den Böhmen nannte man sie Morana (nach Wacehrad so viel als Hekate, nach Rozkochans Grammatik: Diana). Daher sagt man noch heute von Schwerkranken: »Mořana na něj sáhla,« Die Morana hat nach ihnen gelangt, sie sind zum Sterben. In den Liedern, welche am Todsonntage beim Todaustreiben gesungen werden, heißt sie auch: Mařena, Todmädchen (Smrtholka) und Todbringerin (Smrtonoška). Es erklärt sich daher, daß das Erscheinen der weißen oder schwarzen Frau einen Todesfall anzeigt. Die bekannteste Sage dieser Art ist die Sage von der weißen Frau bei Neuhaus, der der gelehrte Jesuit Balbin in seinen Miscellaneen eine eigene Abhandlung gewidmet hat. Da diese Sage schon zu vielfach erzählt ist, so ist sie hier übergangen worden. Im Gegensatze zu der gewöhnlichen Meinung aber, daß die weiße Frau von Neuhaus bereits erlöst und in[66] die Wohnung der Seligen aufgenommen sei, erzählt man in Budweis, daß eine fromme Jungfrau sie erst vor 20 Jahren wieder gesehen habe und von ihr in einen unterirdischen Gang geführt worden sei. In jenem Gange soll ein ungeheurer Schatz liegen, der aber wird nicht früher gehoben werden, als bis Neuhaus gänzlich abgebrannt oder durch Kriege zerstört sein wird. (Jos. Schimann aus ...)

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 65-67.
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