VIII.
Weiße Jungfrauen.

[86] Die Wolken waren den Heiden der Sitz weißer Frauen, welche der Erde ihre himmlische Milch, den Regen, spendeten. Daher heißen noch heute in Böhmen die Wolken baby (Großmütterchen) und wenn ein Gewitter im Anzuge ist, so sagt man báby vstávají, die Altmütter erheben sich. Die weißen Jungfrauen in den nachfolgenden Sagen sind nun ebenfalls solche Wolkenfrauen. Wenn sie auf Bergen wohnen, so erklärt sich das daraus, daß die Wolke von den Naturvölkern auch als Berg gedacht wurde. Diese Wolkenfrauen erscheinen häufig als Wäscherinnen, die nach dem Regen ihre Wäsche, das lichte Gewölk, aufhängen oder im Mondschein ihr schönes Linnen bleichen. Die Wolke galt aber den Heiden auch als Brunnen; daher wohnen die weißen Jungfrauen, wie auf Bergen, so auch in Brunnen. In jenem Brunnen befanden sich nach einem weiteren heidnischen Glauben die Seelen der ungeborenen Kinder, die von dem Storche abgeholt und auf die Erde gebracht wurden. Daher traten die Wolkenfrauen auch zur Geburt des Menschen in Beziehung und es erklärt sich, daß sie den[87] Wöchnerinnen beistehen. Aus der Zahl der Wolkenfrauen traten später insbesondere drei hervor, das sind die Schicksalsgöttinnen (sudičky), die bei der Geburt des Kindes erscheinen und über sein künftiges Schicksal, Heirath und Tod, urtheilen.

Quelle:
Grohmann, Josef Virgil: Sagen-Buch von Böhmen und Mähren. 1: Sagen aus Böhmen, Prag: Calve, 1863, S. 86-88.
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