[142] 30. Der faule Lars, der die Prinzessin bekam

Es waren einmal ein Paar sehr arme Leute, die wohnten nicht weit von des Königs Schloß. Sie hatten nur einen Sohn, und mit dem war nicht viel Rares, denn er war so erschrecklich faul, daß unter seinen Füßen das Gras gemächlich Zeit hatte zu wachsen; wo man ihn sitzen hieß, konnte man gewiß sein, ihn wiederzufinden. Er hieß Lars, und deshalb wurde er niemals anders als der faule Lars genannt.

Seine Eltern waren jeden Tag auf Arbeit im Schloß oben. Die Mutter half in der Küche, und der Vater im Garten. Die ganze Zeit über blieb Lars daheim und faulenzte und wurde ein richtiger Faulpelz.

Da geschah es eines Mittags, daß seine Mutter nach Hause kam, um das Essen für sich und den Burschen zu richten. Sie wollte gerade den Topf übers Feuer hängen, aber da fehlte das Wasser im Haus. Einen Brunnen hatten sie nicht, sondern sie mußten das Wasser von einer Quelle drüben auf der anderen Seite des Schlosses holen.

Da sagte die Mutter: »Hör, du fauler Lars, spring schnell hinüber und hole ein bißchen Wasser von der Quelle, sonst bekommst du kein Mittagessen.«

»Ich gehe schon, Mutter«, sagte Lars; aber er blieb genau da sitzen, wo er saß. Da sagte sie es noch ein mal, und er gab dieselbe Antwort, aber rührte sich durchaus nicht vom Fleck. Da wurde die Mutter zornig und griff nach dem Schürhaken, um dem faulen Lars eins überzuziehen, und jetzt [142] mußte er sich doch erheben. Er nahm einen alten breitrandigen Hut und einen alten eisernen Kessel, dem die Füße abgeschlagen waren, und so zog er ab. Aber es ging nur langsam, denn es war sehr heiß an dem Tag, und alle Augenblicke drehte er den Kessel mit dem Boden nach oben und setzte sich eine Weile darauf.

Wie er nun am Schloß vorbeizog, traf es sich, daß die Königstochter, die junge, muntere Prinzessin, oben am Fenster saß, und als sie den faulen Lars erblickte, den sie gut kannte, und die Reise sah, die er mit seinem Kessel aufführte, da mußte sie sehr lachen und rief zu ihm hinunter: »Wo willst du hin, fauler Lars?« – »Zur Quelle, Wasser holen«, rief er.

»Beeil dich, fauler Lars, sonst läuft dein Kessel ohne Beine dir voraus!« rief sie wieder.

Nein, damit hätte es keine Gefahr, meinte Lars.

»Du brauchtest bald einen Buben, der dir hilft, den Kessel tragen, du fauler Lars!« rief sie übermütig.

Da ärgerte sich Lars, daß sie ihn so zum Narren hatte, und sah zum Fenster hinauf. Aber ein so schönes Mädchen hatte er noch nie gesehen, und er war so verblüfft, daß er stehenblieb und mit offenem Munde zu ihr hinaufglotzte. Aber da lachte sie noch viel mehr über ihn und rief: »Mach deinen Mund zu, fauler Lars, dein Herz wird sonst kalt!« – Da nahm Lars die Beine unter den Arm und ruhte nicht, bis er zur Quelle kam.

Hier nahm er einen Strick, band ihn an die Henkel des Kessels und senkte ihn in den Brunnen. Der Kessel füllte sich auch mit Wasser, aber als er ihn wieder heraufzog, da war ein Frosch darin und der konnte reden. So etwas hatte Lars noch nicht gesehen. Er setzte den Kessel zu Boden und schaute verwundert den Frosch an. Der bat ihn gar schön, ob er nicht wieder in die Quelle hinunter dürfe. Doch der faule Lars sagte, daraus könne nichts werden, denn das sei ihm die doppelte Mühe. Aber der Frosch bat noch einmal gar fein und versprach dem Lars, daß ihm ein Wunsch erfüllt [143] werden solle, wenn er ihn wieder hinunter ins Wasser ließe.

Der faule Lars dachte, das sei so übel nicht. Er nahm seinen alten breitrandigen Hut und warf ihn aufs Gras und sagte, er wolle soviel Wünsche erfüllt haben, als Grashalme unter dem Hut verborgen seien, denn er dachte, das kommt aufs gleiche heraus, wenn man sich schon einmal die Mühe macht.

So durfte also der Frosch wieder in den Brunnen und war froh darüber.

Aber der faule Lars setzte sich neben seinen Krug, den er wieder gefüllt hatte, um in guter Ruh darüber nachzudenken, was er sich wünschen solle. Natürlich, dachte er, wollte er sich zuallererst wünschen, sein Kessel solle Beine bekommen und laufen, so brauchte er ihn nicht zu tragen. Dann würde die Königstochter auch nicht mehr über den Krug lachen und sagen, er habe keine Füße, und könnte auch ihn selbst nicht mehr aufziehen, daß er noch einen Burschen brauche, um den Kessel zu tragen.

Kaum hatte er seinen Wunsch ausgesprochen, so hatte auch der Krug schon Füße und tat, als ob er davonlaufen wollte; aber Lars ließ sich Zeit, er wollte sich nämlich auf noch einen Wunsch besinnen. Es wollte ihm aber nicht glücken, und so trotteten er und der Kessel denn davon. Er hielt sich an dem Strick fest, den er an den Kessel gebunden hatte, so daß er sich zur Hälfte ziehen ließ, und da sein großer breitrandiger Hut ihm zu schwer und warm wurde, hängte er ihn wie einen Deckel über den Kessel, der auf diese Art wie ein rechtschaffener Kessel Füße und einen Deckel bekam.

Wie er so wieder vor die Fenster des Schlosses kam, da saß die junge Prinzessin immer noch da, und als sie den Aufzug mit dem Kessel und dem Hut sah, der da mit dem faulen Lars ankam, da mußte sie lachen und lachte auch so furchtbar, daß ihr fast schlecht geworden wäre.

»Jetzt läuft dein Kessel von selbst, fauler Lars, und den Hut brauchst du auch nicht zu tragen!« rief sie, »jetzt solltest du nur noch einen Buben haben, der hinten schiebt!« –

[144] »Du selbst sollst einen Buben haben«, fuhr es dem Lars heraus, ohne daß er groß darüber nachdachte, was er sagte, weil er diese Neckerei satt hatte. Da machte die Prinzessin das Fenster zu, denn jetzt wollte sie nicht mehr mit dem faulen Lars sprechen.

Lars kam also gut heim mit seinem Kessel und bekam auch sein Mittagessen; aber er machte sich kein Kopfzerbrechen über weitere Wünsche; er fand, daß er nichts nötig habe, und so blieb es beim alten.

So verging die Zeit wie sonst auch, aber als fast ein Jahr vorbei war, da ging es auf dem Schloß kurios zu, denn die Prinzessin bekam eine schwere Krankheit. Man rief die Ärzte, aber die schüttelten ihre Köpfe und schrieben Rezepte, einer immer länger als der andere; aber das half auch kein bißchen. Da nahm die Mutter der Prinzessin das Mädchen unter vier Augen vor und redete lange mit ihr, aber die Prinzessin weinte und beteuerte ihre Unschuld, und die Königin glaubte ihr auch.

Darauf verging einige Zeit, und dann war gar kein Zweifel mehr, denn da kam, wie man sagt, ein kleiner Junge barfüßig zur Prinzessin gelaufen. Der rechtschaffene alte König war nah daran, aus der Haut zu fahren, daß eine solche Schande über sein Haus kom men sollte, und es wurde auch nicht besser davon, daß die Prinzessin schlechterdings nichts von einem Vater des kleinen Prinzen wissen wollte.

Wohl ober übel verging noch eine weitere Zeit, bis der vaterlose Prinz drei Jahre alt war; aber da sagte der König, daß er jetzt die Schande nicht länger dulden wolle, jetzt solle es bekannt werden, wer des Kindes Vater sei, und wer es auch sein möge, den solle die Prinzessin zum Mann bekommen.

Der König ließ also über das ganze Reich kundtun, daß alle Männer, die in seinem Land seien, groß und klein, an einem bestimmten Tag vor seinem Schloß zusammenkommen sollten; dann würden sie die Stimme des unschuldigen Kindes vernehmen, das da selbst seinen Vater herausfinden solle.

Der Tag kam, und ein großer Haufe Menschen, fein und [145] grob, strömten zusammen; es war ganz schwarz vor Leuten um das Schloß herum.

Die Mutter des faulen Lars kam an diesem Tag ein wenig früher als gewöhnlich heim, um das Mittagessen zu richten, und sie fand Lars wie gewöhnlich auf der Türschwelle sitzend, wie er sich's im Sonnenschein wohl sein ließ.

»Ich sag's ja«, rief sie aus, »hat mir mein fauler Lars an so einem Tag nichts andres zu tun als hier sitzen und Maulaffen feilhalten!«

Lars dehnte sich erst noch und fragte, warum sie das sage; und da mußte sie ihm erzählen, was oben am Schloß vor sich ging. Da meinte Lars, er sei so gut wie jeder andre, und schlenderte auch hin.

Als oben im Schloß der König den faulen Lars daherkommen sah, dachte er, jetzt könne man gewiß anfangen, denn man konnte sichergehen, daß Lars der letzte war, obgleich er am nächsten wohnte. Der kleine Prinz bekam also einen goldenen Apfel in die Hand, und der, dem er den Apfel gab, sollte sein Vater sein.

Das Kind ging lange hin und her mit dem goldenen Apfel in der Hand zwischen den vielen Leuten, als ob es nicht wüßte, was damit anfangen; aber schließlich erblickte es Lars, der zuhinterst in der Menge stand mit beiden Händen in den Hosentaschen, und da ging es auf ihn zu und streckte ihm den Apfel entgegen.

Lars übereilte sich nicht, sondern zog gemächlich die eine Hand aus der Hosentasche und nahm den Apfel. Aber da entstand ein Lärm ohnegleichen, so mißgönnten alle, groß und klein, arm und reich, dem Lars das Glück, das ihm zugefallen war. »Ja, die haben immer Glück, die weder lesen noch schreiben können«, hieß es, und der arme Lars wäre fast niedergetrampelt worden aus purem Neid. Aber er hielt doch den Apfel gut fest und kam endlich vor den König und die Königin und alle Minister.

Als der König sah, daß es der faule Lars war, der den Apfel bekommen hatte, da fand er, daß die letzte Blamage noch ärger sei als die erste. Er nahm die Prinzessin, schob [146] sie hin zu ihm und sagte, daß er niemals mehr etwas von ihnen in seinem Haus sehen wolle – wäre es ein schöner, feiner Mann gewesen, so hätte alles gut werden können, aber der faule Lars –!

Der König befahl also seinen Leuten, sie sollten Lars und die Prinzessin und das Kind nehmen und in einem Boot aufs Meer aussetzen, das östlich vom Schloß war, dann könnten sie ihren eigenen Kurs segeln und reisen, in welches Land sie wollten.

Des Königs Befehl wurde auch richtig ausgeführt, und Lars und die Prinzessin trieben, ohne zu wissen wohin, hinaus aufs wilde Meer. Der Abend kam, und die Prinzessin weinte herzhaft; aber Lars lag unten im Boot und konnte nur an sich selbst denken, denn es war das erstemal, daß er Wasser unter sich hatte, und es war ihm gar nicht um eine Seefahrt zu tun.

»Aber was sollen wir denn tun?« rief die Prinzessin. »Sag doch, Lars, was wir machen sollen!«

»Ja, was sollen wir wohl machen?« antwortete Lars, »ich weiß nicht, was wir machen sollen«, und so segelten sie weiter.

Nach einer Weile sagte die Prinzessin: »Aber so sag doch etwas, du fauler Lars, du liegst ja da und sagst kein Wort.«

»Ja, was soll ich denn sagen?« brummte Lars, »ich kann nichts sagen, als daß ich wollte, wir wären bald an Land!«

Kaum hatte er den Wunsch ausgesprochen, so lag eine schöne Insel mit Wäldern, Häusern, Menschen und Vieh vor ihnen.

Die Prinzessin war froh darüber, daß Lars endlich den Mund aufgemacht hatte, und jetzt, meinte sie, sei ja alles ganz einfach, da er so gut mit Wünschen umgehen könne. Jetzt brauchte sie ihm nur die Worte in den Mund zu legen, und er brauchte den Wunsch nur auszusprechen. Zuallererst mußte er wünschen, daß er ein richtiger Mensch würde und kein solches Faultier bliebe, wie er bisher gewesen war. Dann mußte er sich ein schönes Schloß wünschen, mit allem, was dazugehört. Kaum hatte er diese Wünsche ausgesprochen, so [147] war es, als käme auf einmal ein neues Leben in Lars, und mitten auf der Insel stand ein schönes Schloß, das schimmerte wie helles Gold. Darauf mußte Lars sich prächtige Kleider wünschen, Wagen und Pferde, Soldaten und vieles andere, und das war auch gleich zur Hand. – Ja, die Prinzessin wußte schon, was sie wollte.

Am nächsten Morgen, als der alte König aufgestanden war, ging er wie gewöhnlich hin ans Fenster, um übers Meer hinaus zu sehen. Das hatte er immer gern getan. Da erblickte er die schöne Insel, die da östlich von seinem Königsschloß lag, mit dem Schloß, das schimmerte wie helles Gold. Aber ob er seinen alten Augen traute? Nein, er nahm seine Brille und schaute noch einmal hin.

Freilich, die Insel und das Schloß lagen immer noch da, und das ging weit über des alten Königs Verstand. Er rief seine Leute und fragte, ob sie jemals zuvor etwas davon gesehen hätten. Sie rissen auch die Augen auf und meinten, das habe der Teufel in eigener Person ausgedacht, um sie zu narren, denn früher sei da ebensowenig eine Insel gewesen als Rosen auf einem Misthaufen.

Um Gewißheit über das Ding zu bekommen, ließ der König sein Schiff bereit machen und fuhr mit seinen Leuten hinüber auf die Insel. Wie er dort an Land stieg, stand da gleich vom Ufer bis ans Schloß hinauf eine ganze Reihe Soldaten, die präsentierten das Gewehr vor dem alten König, und das gefiel ihm nicht übel.

Als der König mit seinen Leuten endlich vor das Schloß kam, da trat ihm seine Tochter lächelnd entgegen. Sie fiel ihm zu Füßen und bat, er möge sie beide wieder in Gnaden aufnehmen, und sie wollten ihm auch gehorsame Kinder sein.

Der König war sehr verwundert, und seine Tochter mußte ihm berichten, wie das alles zugegangen war. Sie erzählte, wie sie gestraft worden sei, weil sie in ihrem Leichtsinn den faulen Lars verspottet hatte, ohne zu überlegen, daß vielleicht doch etwas mit ihm los sein könne; aber jetzt sei es ihr ganz recht, daß es so gekommen [148] sei, denn jetzt wolle sie keinen andern mehr haben als Lars: er sei jetzt nicht mehr wie früher, denn es sei Leben in ihn gekommen.

Da kam Lars heraus, und in den schönen Kleidern sah er so stattlich aus wie irgendein Königssohn. Er bestätigte, was die Königstochter gesagt hatte, und bat ebenfalls den König um Gnade.

»Ende gut, alles gut«, sagte der König, »die Welt ist wunderlich eingerichtet, aber die einander bekommen sollen, die bekommen einander doch.«

Also war alles in Ordnung. Sie feierten Hochzeit viele Tage lang und lebten glücklich miteinander. Und als der alte König starb, wurde Lars König und regierte viele Jahre mit seiner Königin das Reich.

Quelle:
Stroebe, Klara: Nordische Volksmärchen. 1: Dänemark - Schweden. Jena: Eugen Diederichs, 1915, S. 142-149.
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