1. Das Zauberroß

Es war einmal ein Vater, der hatte drei Söhne. Zwei von ihnen waren klug, aber der dritte war sehr dumm, er konnte weiter nichts als Kuchen aus Asche backen. Nun wurde eines Tages bekanntgemacht, daß der König seine Tochter verheiraten wolle. Er ließ mitten im Lande eine drei Klafter hohe Diele aufrichten und darauf ein kleines Häuschen bauen. Hier hinein setzte er seine Tochter, und wer mit dem Pferde hinaufspringen konnte, sollte sie zur Frau haben. Da strömte viel Volks dorthin, und die klugen Brüder des Aschenhans waren auch dabei. Der Aschenhans aber verstand von alledem nichts, denn er war zu dumm.

Nun begab es sich aber, daß die Brüder hinter dem Hause Weizen geschnitten hatten. Da kam der Teufel in der Nacht und stahl von dem Weizen. Als sie sahen, daß der Weizen weniger geworden war, schickten sie den Aschenhans die folgende Nacht auf den Acker als Wache. Der machte sich aus Gerten drei große Ringe und sprach dabei: »Bist du ein guter Geist, so bleibst du im ersten Ring hängen, bist du ein böser, bleibst du im zweiten hängen, und bist du der Teufel selbst, dann bleibst du im dritten hängen.«

Da sieht er, schon naht der Teufel mit Feuer. Eine halbe Werst senkt sich der Boden unter ihm. Wie er an das Weizenfeld kommt, schneidet er mit einem Wurf einen halben Morgen Weizen, der bleibt ihm unterm Arm hängen, und er läuft damit weg. Der Aschenhans springt ihm nach, wirft ihm einen Ring um den Hals und ruft: »Zerreiß den Ring, wenn du's kannst!« Und der Teufel zerriß ihn. Er warf ihm den zweiten Ring um den Hals: »Zerreiß auch den!« Und der Teufel zerriß auch den zweiten. Dann warf er ihm den dritten Ring zu und sagte: »Zerreiß auch den dritten!« Aber der Teufel sprach: »Das kann ich nicht!« – »Aha, das kannst du nicht, dann bist du gefangen.«

Und der dumme Hans ergriff den Teufel und sagte zu ihm: »Was zahlst du mir, wenn ich dich laufen lasse?« Der Teufel[5] sprach: »Ich gebe dir ein Pferd, das, wenn du von der einen Seite hineingehst und kommst aus der andern heraus und dann zum linken Ohr hinein- und zum rechten wieder herauskriechst, dich zum schönsten Manne der Welt macht.« Und der Aschenhans fragte: »Wo ist denn das Pferd?« Da pfiff der Teufel dreimal, da kam das Pferd. Aus den Nüstern blies es Feuer drei Klafter weit vor sich her. »Was befiehlst du, mein junger Herr?« fragte es den Aschenhans. Und der dumme Hans sagte: »Ei, gar nichts, ich wollte nur einen Versuch mit dir machen.« Er kroch ihm zum rechten Ohr hinein und zum linken kam er heraus, da war er so häßlich, wie er häßlicher nicht hätte sein können. Dann ging er durch die rechte Seite hinein und zur linken kam er heraus, und zum linken Ohr hinein und kam aus dem rechten heraus, da war er der schönste Mann von der Welt. Dann ließ er das Roß wieder laufen. Doch kaum war es verschwunden, so war er wieder so häßlich wie früher.

Er ging nach Hause, kroch auf den Ofen und backte dort Kuchen. Die andern Brüder hatten sich die Königstochter angesehen, und der Aschenhans fragte: »Ist es hübsch dort? Wenn ich doch auch einmal mitkäme!« Da sagten die Brüder: »Wer wird dich, Dümmling, wohl einlassen? Du bist so dumm, daß du den Menschen unter die Füße kommst.« Da sprach der Aschenhans: »Wenn ihr mich nicht mitnehmt, so denkt an mich.«

Als er am Morgen aufgestanden war, nahm er einen Rindenkorb in die Hand und ging in den Wald. Er versteckte seinen Korb unter einen Busch, pfiff zwölfmal und sprach: »Komm her zum dummen Hans, du flinkes Roß.« Und des Teufels Pferd kam. Der Aschenhans kroch ihm zum linken Ohr hinein und zum rechten kam er wieder heraus. Da war er der schönste Mann auf Erden. Dann machte er sich auch dahin auf, wo die Königstochter angestaunt und bewacht wurde. Dort angelangt, sprach er zu seinem Pferde: »Spring zur halben Höhe der Säule, spring nicht bis hinauf!« Aber das Roß lief zu und sprang über die Säule hinweg. Da staunte das ganze Volk. War das der Böse oder war es ein Mensch? Unglaublich schien es allen, daß das Pferd so hoch springen konnte. Dann machte sich der Aschenhans[6] auf den Heimweg. Unterwegs begegnete er seinen Brüdern, die auch von dort kamen, die drehten sich um und sagten: »Das war er.« Aber sie wußten nicht, daß es ihr dummer Bruder war. Wie er nun an ihnen vorbeikam, schlug er sie zweimal mit der Knute – erst den einen, dann den andern – so fest, daß ihnen die Haut vom Buckel fiel. Dann ging er in den Wald und ließ das Roß laufen. Danach wurde er wieder alt und häßlich wie zuvor. Er sammelte Teufelspilze und brachte sie nach Hause. Da lachte der Vater: »Du Tropf, du bist wahrhaftig nicht gescheit, die Pilze bringen ja den Tod, die Krötenpilze.«

Der Aschenhans aber kroch wieder auf seinen Ofen. Als die andern Brüder zur Tür hereinkamen, foppte er sie und sprach: »Haben die Hiebe gut getan?« Die Brüder sagten: »Sei still, oder wir prügeln dich.«

Am folgenden Tage gingen sie wieder dorthin, und der Aschenhans bat sie wieder, ihn mitzunehmen, doch sie taten es nicht. »Wartet nur, ihr werdet an mich denken«, sprach der dumme Hans zu seinen Brüdern, nahm den alten Rindenkorb und ging in den Wald, um Schwämme zu suchen. Aber er suchte gar keine Schwämme, sondern pfiff bloß zwölfmal, da kam sein Roß. »Was befiehlst du, mein junger Gebieter?« – »Wir machen heute einen großen Ritt.« Dann kroch er ihm zum linken Ohr hinein, zum rechten heraus und war ein so schöner Mann, daß es auf Erden nicht seinesgleichen gab. Er machte sich auf, zwei Werst weit sank der Boden unter ihnen ein, drei Klafter weit spie das Roß Feuer. Er kam hin und sprach zu dem Rosse: »Spring so hoch, daß ich der Königstochter die Hand geben kann.« Da sprang das Roß so hoch, daß der Jüngling der Königstochter die Hand geben konnte. Das ganze Volk war von Schrecken erfaßt, und sie sagten: »Das ist kein Christ mehr.« Dann machte er sich wieder auf den Heimweg. Unterwegs traf er die Brüder wieder. Als er an ihnen vorbeikam, schlug er jeden viermal mit seiner Knute, daß sie kaum nach Hause gehen konnten. Im Walde aber ließ er sein Roß laufen, und danach war er wieder ebenso dumm und häßlich wie zuvor, kroch wieder in die Asche und backte Kuchen.

Die Nacht schliefen die Brüder, aber am anderen Morgen zogen[7] sie wieder hinaus zur Königstochter. Er bat: »Nehmt mich auch zu dem Fest mit!« Doch die Brüder antworteten: »Da werden keine Dummen zugelassen.« – »Wenn ihr mich nicht mitlaßt, so kommt ihr nicht auf meine Hochzeit.« Da lachten die andern: »Auf wessen Hochzeit?« – »Nun, wenn ich die Königstochter heirate.«

Und er ging hinter ihnen her in den Wald, pfiff zwölfmal, da kam sein Roß. Er kroch ihm zum linken Ohr hinein, zum rechten heraus und war so schön, daß dem, der ihn sah, die Augen geblendet wurden. Er ritt durch das staunende Volk mit seinem Roß, und dann befahl er ihm hinaufzuspringen. Da gab er der Königstochter die Hand und einen Kuß. Sie drückte ihm ein Zeichen auf die Stirn und steckte ihm einen goldenen Ring an den Finger. In dem Ring aber stand ihr Name. – Dann sagte er dem Mädchen Lebewohl, und im Fluge ging es heimwärts. Im Walde ließ er das Pferd laufen, und er war wieder so dumm wie früher. Doch als er nach Hause kam, umwickelte er den Ring am Finger mit Pech, daß er nicht leuchten sollte, und verband sich den Kopf, damit der Stempel nicht glänzte. Da fragte sein Vater: »Warum bindest du dir die Stirn zu?« – »Mir tut der Kopf so weh«, antwortete der Aschenhans.

Nun, und dann machte sich das ganze Volk auf, um zu sehen, wie ihr der Bräutigam die Hand reichte. Alle hatten sich in Reih und Glied aufgestellt. Und die Königstochter schritt durch die Menge und suchte ihren Verlobten. Zwei Tage suchte sie nach ihm, aber sie fand ihn nicht. Da stieg der König auf den Tisch und rief: »Ist noch einer meiner Untertanen daheim?« Und die Brüder sagten: »Wir haben noch einen blöden Bruder zu Hause.« – »Dann bringt ihn hierher!« Die Brüder aber meinten: »Der kann überhaupt nichts.« Da schickte der König seinen Kutscher nach ihm aus, aber der Aschenhans ging nicht mit dem Kutscher. Der König ließ seine drei besten Rosse anschirren und schickte seinen eignen Bruder hin, um ihn zu holen, aber auch da kam er noch nicht, und des Königs Bruder kehrte wieder heim.

Danach sagte der Aschenhans zu seinem eignen Ofen: »Geh, Ofen, geh!« Und der Ofen ging durch die Tür und lief davon[8] wie eine Eisenbahn. Und er kam bis unter des Königs Fenster auf seinem eignen Ofen. Da lief ein alter Soldat hinter ihm her und riß ihm die Kleider vom Leibe. Und es rührte sich alles in des Königs Schloß, und sie wollten ihn festnehmen, aber sie kriegten ihn nicht. Er lief aufs Feld, pfiff zwölfmal, da kam sein Roß zu ihm. Flink kroch er ihm zum linken Ohr hinein und zum rechten heraus und ward ein schöner Mann, daß des Königs ganzes Schloß von ihm widerstrahlte. Als er zum drittenmal gegen das Schloß anstürmte, zerbrach er alle Fenster und sprang in die große Halle, wo die ganze königliche Familie beim Mahle saß. Und sie nahmen ihn mit Ehren auf. Dann feierten sie Hochzeit und lebten im Glück bis ans Ende ihrer Tage.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 5-9.
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