[50] 13. Der Besenbinder und der König

Es war einmal ein alter Mann, der konnte nichts weiter als im Walde Reiser schneiden und Besen daraus binden. Er lud sich eine Fuhre voll und machte sich damit nach der Stadt auf. Unterwegs begegnete ihm der König, aber er wußte nicht, daß es der König war. Und der König sprach zu dem Alten: »Nimm mich mit nach der Stadt, ich bezahle dir, was du willst!« Der alte Mann nahm ihn hinter sich in den Schlitten, und sie fuhren fort.

Als sie im Fahren waren, nahm der König alle Besen und warf sie aus dem Schlitten auf den Weg. Der alte Mann aber hatte nichts davon gemerkt, bis sie in die Stadt kamen. Als er da hinter sich in den Schlitten guckte, war kein Besen mehr da. Er fing an, den König zu schelten: »Warum hast du meine Besen fortgeworfen, du Lümmel, jetzt krieg ich kein Brot ins Haus.« Da sprach der König: »Verklag mich, wenn du willst!«

Da verklagte er ihn und erzählte auf dem Gericht, daß er ihn unterwegs auf den Schlitten genommen und in die Stadt gebracht habe und daß jener ihm zum Dank dafür alle Besen aus dem Schlitten geworfen habe. Da sagten die Gerichtsherren: »Er wird dich schon bezahlen, wenn er dir Unrecht getan hat.« Am nächsten Tage gingen sie beide aufs Gericht. Der König warf hundert Taler auf den Tisch, um die Gerichtsherren zu gewinnen, und sie sprachen den König frei – wußten aber auch nicht, daß es der König war.

Wie sie nun beide aus dem Gerichtshof kamen, der König und der alte Mann, sagte der König zum Alten: »Verklag mich noch[50] einmal, wenn du willst.« Und der Alte verklagte ihn zum zweitenmal, bei einem höheren Gericht. Da sagten sie ihm wieder: »Er bezahlt dich schon, wenn er dir Unrecht getan hat.« Am folgenden Tag wurden beide vor Gericht geladen, hier gaben sie dem König wieder recht und dem Alten unrecht, denn sie sagten: »Warum hast du ihn betrunken auf den Schlitten genommen?« Da verklagte ihn der Besenbinder zum drittenmal, bei der höchsten Gerichtsbarkeit. Der König aber gab wieder Geld, und sie richteten den armen Mann.

Dann gingen sie fort aus dem Gerichtssaal, und der König bestellte ihn zu sich ins Schloß. Er schenkte ihm achthundert Taler und sagte: »Geh jetzt nach Hause und mach dir ein gutes Segelboot! Dies ist der Lohn für die Arbeit. Dann flicht dreitausend Paar Rindenschuh und komm am Johannistag in die Stadt unten zur Brücke beim Schloß! Hier verkauf die Schuhe, doch das Paar nicht unter drei Talern!« Und der König veranstaltete am Johannistage ein großes Fest und gab den Befehl: »Alle müssen zu dem Fest in Rindenschuhen erscheinen«, und er machte bekannt, daß an dem Tage neben der und der Brücke welche zu kaufen seien.

Da verkaufte der Mann seine ganze Ware, denn die Kaufleute und alle andern liefen dahin, wo ihnen befohlen war zu kaufen. Alle kauften sich Schuhe, für drei Taler das Paar. So bekam der arme Mann reichlich wieder, was er an der Fuhre verloren hatte. Die Gerichtsherren aber wurden aus ihrem Dienst entlassen, weil sie ehrlos gerichtet hatten.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 50-51.
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