[16] 5. Beim Teufel in der Lehre

[16] In einem Dorfe lebten ein alter Mann und eine alte Frau. Sie hatten nur einen einzigen Sohn, den wollten sie etwas Ordentliches lernen lassen. Eines Morgens nahm der Vater seinen Sohn, und beide gingen zum Schloß. Unterwegs begegnetete ihnen der Böse, der fragte: »Wo willst du denn mit dem Jungen hin?« – »Ich bringe ihn ins Schloß, er soll etwas lernen.« – »Gib ihn mir in die Lehre«, sagte der Böse. Da fragte der alte Mann: »Wer bist du denn, und was soll er bei dir lernen? Ich will, daß mein Junge ein Schmied wird.« – »Ich bin ein Schmied«, sprach jener. – »Wo wohnst du denn?« – »Ich wohne hier.« – Da stand plötzlich ein großes Gehöft vor ihnen. Nun, da gab ihm der Alte seinen Sohn für fünf Jahre und ging nach Hause. Sie hatten aber abgemacht, daß er ihn während dieser fünf Jahre nicht besuchen dürfe. Er kam nach Hause, und da schalt die Mutter: »Warum hast du ihm den Jungen gegeben?«

Daraufhin ging er am nächsten Morgen wieder zum Schloß. »Ich hole den Jungen fort und geb' ihn anderswo in die Lehre!« Er kam zu der Stelle, wo sie sich getrennt hatten, ging durch das ganze Gehöft, fand aber niemand.

Fünf Jahre waren vergangen, die Lehrzeit seines Sohnes war zu Ende, und der Vater wollte ihn abholen. Als er sich aber aufmachte, flog ein Knäuel Garn zum Fenster herein, fiel auf die Erde, und auf einmal stand sein Junge vor ihm und sprach: »Vater, morgen kommst du, um mich abzuholen, aber sie geben mich dir nicht. Man läßt zwölf Tauben fliegen, und ich bin die dritte von links, da sollst du raten, welche dein Sohn ist. Wenn du es rätst, bekommst du mich, wenn nicht, so bleibe ich dort. Ich bin beim Teufel in der Lehre.« Dann verschwand der Knabe wieder als Knäuel, wie er gekommen war.

Am andern Morgen ging der Vater fort. Das Gehöft war groß. Da kam ihm der Böse entgegen und fragte: »Nun, willst du deinen Jungen holen?« – »Jawohl, das will ich.« – »Dann komm!« Und sie gingen zusammen weiter. Da ließ der Böse[17] zwölf Tauben fliegen und sprach zu dem Alten: »Wenn du deinen Jungen darunter herausfindest, kriegst du ihn.« Der Alte sprach: »Ich habe dir keine Tauben gegeben, du gibst mir jetzt den Jungen heraus!« Und der Böse antwortete: »Wenn du ihn nicht heraussuchen willst, mach, daß du fortkommst! Den Jungen kriegst du nicht.« Da sagte der Alte: »Die dritte von links ist mein Junge.« Aber der Böse sprach: »Heut' geb' ich ihn dir noch nicht, du mußt dreimal raten, bis du ihn bekommst.«

Der Vater ging nach Hause und erzählte seiner Frau alles. Das Fenster war offen, da flog wieder ein Ball herein und fiel auf die Diele, und es war wieder sein Sohn, der sprach: »Ach, Vater, morgen mußt du wieder raten. Es sind unser zwölf Knaben, davon sieht einer aus wie der andere, ich bin rechts von außen der zweite.«

Am Morgen ging der Vater fort. Wieder begegnete ihm der Böse und fragte: »Willst du heut' wieder raten?« Er nahm ihn mit, da standen zwölf Knaben in einer Reihe vor ihm. Der Alte sah sie an und sprach: »Von außen der zweite ist mein Junge.« Das war dem Bösen gar nicht recht, daß er es wieder geraten hatte, und er sprach: »Komm morgen noch einmal.«

Der Vater ging nach Hause, und als es Abend war, wartete er auf seinen Jungen, aber der Junge kam nicht. Der Böse hatte ihm eiserne Ketten um den Hals gelegt, die waren mit Schlössern zugemacht.

Als der Vater am dritten Tag zu dem Gehöft kam, wußte er nicht, woran er seinen Sohn erkennen sollte. Wieder begegnete ihm der Böse und nahm ihn mit. Er ließ zwölf Hengste daherspringen und tanzen. »Nun, erkennst du deinen Jungen?« Der Alte wußte nicht, wie er ihn herausfinden sollte, und sprach: »Mein Junge ist gar nicht dabei.« Da sagte der Teufel zum Knecht: »Jag den einen Hengst aus dem Stall.« Der war lahm auf allen vieren, nichts als Haut und Knochen, so elend war er. Der Böse fragte: »Ist das dein Junge?« – »Ja, das ist er«, antwortete der Alte. – »Du hast's geraten, das hätt' ich nicht gedacht. Nimm nun deinen Jungen und geh.« Aber im stillen ärgerte er sich, daß der Alte gescheiter war als er.[18]

Der Vater machte sich mit seinem Sohn auf den Heimweg. Da begegneten ihnen zwei Jäger, und vor ihnen flogen fünf Birkhühner auf. Die wollten die Jäger schießen. Da sprach der Knabe zu seinem Vater: »Ich mache mich zum Habicht und fange die Birkhühner, dann setze ich mich dir auf die Schulter, und du hebst die Birkhühner auf. Wenn die Jäger kommen und die Hühner kaufen wollen, verkauf sie ihnen. Dann wollen sie mich kaufen. Verkauf mich auch, aber nicht unter zweihundert Taler. Nur die goldenen Ketten um meinen Hals verkauf ihnen nicht.« Und es geschah so. Die Jäger kamen und kauften die Birkhühner, und dann wollten sie den Habicht von seiner Schulter haben. Den verkaufte er ihnen für zweihundert Taler.

Der Vater ging mit dem Geld nach Hause, aber kaum, daß er seine Kleider abgelegt hatte, war der Junge auch zu Hause. Sie wollten gut essen und trinken, aber dazu reichten die zweihundert Taler nicht lange. Und der Sohn sagte: »Vater, jetzt mach ich mich zu einem kleinen Vogel und setze mich dir auf die Peitschenschmitze. Nimm mich mit dir aufs Schloß und verkauf mich dort. Doch nicht unter hundert Taler. Die Peitsche aber verkauf nicht.« Als der Vater sich umguckte, sah er einen Vogel auf der Peitschenschmitze, der sang ganz vortrefflich. Er ging damit zum Schloß, und der Vogel sang die herrlichsten Lieder. Auf dem Wege begegnete ihnen die Köchin des Schlosses, die brachte ihn zu ihrer Herrschaft. Dort saßen sie beim Kaffee. Als der Vogel sang, fingen ihre Füße an zu tanzen, obgleich sie nicht wollten, und sie verschütteten den Kaffee und die Milch. Zwei Herren tranken Tee. Diese sprangen auf und wiegten sich, als der Vogel sang. »Komm her, komm her!« riefen sie dem Alten zu. Da ging er hin. »Wieviel willst du für den Vogel?« fragten ihn die Herren. Nun, da verlangte er hundert Taler. »Aber die Peitsche verkaufe ich nicht«, sprach er. Da nahmen sie den Vogel. Der Alte ging heim, doch der Junge war schon vor ihm da. Sie lebten eine Weile, bis das Geld auf die Neige ging. Da sprach der Knabe zu seinem Vater: »Unser Geld ist bald zu Ende. Ich mache mich zu einem schönen Pferd, du setzest dich auf meinen Rücken, reitest zum Schloß und verkaufst, mich, aber nicht unter zweitausend Taler.«[19]

Und der Teufel schlug in den Büchern nach, wo wohl der Junge jetzt wohnte, und er sah in dem Buche, wie der Junge die Menschen betrog. Da sprach er: »Ich gehe hin und kaufe das Pferd.« Vor ihm aber waren schon viel Käufer dagewesen, die einen hatten fünfzehnhundert Taler geboten, die andern weniger. Der Böse kam zu dem Alten und sprach: »Was soll das Pferd kosten?« Es war ihm aber gesagt »Das Pferd verkaufe ich, doch den Zaum nicht!« Der Alte sprach: »Zweitausend Taler.« Da gab ihm der Böse die ganze Summe, nahm das Pferd samt dem Zaum, schwang sich hinauf und ritt davon. Der Alte wollte den Zaum zurückhaben, aber der Böse gab ihn nicht.

Er ritt fort zu seiner alten Schwester. Die war aber nicht zu Hause. Da band er sein Pferd am Dachrand fest, so daß seine Vorderfüße die Erde nicht berührten. Er selbst streckte sich auf dem Lager seiner Schwester aus, um zu ruhen. Als diese nach Hause kam, sah sie das Pferd. »Ach, was für ein schönes Pferd, und wie behandelt er es! Hab' ich nicht Heu genug, um es ihm vorzuwerfen?« Sie ließ die Vorderfüße des Pferdes herunter und warf ihm Heu vor. Dann ging sie in die Stube und schalt den Bruder. Und der Bruder fragte: »Hast du die Vorderfüße des Pferdes auf den Boden gelassen?« – »Ja, das habe ich.« – »Nun, so wird es auf und davon sein.« Sie guckten nach, da war das Pferd weg, und der Bruder lief ihm nach.

Da machte sich das Pferd zum Vogel, und der Böse machte sich zum Habicht, und sie flogen fort zum Ufer des Meeres. Dort machte sich der Junge zum Fisch, zu einem Barsch, und der Böse machte sich zum Hecht, und so jagten sie einander nach. Der Barsch ist ein kleiner Fisch, er schoß in den Sand, und der Hecht ist groß, er schwamm vorbei, darüber hinaus und wurde müde. Wild vor Ärger, daß er ihn nicht bekam, ging der Teufel wieder nach Hause, und der Knabe blieb zurück.

Er ging zur Landungsbrücke, wo sie jeden Morgen für die Königstochter Wasser holten, womit sie ihr Gesicht wusch. Da machte er sich zum goldenen Ring und floß mit dem Wasser in den Eimer. Das Mädchen brachte das Wasser und sah den Ring. Es nahm ihn und probierte ihn an, an jedem Finger paßte er.[20] Es lief zur Königstochter und zeigte ihr den Ring. Und die Königstochter probierte ihn auch an. Er paßte ihr, und sie sagte: »Schenk mir den Ring.« Da mußte sie ihn der Königstochter geben. Am Tag war es ein Ring, aber in der Nacht verschwand er, und ein schöner Jüngling lag neben der Königstochter und schlief. Da erschrak die Königstochter, doch der Jüngling sprach: »Fürchte dich nicht, ich bin ebenso ein Mann wie dein Vater, der ist auch am Tag ein Ring und bei Nacht ein Mann.«

Der Teufel schlug in seinem Buch nach, wo der Junge wohl jetzt wohnen möge. Da sah er, wie er die Königstochter bezauberte. »Ich will ihm die Königstochter schon wegnehmen, wenn ich nur den Ring habe.« Und er warb um sie als ein stolzer Königssohn. Da sagte der Ring: »Gib mich heut' noch nicht fort!« Der Bräutigam wartete bis zum nächsten Tag, da kam er wieder. Aber in der Nacht hatte ihr der Ring gesagt: »Schenk mich nicht fort!« Da bat der Bräutigam: »Laß uns die Ringe tauschen!« Sein Ring war viel schöner als der der Königstochter. Und der König befahl seiner Tochter, daß sie den Ring tauschte. Da half nichts, sie mußte es tun. Sie riß den Ring vom Finger, warf ihn zu Boden und sprach: »Wenn er mir nicht gehören soll, so sollst du ihn auch nicht haben!« Und das Ringlein zersprang in Stücke. Die Königstochter sah hin, als sie aber zwei, drei Stücke zertreten wollte, kam ein Hahn – der Teufel hatte sich in einen Hahn verwandelt – und pickte die Stückchen auf. Doch während sie der Hahn aufpickte, kam unter dem Fuß der Königstochter ein Habicht hervor, der flog auf den Hahn und tötete ihn. Dann verwandelte sich der Habicht wieder zum Jüngling, der erzählte dem König, wie alles gekommen war. Er nahm die Königstochter zur Frau, und sie zogen aufs Schloß und hielten Hochzeit – und ich habe auf der Hochzeit Branntwein gekriegt.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 16-21.
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