[26] 8. Der starke Sohn des Schmieds

Ein Schmied hatte zwei Söhne, die wuchsen in drei Tagen zu Männern heran. Dann gingen sie mit dem Vater zusammen in die Schmiede, um Eisen zu schmieden. Der Vater nahm das Eisen, legte es auf den Amboß und befahl dem ältesten Sohn daraufzuschlagen. Der Sohn nahm den Hammer und schlug so fest zu, daß das Eisen in Stücke sprang und der Amboß in die Erde hineinsank. Da sprach der Vater zu ihm: »Ich fange keine Arbeit an, die meiner Kraft nicht entspricht.« Darauf sagten beide Brüder zu ihrem Vater: »Laß uns in die Welt ziehen, Vater!« Da ließ sie der Vater ziehen.

Sie gingen zusammen den Waldweg entlang, als ihnen ein alter Mann entgegenkam, der sich auf einen Stock stützte. »Hör«, sprach der jüngere Bruder zum älteren, »ich nehme dem Alten den Stock weg, wenn er an uns vorbeikommt.« Aber der ältere sprach: »Das tust du nicht, es ist unrecht, wenn du dem Wandersmann den Stock nimmst, wir werden auch alt und müssen im Alter am Stocke gehen.« Als nun der Alte an ihnen vorbeikam, fragte er die Burschen: »Was habt ihr eben miteinander geredet?« Und der ältere Bruder sagte: »Was wir geredet haben? Mein Bruder wollte Euch den Stock wegnehmen, aber ich habe es ihm verboten.« Da sagte der alte Mann zu ihnen: »Wenn ihr ein Stück hier weitergeht, seht ihr neben dem Weg einen großen Stein, den stoßt fort, unter dem Stein findet ihr zwei goldene Rosse.« – Der alte Mann aber war der Herrgott. – Da gingen sie hin und stießen den Stein fort, und sie bekamen beide goldene Pferde. Dann kamen sie an zwei Leichen, die sahen aus wie Tierleichen. Sie hoben die Leichen auf, denn der alte Mann hatte es ihnen befohlen und gesagt: »Sie werden euch zeigen, wer von euch beiden zuerst stirbt.« Da füllte sich die Leiche, die der ältere Bruder hielt, mit Blut.[26]

Danach setzten sie ihren Weg fort. Der Alte aber hatte ihnen gesagt: »Wenn ihr ein Stück gegangen seid, kommt ihr bald an zwei Wege, davon führt der eine ins Brotland, der andere ins Hungerland, in den kalten Norden.« Da gingen sie bis zu den Wegweisern und überlegten, welchem Wegweiser sie folgen sollten. Endlich sprach der ältere Bruder zum jüngeren: »Geh du ins Brotland, ich gehe ins Hungerland.« Und sie trennten sich. Der, der ins Hungerland wollte, wanderte hundert Werst, ehe ihm nur irgend etwas begegnete, kein Dorf – nichts. Und er fand nichts zu essen und war schon einen Tag und eine Nacht unterwegs. Aber nachdem er noch einmal fünfzig Werst gegangen war, kam er an eine Hütte. Dort lebten ein alter Mann und eine alte Frau. Er trat in die Hütte ein und bat: »Gebt mir etwas zu essen!« Da sagten die beiden: »Was sollen wir dir geben? Wir haben selbst nichts, wir leben, ohne zu essen.« Aber ein Stückchen Brot gaben sie ihm doch.

Danach ging er weiter. Da kam ihm ein Bär auf dem Wege entgegen, der sprach zu ihm: »Schieß mich nicht! Ich kann dir vielleicht noch einmal nützlich sein.« Er schoß ihn nicht, und der Bär lief hinter ihm her. Dann begegnete ihm ein Hund. Er legte an, um den Hund zu schießen, da sprach der Hund: »Schieß mich nicht, vielleicht kannst du mich noch einmal brauchen.« Da ließ er den Hund laufen, und der Hund lief hinter ihm her. Zuletzt begegnete ihm ein Fuchs. Er wollte den Fuchs schießen, aber der Fuchs sagte: »Warum geht das Volk zum Strande und weint?« fragte er den Gastwirt. Und der Gastwirt sprach: »Sie geleiten die Königstochter zum Ufer, damit sie der Teufel sich holt.« Da[27] fragte der Mann: »Was ist denn geschehen, daß sie die Königstochter dem Teufel bringen?« Und der Gastwirt erzählte: »Der König segelte mit seinem Schiff, lief auf eine Klippe auf und blieb sitzen. Und vom Grunde des Meeres stieg der Teufel empor und fragte: ›Versprichst du mir, was du selbst nicht kennst, so mach ich dich frei!‹ Da dachte der König: ›Mein ganzes Reich und meine eigene Familie kenne ich doch‹, und er sprach: ›Nun, es mag dir gehören, was ich nicht kenne.‹ Aber während er auf dem Meere segelte, war ihm daheim eine Tochter geboren worden, die kannte er nicht. So hatte er sein eigenes Kind dem Teufel versprochen. Deshalb führen sie heute die Königstochter zum Strande.« Da fragte der Mann den Wirt: »Kann ich noch hingehen, Bruder, und sie sehen?« Der Wirt antwortete: »Das könnt Ihr, wenn Ihr wollt.« Und er sprach zu dem Wirte: »Wenn ich hingehe und ausbleibe, so laßt meinen Hund und das Pferd los!« Dann ging er zum Strand, es war fast Mitternacht, und alles Volk kam schon zurück. Die Königstochter hatten sie dort gelassen – eine Tonne lag dort, da hinein hatten sie das Mädchen gesteckt.

Es war aber ein Junker, der liebte die Königstochter so, daß er in ihrer Nähe am Strande geblieben war, sich in die Krone einer Eiche gesetzt hatte, um abzuwarten, ob sie der Teufel wirklich holen würde. Das hatte der Jüngling gesehen. Er kam zum Strande und blieb bei dem Mädchen im Fasse. Als aber die Mitternachtsstunde schlug, stieg eine schwarze Wolke aus dem Meere auf, die Erde erzitterte, ein Wind erhob sich, und der Teufel kam daher. Er stellte sich vor die Tonne und sprach: »Wie viele sind denn da drin?« Dann fragte er den Jüngling: »Soll ich euch beide fressen oder nur einen?« Und der Jüngling antwortete: »Besser, du versuchst eine Zwiebel, damit du siehst, wie sie schmeckt.« Da sagte der Teufel: »Mit Worten bist du bei der Hand, laß sehen, was du für ein Mann bist!«

Unterdes wollte das Pferd schon die Stalltüre zerschlagen – denn der Wirt hatte vergessen, die Tiere herauszulassen –, da warf sie der Bär mit der Tatze zu Boden, daß es krachte. Und die Tiere kamen zum Strande. Da sprach der Teufel zum Jüngling:[28] »Wer soll kämpfen, lassen wir die Rosse kämpfen, oder kämpfen wir selbst miteinander?« Und der Jüngling antwortete: »Wir wollen die Rosse zuerst kämpfen lassen.« Da ließen sie die Rosse gegeneinander los. Und der Jüngling gab der Königstochter ein Messer und sprach: »Wenn dem Pferde die Riemen zwischen die Beine rutschen, so schneide sie entzwei.« Die Rosse aber kämpften so lange, bis das goldene Roß des Teufels Roß in Stücke zerriß. Da sprach der Teufel: »Jetzt laß uns kämpfen!« Und der Jüngling ging auf den Teufel zu und sprach: »Also los! Schlag du mich um die Ohren!« Da schlug ihn der Teufel um die Ohren, daß er bis an die Knöchel in die Erde sank. Und er sprach zum Jüngling: »Nun schlag du mich um die Ohren!« Der Jüngling schlug so heftig, daß der Teufel bis an die Knie in der Erde steckenblieb. Und zum zweitenmal schlug der Teufel den jungen Mann, daß er bis an den Gürtel in die Erde sank, und der Jüngling schlug ihn, daß nur noch der Kopf aus der Erde hervorsah. Dann hieb er ihm den Kopf ab, wälzte einen haushohen Stein auf den Platz, wo der Körper im Boden versunken war, und ging davon. Den Kopf aber steckte er in die Krone des Baumes, wo der Junker Wache hielt.

Dann ging er mit der Königstochter zusammen nach Hause. Und er sagte zu ihr: »Werde meine Frau, nimm keinen andern!« Und das Mädchen versprach es ihm. Er geleitete sie bis zum Schloß und kehrte danach in den Gasthof zurück. Der Junker aber war ihnen nachgelaufen, hielt die Königstochter an und sagte zu ihr: »Willst du meine Frau werden?« Da antwortete sie ihm: »Wie sollte ich wohl deine Frau werden? Du hast mich ja nicht gerettet.« – »Wenn du nicht mein Weib wirst«, sagte der Junker, »so töte ich dich hier auf der Stelle.« Aber das Mädchen dachte bei sich: ›Aus des Teufels Klauen bin ich befreit worden, so werde ich wohl auch aus seinen Händen loskommen‹, und ging nach Hause. Der Junker aber folgte ihr. Er kam zum König und sprach: »Du mußt mir deine Tochter zur Frau geben, denn ich habe sie aus den Klauen des Teufels befreit.« Und der König sagte: »Wenn du das getan hast, so sollst du sie haben.«

Am nächsten Morgen bereiteten sie alles zur Hochzeit vor. Doch[29] die Königstochter wollte den Junker nicht, sondern den jungen Mann dort im Gasthof. Und sie sagte zu ihrem Vater: »Gib mir nur eine halbe Stunde Zeit zum Überlegen!« Der Vater ließ ihr die gewünschte Frist, und sie ging in ihr Kämmerlein und schrieb einen Brief an ihren Retter: »Komm zu mir, zu der und der Stunde! Denn sie wollen mich dem Junker verloben.«

Da kam der Vater, um zu sehen, wo seine Tochter so lange verweilte. Er fand sie in ihrem Kämmerlein und sagte zu ihr: »Gib mir den Brief, ich möchte lesen, was du geschrieben hast.« Sie gab ihm den Brief, und er las ihn und faltete das Blatt zusammen. Dann ging er hin und sprach zu dem Hauptmann: »Geh hin, nimm dir Soldaten mit und bringe mir den Mann aus dem Gasthof hierher, der meine Tochter zur Frau haben will!« Da ging der Hauptmann in den Gasthof und fragte die Wirtin: »Wo ist der Mann, der die Königstochter zur Frau haben will?« Aber der Wirt selbst sagte zu ihm: »Sprich leise! Das ist ein starker Mann, der euch alle noch tötet.« Da antwortete der Hauptmann: »Ich habe einen Trupp Soldaten bei mir, die ihn festnehmen werden.« Da kam der Mann aus dem Zimmer und sprach: »Was hast du, Lümmel, hier zu brüllen?« Er packte den Hauptmann am Bein, ging unter das Fenster und warf ihn und die ganze Rotte zu Boden. Nur einen ließ er am Leben. Zu dem sagte er: »Geh und schicke zwölf heile Soldaten, daß sie mich holen!«

Da kamen sie mit dem Oberst an der Spitze, und der fragte den Wirt: »Wo ist der starke Mann, der eine Rotte Soldaten getötet hat?« Da sagte der Wirt wieder: »Sprich nicht so laut, sonst schlägt er dich auch tot.« Aber der Oberst meinte: »Ich habe ja zwölf Soldaten bei mir, die ihn festnehmen werden.« Da trat der Mann aus der Gaststube: »Was kommst du hierher und schreist!«, und er packte auch den Oberst bei den Beinen und ging dann auf die Gasse und schlug den ganzen Trupp zu Boden. Bloß einen Mann ließ er am Leben, und dem befahl er: »Geh und sage dem König, daß er das ganze Volk seines Reiches zusammenruft und aus andern Reichen, und wo er Verwandte hat. Dann soll er die allergrößte Kanone bringen, die er hat.«[30] Das tat der König auch, und er kam vor den Gasthof und brachte die Kanone, die von zwölf Pferden gezogen wurde. Und alle drängten sich vor den Gasthof, und der Mann trat heraus und fragte den König: »Hast du alles mitgebracht, was ich dir zu bringen befohlen habe?« Da sagte der König: »Ja, hier ist alles.« – »Wo ist deine größte Kanone? Bring sie hierher.« Er ging zu der Kanone und sah, daß zwölf Pferde davorgespannt waren. Da nahm er die Kanone in die Hand, stopfte sie voll Tabak und steckte sie sich als Pfeife an. Und der König und alles Volk erschraken darüber, daß er eine so große Kanone aufhob und zwischen die Zähne schob. Der König fiel vor ihm auf die Knie, aber der Mann faßte ihn bei den Schultern und sagte: »Ich bin nicht würdig, daß du vor mir auf die Knie fällst, eher müßte ich vor dir auf die Knie fallen.« Dann fragte er den König: »Wer ist der Mann, der deine Tochter vom Strande fortgeführt hat?« Da riefen sie den Junker her, und der Junker sagte: »Ich bin es.« – »Nun, wohin hast du denn den Teufel gesteckt?« Und der Junker antwortete: »Unter einen großen Stein am Strande.« – »Und was hast du mit dem Kopf gemacht?« – »Der steckt in der Krone einer Eiche, die am Strande steht.« – »Dann laß uns alle drei hingehen, das zu sehn!«

Sie gingen hin, der König, der Junker und der junge Mann aus der Wirtschaft. Und als sie zu dem großen Stein kamen, sagte der junge Mann zu dem Junker: »Nehmt den Stein fort und zeigt, wo er ist!« Da sprach der Junker: »Ich kann es nicht, mir ist das Blut nicht in Wallung.« Da stieß der junge Mann den Stein mit dem Fuß fort und rief den König und Junker herbei, ihn zu sehn. Der König kam und guckte, aber der Junker wagte sich nicht heran. Da ging der Sohn des Schmieds auf ihn zu, packte ihn bei den Schultern, warf ihn zu Boden und wälzte den Stein auf ihn. Darauf sprach er zu dem König: »Siehst du jetzt, wer der Mann ist, der deine Tochter gerettet hat? Ihr habt geglaubt, daß es der Seidenbeutel war.« Hierauf gingen sie nach Hause und bereiteten die Hochzeit. Der junge Mann bekam die Königstochter zur Frau, und der König gab ihm die Hälfte seines Reiches. – Und ich war auch dort auf der Hochzeit.

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 26-31.
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