[31] 9. Das törichte Weib

[31] Es war einmal ein armer Bursche, der stand allein in der Welt und verdiente sich sein Brot als Hirt und Knecht. Das Mädchen, das er gern zur Frau genommen hätte, bekam er nicht, das wollte ihn nicht. Nun lebte aber in dem Dorfe ein blödes Mädchen, und sie beredeten ihn, das blöde Mädchen zur Frau zu nehmen. »Es ist besser als keine«, meinten sie, »und es kann ganz gut kochen.« Da freite er sie und ging selbst als Knecht in Dienst. Zuvor beschied er aber seine Frau, was sie zu machen habe. Im Sommer sollte sie Ruten schneiden.

Die Frau ging in den Wald und schnitt Ruten. Als sie ein Bündel Ruten hatte, kam ihre Essenszeit, und sie setzte sich hin und fing an zu essen.

Da kam der Hirt an ihr vorbei, der jagte die Kuh in den Stall, und die Kuh erkannte ihre Herrin und lief auf sie zu. Sie stellte sich vor sie hin und käute wieder. Darüber wurde das Weib böse und sprach: »Was fällt dir ein, das Maul zu verziehen, wenn ich esse? Wenn du das Fratzenschneiden nicht läßt, schlage ich dich mit der Axt vor den Kopf.« Aber die Kuh machte sich nichts aus der Drohung; sie verzog das Maul so lange, bis das Weib sie totschlug. Dann lief die Frau ins Dorf und klagte, daß die Kuh auf sie zugekommen sei und ihr alles nachgemacht habe und daß sie sie deshalb totgeschlagen habe. »Ich verbot es ihr, aber weil sie nicht hörte, schlug ich sie mit der Axt vor den Kopf. Jetzt ratet mir, was ich mit der toten Kuh anfangen soll!« – »Die wird nicht wieder lebendig, der könnt Ihr nur das Fell abziehen«, rieten sie ihr. »Das Fleisch hackt in kleine Stücke, das könnt Ihr im Winter zum Kohl essen.« Das machte sie denn auch, hackte alles in kleine Stücke, aber da sie den Kohl noch auf dem Felde hatte, grub sie alles unter den Kohl in die Erde, unter jede Staude etwas, bis das Fleisch alle war. Da kam der Hund auf den Acker und roch das faulende Fleisch. Er scharrte das Fleisch heraus und den Kohl mit, und so blieb nichts übrig, weder Kohl noch Fleisch.

Im Herbst kam ihr Mann nach Hause, und sie erzählte ihm alles, was geschehen war. Da sprach der Mann: »Was soll ich jetzt mit[32] dir verrücktem Weib anfangen?« Dann überlegte er sich, wie er sie loswerden könnte. Er gab ihr ein Brecheisen und einen Sack in die Hand und sprach: »Geh damit in die Kirche; dort ist eine Truhe, und in der Truhe ist Geld. Brich den Deckel der Truhe mit dem Brecheisen auf und steck das Geld in den Sack!« Sie ging hin und tat es und nahm das Geld, ohne daß es jemand sah. Das Geld aber brachte sie nach Hause. Da dachte der Mann: ›Noch immer bin ich sie nicht los, sie hat die Kirche bestohlen und ist doch nicht gefaßt worden.‹ Und er überlegte bei sich: ›Was soll ich nun mit ihr anfangen?‹ Dann durchlöcherte er den Boden eines Topfes und sprach zu ihr: »Kriech jetzt unter den Topf, es wird heute Feuer und Pech regnen, denn die Welt soll untergehen. Wenn es anfängt, mich zu brennen, komme ich nach, aber geh du voran!« Die Frau kroch unter den Topf, und er träufelte ihr durch die Sieblöcher heißes Pech auf den Kopf. Da rief sie ihrem Manne zu: »Komm geschwind, es fängt schon an zu brennen, wie kannst du nur noch draußen sein!« Und der Mann antwortete ihr: »Ich komme schon, ich schau nur noch eine Weile zu.« Nachdem er sie tüchtig gebrannt hatte, kroch er auch unter den Topf, und sowie er unter dem Topf war, hörte es auf zu regnen. Als nun der Pfarrer in die Kirche kam und sah, daß das Geld gestohlen war, ließ er das ganze Kirchspiel zusammenrufen, und alle wurden ausgefragt, ob niemand den gesehen, der den Kirchendiebstahl begangen habe. Niemand hatte den Dieb gesehen, jeder behauptete, nichts von der Sache zu wissen. Die Blöde war an dem Tage nicht in die Kirche gerufen worden. Im Ärger darüber klagte sie den andern: »Alle sind gefragt, die es gar nicht wissen können, und mich fragt niemand, wo ich es doch gestohlen habe.« Die das hörten, sagten es dem Pfarrer. Da ließ sie der Pfarrer zu sich kommen und fragte: »Hast du das Geld gestohlen?« – »Ich habe es gestohlen.« – »Nun, mit was hast du denn die Türen aufgekriegt und den Truhendeckel?« – »Mit dem Brecheisen habe ich sie aufgemacht.« Und der Pfarrer fragte weiter: »War es am Tag oder in der Nacht, als du gestohlen hast?« – »Tag war es, wie ich das Geld brachte, gerade an dem Tag des Weltuntergangs, wo es Feuer und Pech vom Himmel regnete.«[33] Da sprach der Pfarrer: »Nun hört doch nur die Verrückte, was die für Zeug schwatzt! Der Weltuntergang ist noch nicht da, und Feuer und Pech hat niemand gesehen als du.«

Quelle:
Löwis of Menar, August von: Finnische und estnische Volksmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1922, S. 31-34.
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