3. Der Biedermann Elend und sein Hund Armut

[8] An einem Kreuzwege wohnte vor langer, langer Zeit ein armer Schmied, der einen Tag wie den andern recht und schlecht mit den wenigen Groschen hinbrachte, die er mit dem Beschlagen der Pferde, Maultiere und Esel der Reisenden, welche vor seiner Türe vorbeigingen, verdiente. Er war so arm, daß man ihn den Biedermann Elend nannte. Sein Hund, der sein trübes Geschick teilte, hieß Armut. Elend und Armut waren gute Freunde, wie es den Unglücklichen geziemt, und wie man Elend nicht zu Gesicht bekam, ohne daß Armut ihm folgte, so konnte man stets, wenn Armut vorbeiging, sagen: Elend kommt.

Eines Tages klopften der liebe Gott und St. Petrus früh am Morgen an Elends Türe. Armut bellte, Elend wachte auf und öffnete brummend den frühen Reisenden. »Wackerer Elend«, sagte St. Peter, »mein Meister hier wünscht, daß du ihm seinen Esel beschlägst. Dauert es lange?« »Ihr kommt hübsch früh, Meister, aber es ist gleich. Ihr scheint arme Teufel zu sein, aber im Grunde gutmütig, und ich will euch gern gefällig sein. Ich bin gleich fertig.« Der wackere Elend brachte das Feuer in Gang und beschlug den Esel in einer kleinen halben Stunde. »Ich bin fertig, Meister!« »Gut«, sagte der liebe Gott. »Wieviel bin ich schuldig?« »Ich habe gesagt, daß ihr mir arme Teufel zu sein scheint, mit Verlaub,[8] Meister, ich fordere nichts von euch.« »Nichts ist zu wenig!« »Nein, geht, ich will nur euren Segen.« »In diesem Falle will ich dich auf andere Weise belohnen. Ich bin der liebe Gott und mein Begleiter ist niemand anders als der heilige Petrus. Ich will dir drei Wünsche gewähren. Wähle!« Der biedere Elend kratzte sich hinter dem Ohr und dachte nach, was er sich vom lieben Gott wünschen solle. »Erbitte zuerst das Paradies!« flüsterte ihm St. Petrus zu. »Laß doch ... laß doch ...! Laß sehen, ich bitte, daß ... jeder, der sich in meinen Sessel setzt, nicht ohne meine Erlaubnis hinaus kann.« »Das ist einfach. Einverstanden! Nun dein zweiter Wunsch!« »Erbitte doch das Paradies!« murmelte St. Peter. Der biedere Elend kratzte sich wieder hinter dem Ohr und dann auf dem Kopf. »Mein zweiter Wunsch ist dieser: Ich wünsche, daß der oder die, welche auf meinen Nußbaum steigen, nicht ohne meine Erlaubnis herunterkönnen.« »Das ist wieder ehr einfach. Einverstanden! Nun dein letzter Wunsch.« »Dummkopf, vergiß das Paradies nicht!« rief der heilige Pförtner des Paradieses. Aber ohne sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen, fuhr der Schmied fort: »Als letzten Wunsch bitte ich, daß alles, was in meinen Beutel kommt, ohne meine Erlaubnis nicht wieder herauskann.« »Du bist jedenfalls sehr bescheiden. Ich gewähre dir dies alles. Mach guten Gebrauch davon und auf Wiedersehen!« »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, Herr lieber Gott!« »Dreifacher Idiot, du wirst es bereuen!« fügte der heilige Petrus hinzu. Der liebe Gott bestieg seinen Esel wieder, der Heilige nahm das Tier beim Zügel und sie entfernten sich.

Von diesem Tage ab war es wie verhext; nur von Zeit zu Zeit kam mehr ein Reisender am Kreuzweg vorbei, und bald sah sich der gute Elend samt seinem Gefährten Armut, der nur noch aus Haut und Knochen bestand, dem Hungertode gegenüber. Der Teufel bekam Wind von der Geschichte und klopfte eines Tages an die Türe des wackeren Elend. »Was willst du?« fragte ihn dieser. »Biederer Elend, ich weiß, daß du seit drei Tagen nichts gegessen hast, und das bißchen Geld[9] in deiner Geldkatze wird dir nicht viel nützen. Ich biete dir zehntausend Taler an, unter einer Bedingung allerdings..« »Daß ich dir meine Seele überlasse.« »Richtig. Daß du mir in zehn Jahren deine Seele übergibst, wenn es dir bis dahin nicht möglich ist, mir das Geliehene zurückzuzahlen.« »Abgemacht, abgemacht! Wo ist das Geld?« »Hier, aber schwörst du?« »Ich schwöre«, sagte Elend, der seinen Plan hatte. Der Teufel zog höchst zufrieden die zehntausend Taler aus der Tasche und gab sie dem guten Elend. »Haha, hihi«, machte der Teufel, als er fortging. »Haha, hihi«, machte der Biedermann Elend.

In den nächsten zehn Jahren führte dieser ein vergnügtes Leben, aß gut und trank viel, bewirtete seine Freunde und besuchte öfter das Wirtshaus als die Kirche. Niemals war es seinem Hunde Armut besser gegangen. Die zehn Jahre waren vorüber, als der Teufel an den Kreuzweg zurückkam, um Elend in die Hölle zu schleifen. Zum großen Erstaunen des Satans war der Schmied lustig aufgelegt und tanzte alle Arten von Pas rings um seine Schmiede herum, gefolgt von Armut, der wie ein Irrsinniger bellte. »Potztausend, Elend, du scheinst mir sehr vergnügt zu sein!« »Und warum nicht?« »Aber du sollst mir doch zehntausend Taler zurückerstatten.« »Zehntausend Taler? Ihr träumt, Meister. Ich habe kaum deren zehn. Aber wenn Ihr mich holen wollt, so bin ich bereit, Euch bis auf den Grund der Hölle zu folgen, wenn es sein muß. Setzt Euch einen Augenblick in diesen Sessel, ich stehe gleich zur Verfügung!« Der Teufel setzte sich in den Sessel; nach einiger Zeit sagte der Schmied: »Meister, kommt Ihr? Ich bin bereit.« Der Teufel versuchte sich zu erheben, aber umsonst: seine Anstrengungen waren vergeblich. Ohne sich zu überstürzen nahm der wackere Elend eine große Eisenstange und versetzte dem armen Teufel kräftige Schläge auf Kopf, Schultern und Rücken. Dieser heulte, fluchte und lästerte, daß das Haus zitterte. Schließlich merkte er, daß er aus diesem verfluchten Sessel nicht heraus kommen könne, und bat den Schmied, ihn gehen zu lassen. »Aber verzichtest[10] du auch auf meine Schuld? Erklärst du den Vertrag für hinfällig?« »Ja, ja, aber laß mich, bitte, los!« »Schwöre es!« »Ich schwöre es!« »Dann erlaube ich dir zu gehen.« Der Teufel floh ganz zerschlagen durch den Kamin der Schmiede und ließ ein entsetzliches Wimmern hören.

Ein Jahr später wußte der Teufel, daß der Biedermann Elend wieder kein Geld hatte. Er suchte ihn wieder auf und nahm sich vor, sich am Verfalltag nicht wieder in den Sessel zu setzen. Er gab ihm zwanzigtausend Taler unter den gleichen Bedingungen wie das erstemal. Der gute Elend fing seine früheren Extratouren wieder an und sah nach Ablauf von zehn Jahren den Teufel mit zehn kleinen Teufelchen wiederkommen. »Nun Elend, gehen wir diesmal?« »O gewiß! Was sonst? Ich bin fertig, gehen wir. Ah! Aber ich vergaß etwas! Ich habe da so schöne Nüsse auf diesem Baum und würde sie gar zu gern mit in die Hölle nehmen.« »Da ist nichts dabei,« sagte der Teufel, »ich will sie dir mit meinen Teufelchen pflücken. Das wird bald geschehen sein.« Und in einem Augenblick waren der Teufel und seine Gefährten auf dem Baum. Als die Nüsse gesammelt waren, wollten die Teufel herunterklettern, aber das war ihnen unmöglich. Der biedere Elend lief in seine Schmiede und kam mit einer langen spitzen Eisenstange zurück. Er spießte den Teufel und seine Teufelchen so lange und so tüchtig, bis alle schrien, daß sie Tote hätten aufwecken können. »Gnade! Gnade!« heulten sie. Und Elend fuhr fort, sie der Reihe nach zu stechen. »Gnade! Gnade!« sagte endlich der Teufel. »Ich verzichte auf deine Schuld und lasse dich in Ruhe. Aber gestatte mir, zur Hölle zurückzukehren!« »Schwörst du es mir?« »Ich schwöre es dir!« Und der Schmied ließ den Teufel und seine Gefährten frei.

Kaum war ein Jahr verflossen, als der Teufel zurückkam, um dem wackeren Elend dreißigtausend Taler anzubieten, immer unter denselben Bedingungen. Elend nahm die dreißigtausend Taler, ebenso zufrieden wie der Teufel, der ihn diesmal schon zu haben glaubte. Nach Ablauf von zehn[11] Jahren kam letzterer zum Hause des guten Elend. Dieser erwartete ihn mit der Pfeife im Munde auf der Türschwelle. Er begann zu lachen, als er den höllischen Dämon kommen sah. »Guten Tag, Elend. Was lachst du denn so? Und was soll der Beutel, den du in der Hand hältst?« »Guten Tag, Satan. Ich lachte, als ich an einen alten Schwätzer dachte, der mir gerade erzählte, du könntest so klein, so klein werden daß du in diesen Beutel hineingingest.« »Ist das so schwer? Öffne den Beutel und du sollst es sehen.« Und der Teufel wurde ganz klein. Der Schmied nahm ihn und steckte ihn in den Beutel. »Nun, siehst du,« sagte der Teufel, »daß ich auf meinen Wunsch so klein werden kann, wie es mir gefällt?« »Das ist sehr schön. Aber kannst du aus meinem Beutel heraus?« Der Teufel versuchte es, aber vergebens. Er bemerkte, daß er wieder einmal vom Schmied übers Ohr gehauen war. »Jetzt kommen wir zwei daran, Meister Satan! Ich will dir noch einmal eine gute Lektion geben.« Und er legte den Beutel auf seinen Amboß und starke Hammerschläge fielen hageldicht auf den armen Teufel, der schrie und heulte, wie ihr euch wohl denken könnt. »Gnade! Gnade! Ich werde niemals wiederkommen. Ich schwöre es dir. Ich bin ganz zu Brei. Laß mich los, laß mich los!« Der biedere Elend war es müde, auf den Beutel zu dreschen, und gestattete dem Teufel, herauszugehen, und er sah ihn für den Rest seines Lebens nicht wieder.

Er war sehr alt, als er starb. Sein Hund Armut starb am nämlichen Tage, und Armut und Elend gingen selbander zum Paradies. Sie kamen vor ein schönes Schloß, und da Elend glaubte, dies sei das Paradies, so klopfte er an. »Wer ist draußen?« sagte eine Stimme von innen. Die Pforte öffnete sich ein wenig und der Kopf des heiligen Petrus erschien in der Spalte. »Ah, du bist es, Elend! Geh weiter. Du hast das Paradies nicht verlangt, als ich es dir geraten habe; um so schlimmer für dich!« Elends Bitten und Betteln war umsonst, die Türe schloß sich wieder. »Komm, Armut, laß uns sehen, ob wir in jenem großen Backsteinhause, das ich da[12] unten bemerke, mehr Glück haben.« Armut lief voraus und Elend folgte. Sie kamen vor das Tor des Fegefeuers. »Poch, poch, poch, poch!« Ein Engel öffnete die Tür. »Wer bist du?« »Ich bin der Biedermann Elend und möchte hier einen Platz haben!« »Hast du schon im Paradies angefragt?« »Ich komme gerade von dort, aber der heilige Petrus hat mich nicht einlassen wollen!« »So warte. Ich will sehen, ob dein Name in meinem großen Buche steht.« Der Engel blätterte und blätterte und fand zuletzt doch nichts. »Mein armer Elend, es bleibt dir nichts übrig, als einen Platz in der Hölle zu suchen. Es ist die erste Straße links!« Die Pforte schloß sich und Elend klopfte ganz niedergeschlagen an das Höllentor. Der Teufel kam und öffnete. Aber als er den wackeren Elend erblickte, rief er: »Ah! Du schon wieder! Du kannst wieder hingehen, wo du hergekommen bist. Du wärest imstande, mir auch hier deine Streiche zu spielen, aber dazu habe ich durchaus keine Lust. Glückliche Reise!« Vom Paradies, vom Fegefeuer und von der Hölle verjagt, kam der biedere Elend auf die Erde zurück, wo er immer noch lebt. Viele sind ihm begegnet, ihm und seinem Hunde Armut, und viele begegnen ihm noch.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. VIII8-XIII13.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon