16. Der Wolf und der Fuchs

[67] Ein Wolf und ein Fuchs, welche gute Freunde waren, fürchteten, ihren Bedarf während der Ernte nicht decken zu können und kamen auf den Gedanken, sich als Tagelöhner bei einem Bauern des Dorfes, in welchem sie wohnten, zu vermieten. Da man sie als gute Arbeiter kannte, nahm man sie ohne Zögern an, denn in dieser Zeit sind die Tagwerker rar. Ehe sie sich an die Arbeit machten, kauften die beiden Gevattern von ihren Ersparnissen einen Topf Butterschmalz, der ihnen zur Nahrung dienen sollte; aber da sie nicht reich waren, kamen sie, um ihm längere Dauer zu verleihen, überein, nur abends nach der Arbeit davon zu essen.

Am ersten Tage der Ernte machten sie sich tapfer ans Werk und arbeiteten von der ersten Stunde an so gut, daß sie die Bauern in Staunen versetzten. Am Morgen erhob der Fuchs plötzlich den Kopf und rief sehr laut: »Bitte?« »Was hast du?« fragte ihn der Wolf. »Hast du nicht gehört?« sagte der[67] Fuchs. »Die Leute, die auf der Straße vorübergehen, haben mich gebeten, Gevatter zu stehen.« »Nein. Aber geh nur hin, denn man soll denen, die einen Dienst verlangen, niemals unfreundlich begegnen.« Der Fuchs ging hin, kam einige Augenblicke später zurück und sagte, er habe sein Patenkind »Angefangen« genannt.

Die beiden Gefährten machten sich wieder an die Arbeit. Einige Stunden darauf rief der Fuchs von neuem: »Bitte?« »Was gibt es schon wieder?« fragte der Wolf. »Die Leute dort unten bitten mich, zu ihrem Kinde Gevatter zu stehen.« »Du mußt ihrer Einladung folgen«, sagte der Wolf. Der Fuchs ließ sich nicht zweimal bitten und begab sich zur Taufe seines Patenkindes, das er »Mittendrin« nannte.

Gegen Abend hob der Fuchs plötzlich den Kopf und rief: »Bitte?« und das so laut, daß der Wolf seine Sichel fallen ließ. »Schon wieder einer, der mich bittet, Gevatter zu stehen,« sagte er, »aber ich mag nicht hingehen.« Dann tat er, als wolle er wieder anfangen zu arbeiten. »Willfahre doch dem Wunsch dieser Leute, wenn sie dich bitten,« sagte der Wolf, der es allmählich merkwürdig fand, daß die Bitten stets nur an den Fuchs und nicht an ihn gerichtet wurden; »man muß immer seinen Nächsten zu Dank verpflichten.« Der Fuchs ging zögernd davon und kam zurück mit dem Schwur, sich nun nicht mehr stören zu lassen, und er sagte, sein Patenkind heiße »Ganzaus«.

Solange der Tag währte, arbeiteten sie; dann kamen sie von Müdigkeit entkräftet heim. Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie ihre Lampe anzündeten und bemerkten, daß ihr Buttertopf leer sei. Sie beschuldigten sich gegenseitig, den Inhalt gefressen zu haben. Der Wolf behauptete, daß der Fuchs, anstatt Gevatter zu stehen, gekommen sei, die Butter zu verzehren, und daß die drei Namen, die er dem Kind gegeben habe, bewiesen, daß er die Butter auf dreimal gefressen habe. Der Fuchs wies diese Beschuldigung entschieden zurück und sagte dem Wolf, daß dieser umgekehrt seine Abwesenheit benutzt haben müsse, um den Buttertopf[68] auszuleeren. Der Streit drohte sich in die Länge zu ziehen. Da schlug der Fuchs folgende Lösung vor, welche seiner Ansicht nach den Schuldigen offenbaren müsse: da das Butterschmalz ausgesprochen schweißtreibende Eigenschaften habe, so müsse der, welcher die Butter gefressen habe, am nächsten Morgen an den Schenkeln naß sein, und zur Strafe solle man ihm den Topf auf dem Rücken zerschlagen. Dieser Vorschlag wurde angenommen und unsere beiden Gesellen legten sich schlafen. Der Wolf, welcher den ganzen Tag über gearbeitet hatte, schlief alsbald fest ein; aber der schlauere Fuchs schlief nur mit einem Auge. Als er daher mitten in der Nacht ein gewisses Bedürfnis zu befriedigen hatte, überschwemmte er ohne weiteres die Beine des Wolfes; dann schlief er wieder ein. Am andern Morgen, als sie erwachten, betrachteten die beiden Freunde einander und man konstatierte, daß der Wolf nasse Schenkel habe. Der arme Teufel zog ein schiefes Gesicht, aber er wurde durch die Macht der Tatsachen gezwungen, anzuerkennen, daß nur er die Butter gefressen haben könne. Um seine Näscherei zu bestrafen, zerschlug ihm der Fuchs den Topf auf dem Rücken.

Quelle:
FR-Märchen Bd.2, S. LXVII67-LXIX69.
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