[348] 22. Die Zwillingsbrüder.

Text (aus Negades).

Variante. Der Tiw, welcher die Leute versteinert. (Aus Kato Sudena.) – Es war einmal ein Mann und eine Frau, die bekamen keine Kinder, und sie hatten auch eine Hündin, die warf keine Jungen. Da fragten sie eine alte Frau, was sie tun sollten, und die sagte ihnen: »Ihr müßt einen Apfel nehmen und ihn schälen und die Schale und die Kerne der Hündin zu fressen geben, die Stücke aber soll die Frau essen.« Nachdem sie getan, was die Alte ihnen gesagt hatte, wurde die Frau schwanger und gebar zwei Knaben mit einem[348] Stern auf der Stirn, die Hündin aber zwei Junge mit einem Stern auf der Stirn.

Als nun die Knaben zu Jahren kamen, sagten sie zu ihrem Vater: »Vater, wir wollen in die Fremde gehen.« Der war es zufrieden und kaufte jedem ein Roß. Und sie nahmen auch die zwei jungen Hunde mit sich und zogen aus. Da kamen sie an einen Kreuzweg und sprachen zueinander: »Wir wollen uns nun trennen, und wenn das Schwert des einen blutig wird, so soll das ein Zeichen sein, daß der andere im Sterben liegt.« Darauf schlug der eine den rechten, der andere den linken Weg ein. Und der auf dem rechten Wege kam zu dem Tiw, der die Leute versteinert. Da er aber das nicht wußte, so kam er zu ihm heran, um die Marmorblöcke zu besehen, die wie Menschen aussahen.

Als der Tiw ihn erblickte, schrie er einmal auf; und gleich ward er zu Stein. Da wurde, wie sie bei der Trennung verabredet hatten, das Schwert des Bruders blutig; und der machte sich auf, seinen Bruder zu suchen. Er kehrte also zum Kreuzweg zurück und schlug den rechten Weg ein, und nachdem er eine Weile geritten war, erblickte er die Marmorblöcke, die wie Menschen aussahen, und rief: »Ach, dort steht ja mein Bruder.« Da wandte er sich seitwärts und begegnete einer alten Frau, die fragte er, was denn das für Steinbilder seien. Die Alte versetzte: »Dort, mein Söhnchen, ist der Tiw, der die Leute versteinert.« Darauf fragte er sie: »Weißt du, Mütterchen, wie man ihn töten könnte?« und die Alte versetzte: »In dem Walde da ist ein wildes Schwein. Das mußt du töten und ihm den Bauch aufschlitzen; darin wirst du drei Tauben finden, und wenn du die eine schlachtest, so wird der Tiw krank; und wenn du die zweite schlachtest, so wird er kränker; und wenn du die dritte schlachtest, so stirbt er.«[349]

Da verlor der Jüngling keinen Augenblick und ritt eilends in jenen Wald, stieg von seinem Pferde ab und drang in das Dickicht, um das Schwein zu suchen. Aber es dauerte nicht lange, da wurde er so müde, daß er sich hinlegte und einschlief. Darauf kam das Schwein aus dem Dickicht hervor und wollte ihn fressen. Aber der Hund mit dem Stern auf der Stirn fing an zu bellen und weckte damit seinen Herrn. Der nahm seinen Bogen und erlegte das Schwein. Nun schlitzte er ihm den Bauch auf, fand die drei Tauben und schlachtete die eine, da wurde der Tiw krank; dann schlachtete er die zweite, da wurde er noch kränker; und nun gab sich der Jüngling für einen Arzt aus und ging in die Dörfer der Nachbarschaft und sprach zu den Einwohnern: »Ich kann den Tiw heilen und will es tun, wenn er die Versteinerten wieder zu Menschen macht.« Das erzählte man dem Tiw und der Tiw erklärte sich bereit, ging ans Fenster und schrie. Da wurden alle Versteinerten wieder zu Menschen und darunter auch der Bruder des Arztes. Dieser aber schlachtete nun auch die dritte Taube. Da starb der Tiw; und darauf gingen die zwei Brüder nach Hause zurück.

Anmerkungen. – Dies Märchen ist wohl das merkwürdigste der ganzen Sammlung, und zwar nicht nur in mythischer Beziehung wegen seiner großen Verwandtschaft mit der deutschen Heldensage, sondern auch in technischer, weil hier die Kindergewinnung durch den zerschnittenen Fisch und die Dioskurenformel Nr. 18 genau in der Weise mit der der Andromeda Nr. 13 verknüpft erscheint, wie dies bei Grimm Nr. 60 und Zingerle Nr. 25 und Nr. 351 der Fall ist, diese Übereinstimmung aber[350] keine zufällige sein kann und daher auf eine gemeinsame uralte Quelle zurückweist. –

Das Grimmsche Märchen geht jedoch noch weiter und stellt sogar die Tierherzenformel, von welcher Nr. 36 eine selbständige griechische Version gibt, an den Eingang seiner Erzählung. Daß diese aber nur einfach angeleimt sei, ergibt sich daraus, daß im Verlaufe alle dasselbe bildenden Züge gänzlich vergessen sind und nirgends auf denselben einwirken. Anders ist es bei den beiden andern Elementen, welche sich sowohl in der deutschen als in der griechischen Form auf das innigste durchdringen, und dies ist um so beachtenswerter, als sich neben der zusammengesetzten auch die einfachen Formeln im Griechischen erhalten haben. Die einfache Dioskurenformel gibt die obige Variante, und die Andromedaformel ist in Nr. 64,[351] Variante 2 und 3 und in Nr. 70 mit der starken Figur verbunden.

Die Variante macht uns den Eindruck hohen Alters, sie zeigt uns auch den Stern auf der Stirn der Zwillinge2, welcher Zug uns bestimmte, die Formel nach den Dioskuren zu benennen.

Dem Eingang der Textversion steht unter den von Grimm III, S. 103 angeführten deutschen Versionen die am nächsten, wonach eine Königstochter von Mäusen verfolgt wird, gegen die sie sich auf einen mitten in einem großen Flusse gebauten Turm rettet. Dort springt ihr einst ein Wasserstrahl zum Fenster herein, sie und ihre Magd trinken davon und gebären davon zwei Knaben, die sie in einer Schachtel im Strome aussetzen. Ein Fischer findet und erzieht sie3.

Von dieser Wasseraussetzung, welche die Zwillinge neben Romulus und Remus stellt, weiß die griechische Textversion nichts.

Aber das Goldfischchen und der Fischer als Vater[352] deuten gleichfalls auf den Ursprung aus dem Wasser. Das Goldfischchen steht hier an der Stelle des sonst beliebten Apfels (s. Sachverzeichnis) und möchte daher gleich diesem wohl die Sonne zum Urkern haben.

Als echte Dioskuren reiten die griechischen Zwillinge, während die deutschen zu Fuß gehn, und an die Stelle von deren Tieren treten hier Pferd und Hund, die mit ihren Herren naturverwandt sind.

Die von Füchsin und Wölfin erhaltenen Tiere haben wir bereits in Nr. 5, Variante.

Der in der Fremde einer Prinzessin vorspielende Jüngling erinnert an Horand in der Gudrunsage, dessen Kunst jedoch der Gesang ist4.

Bei den Brautaufgaben fällt auf, daß der Held zuletzt mit der Braut selbst kämpfen muß. Dies, und daß er sie nach dem Siege verläßt und sich mit einer andern vermählt, während die von ihm gewonnene Prinzessin seinen Bruder heiratet, erinnern lebhaft an Sigurd und Brunhilde.

Nun folgt die Andromedaform, aber ohne Marschall und ohne daß der Held die Befreite verläßt5, vielleicht weil der letztere Zug bereits vorgekommen. Die volle Andromedaform des deutschen Märchens findet sich in Nr. 70 als Einschub in ein anderes Märchen.

Der Zug der Versteinerung weicht in beiden Märchen nur in Einzelheiten ab. Er fehlt in der Sigurdssage, nicht aber in der germanischen Heldensage überhaupt (s. die Hiadningasaga in der jüngeren Edda).

Beide Märchen stimmen darin zusammen, daß der eine[353] Bruder von dem andern aus Eifersucht erschlagen wird, obwohl er das Schwert zwischen sich und seine Schwägerin gelegt, was ebenfalls zu der deutschen und eddischen Siegfriedsaga stimmt.

Seine Wiederbelebung durch das Lebenswasser, das die Schwägerin auf ihn schüttet, entspricht der Entsteinerung des treuen Fischersohns Nr. 29 durch die gesammelten Tränen der Königstochter, und daß sie durch Wasser geschieht, stimmt zur Entstehung der Zwillinge aus dem Wasser.

Auch im Walachischen bei Schott Nr. 10 findet sich die Befreiung einer einem Drachen ausgesetzten Königstochter, jedoch nicht wie hier und bei Grimm Nr. 60 in den Dioskurenrahmen eingefügt, sondern in den vom griechischen Märchen Nr. 70 und Grimm Nr. 166, und mithin zu der Formel vom besten jüngsten gehörig. Um die Art und Weise dieser eigentümlichen Verbindung zu zeigen, lassen wir hier seinen ganzen Inhalt auszugsweise folgen.

Dasselbe stimmt in seinem Eingange zu dem deutschen Märchen vom starken Hans bei Grimm Nr. 166 sogar bis auf die Namen der starken Gesellen, welche der Held auf seiner Wanderung findet, Holzkrummacher und Steinreiber, wenn dieselben ursprünglich sind, und nicht etwa vom Bearbeiter herrühren sollten; aber mit der Erlegung des Zwerges ist keine Befreiung von Jungfrauen verbunden (wie in unserem Nr. 70 und Grimm Nr. 166). Der Held findet nämlich tappend den Weg aus der Höhle und kommt, wie im griechischen, zu einer Alten, die aber blind ist, und der er das Gesicht verschafft, indem er mit einer Flöte (auch sie ist griechisch) Drachen überlistet. Hierauf erwirbt er von Fuchs, Wolf und Bär, welche ihm, wie in Grimm Nr. 60, zurufen: »Schieß mich nicht, ich gebe dir auch ein Junges,« einen jungen Fuchs, Wolf[354] und Bär. (Der Unterschied besteht nur darin, daß die walachischen Tiere unterweltliche sind.) – Er kommt in die schwarz behängte Stadt, begegnet der dem zwölfköpfigen Drachen ausgesetzten Prinzessin, läßt sich von ihr lausen und wird von einer ihrer Tränen geweckt (wie in unserem Nr. 64). Eigentümlich ist die Erschießung der zwölf Köpfe des Ungeheuers mit elf Pfeilen und einer Stecknadel der Prinzessin; das walachische Märchen erinnert mithin an Apollos Pythonkampf. Dann folgt das Ausschneiden der zwölf Drachenzungen. Die Ermordung des schlafenden Helden durch einen Zigeuner, seine Heilung durch Schlangenkraut und Wiederbelebung durch Lebenswasser, welche Fuchs und Wolf herbeischaffen, die Probe mit den Drachenzungen und die Verbindung des Helden mit der Befreiten ganz wie in Grimm Nr. 60.

Dagegen folgt das serbische bei Wuk Nr. 29 unserer Dioskurenformel. Der Fischer fängt in drei Tagen immer nur je einen Aal, und schneidet, auf die Anweisung des einen von ihnen, einen Aal in vier Stücke. Weib, Hündin und Stute gebären davon Zwillinge, und aus dem im Hause vergrabenen vierten Stücke sprießen über demselben zwei goldene Schwerter auf. Der Heirat des ältesten mit der Königstochter geht keinerlei Kampf vorher. Eines Abends erblickte er in weiter Ferne einen hohen Berg, der ganz in Flammen zu stehen schien (Waberlohe um Brunhildens Schildburg), hört, daß dies ein verwünschter Berg sei, der den Tag über leuchtet und bei Nacht brennt, und daß jeder, der in seine Nähe kommt, versteinert wird6. Er reitet hin und wird von der dort[355] befindlichen, einen Stab und einen Büschel Kräuter in den Händen haltenden Alten versteinert. Sein Bruder sieht das ihm als Wahrzeichen in einem Fläschchen gegebene Wasser trüb werden, geht, seinen Bruder zu suchen und kommt zu dessen Frau, die ihn für ihren Mann hält. Er legt sein Schwert zwischen sie und sich; da sieht er den leuchtenden Berg, er reitet hin, nachdem er erfahren, welche Bewandtnis es damit habe, und zwingt die Hexe, seinen Bruder zu entsteinern. Sie entsteinern hierauf auch die übrigen Versteinerten, indem sie sie mit dem Kraut der Hexe bestreichen, töten diese dann und ziehen vergnügt heim.

In der neapolitanischen Form, Pentamerone Nr. 7, wirft der eine von zwei sich ganz ähnlichen Brüdern dem Königssohn ein Loch in den Kopf und flieht auf einem gefeiten Pferde und mit einem gefeiten Hunde vom Vaterhause. Er kommt nach zwei Abenteuern zu dem schwarzausgeschlagenen Palaste der Königstochter, auf die das Los gefallen war, dem täglich einen Menschen verzehrenden Drachen ausgesetzt zu werden. Dem Drachen sprangen die abgehauenen Köpfe wieder an7, sobald er sich den Hals an ein gewisses in der Nähe wachsendes Kraut rieb. Der Held schneidet ihnen die Zungen aus, wirft sie eine Meile weit, damit sie nicht wieder anwachsen, und steckt von dem Heilkraut zu sich. Die befreite Prinzessin geht in den Palast, er ins Wirtshaus.

Der Usurpator ist ein Bauer. Als das der Held hört,[356] gibt er der Prinzessin in einem Briefe Nachricht von sich, welchen sein Hündchen bestellt, worauf die Zungenprobe und Heirat erfolgt.

Aus der versteinerten Hexe wird hier ein schönes, dem Palaste gegenüberwohnendes Mädchen, welches die Eintretenden mit ihren Haaren fesselt.

Der zweite Bruder trennt sich, während er bei seiner Schwägerin ruht, durch das Leintuch8 von ihr. Er läßt die schöne Hexe durch sein Hündchen verschlingen. Der so erlöste Bruder schlägt ihn aus Eifersucht den Kopf ab und er wird durch das Schlangenkraut wieder belebt.

In dem litauischen Märchen vom hörnernen Mann bei Schleicher S. 4 steht der Drachentöter, wie in der germanischen Sage, allein.

Vorher geht der Eintausch von drei Hunden gegen drei Kälber (s. Nr. 24) und die Erwerbung der Hornhaut durch Einschmieren des Körpers mit Öl, das der Held in einem verlassenen Hause findet.

Auch hier ist die Stadt schwarz ausgeschlagen, aber eigentümlich, daß der König dem Drachen jährlich eine seiner Töchter aussetzen muß und daß der Held den Stein9, auf den sich der Drache setzt, mit seinem Öl bestreicht. Dieser bleibt dadurch an dem Steine kleben, hebt ihn mit sich in die Höhe und läßt aus Wut eine zwölf Klafter lange Lohe aus seinem Rachen gehen. Der Kutscher begräbt während der Heimfahrt den eingeschlafenen Helden und tritt an dessen Stelle. Die treuen Hunde bleiben[357] beim Grabe und ein Mann gräbt den Helden aus, der einen Hund als Briefboten an die Prinzessin schickt. Die Zungenprobe fehlt.

Die zweite litauische Form bei Schleicher S. 57 schließt sich eng an die Grimmsche an, der Zug der Hörnung fehlt, die Tiere des Helden sind Hase, Wolf, Löwe und Bär. Der Drache kündigt sich aus der Ferne durch »Flammen wie von Blitzen und Sausen wie vom Sturme« an. Der von der Anstrengung eingeschlafene Held wird von den Dienern des Königs erschlagen und verscharrt, nach drei Jahren von den Tieren wieder ausgescharrt und durch Schlangenkraut (s. Formel Nr. 29) wieder belebt. Er wettet mit dem Wirt wie im deutschen Märchen. Zungenprobe.

Die großen Schwierigkeiten, welche der Sagdeutung daraus entspringen, daß die Erscheinungen, welche die Tagessonne bietet, zum Ausdrucke der durch die Jahressonne bewirkten Erscheinungen benutzt wurden und dadurch Sonnenauf- und -untergang, Tag und Nacht auch zur Bezeichnung der Jahreszeiten dienen, hat der Verfasser in seinen »vergleichenden« Blicken weitläufig besprochen und muß daher den Leser hierüber sowie über die Deutung der vorliegenden Sage dorthin verweisen. Er beschränkt sich daher hier nur auf einige Bemerkungen über die dem Märchen eigentümliche Verbindung der Dioskuren- und Andromedenformel. Die Zwillinge können bald als Bilder der wechselnden Tagessonne, bald als die der wechselnden Jahressonne genommen werden.

Das Bild der Versteinerung möchten wir jedoch lieber auf die Eiszeit als auf die Nacht (wie in der oben erwähnten Hiadningasaga) beziehen. Das zwischen Schwager und Schwägerin gelegte Schwert dagegen erscheint uns als ein reines Bild des Monatsanfangs. Es ist die[358] beim Sonnenuntergang zwischen dem Sonnenball und der Abendröte erscheinende und beide gleichsam trennende Neumondsichel. Diese erkennen wir auch in dem Schwerte, mit welchem der entsteinerte Bruder aus Eifersucht seinem Befreier den Kopf abschlägt, und in dessen Wiederbelebung den dritten Zeitwechsel. Diesen drei Wechseln gehen in der vorliegenden Verbindung der Andromeden- und Dioskurenformel noch die Befreiung der Frühlingsgöttin von dem Winterdrachen, welche wir in dem Falle, wo sich der Held nach der Befreiung trennt, in die Zeit der Winterwende verlegen, indem wir den Naturkern dieser Trennung in dem Nachwinter suchen, ferner die Zungenprobe und Verbindung des Helden mit der Befreiten zur Zeit von Frühlingsanfang und die Versteinerung des Befreiers als drei weitere Zeitenwechsel vorher.

Einen beachtenswerten Beleg findet unsere Deutung in der Angabe der griechischen Textform, daß der Held hundertundeine Woche bei seiner jungen Frau blieb, bevor er zur Jagd in den Zauberwald ritt, denn hundertundeine Woche ergeben zwei Mondjahre weniger einen Tag. Der Befreier wird daher am vorletzten Tage des zweiten Mondjahres versteinert und bleibt es während der Konjunktionsdauer; am ersten Abend des dritten Mondjahres ruht sein Bruder bei dessen Frau und entsteinert seinen Bruder am zweiten Tage. Verlegen wir nun die Entsteinerung auf die Winterwende, so ergibt sich hier genau dieselbe Konstellation, welche wir anderwärts10 für das Ende der Odyssee gefunden haben, deren vierzigster Schlußtag zufolge unserer Untersuchung nach Attischem Kalender mit einer auf den zweiten Gamelion treffenden[359] Winterwende zusammenfällt. Dies ist der einzige chronologisch brauchbare Märchenzug, den wir bis jetzt auffinden konnten.

Die Tötung und Wiederbelebung des einen Zwillingsbruders durch den andern entspricht der Tötung oder Blendung der starken Figur durch feindliche dämonische Wesen, nachdem dieselbe hinterlistigerweise ihrer Stärke beraubt worden ist (s. Nr. 24, 36, 64).

Fußnoten

1 Bei Grimm Nr. 85 gebiert die Fischerin von zwei Teilen des in sechs Teile zerschnittenen Fisches goldene Zwillinge, die Stute von den zwei andern Teilen zwei goldene Fohlen und aus den in den Boden gelegten zwei Teilen wachsen zwei goldene Lilien.

Zingerle Nr. 25 beginnt genau wie das griechische. Es war einmal an einem See ein Fischer, der hatte eine liebe Frau und Geld genug, aber keine Kinder, was ihm sehr leid tat. Der gefangene ungeheure Fisch wird nach seiner eigenen Angabe in drei Teile zerschnitten; von dem Kopf gebiert die Hündin drei weiß und schwarz gefleckte Junge, von dem Mittelstück die Fischerin drei Söhne, von den Eingeweiden des Fisches die Stute drei Fohlen, und aus dem in die Erde gesteckten Schwanze wachsen drei Bäumlein hervor.

Auch bei Wolf, D.M.u.S., Nr. 27, S. 140 gebiert die Stute vom Kopf des Fisches drei Fohlen, die Hündin vom Schwanze drei Junge, und aus den vergrabenen Gräten entstehen drei Blumen, deren Wurzeln drei Schwerter waren.

Der erste Drilling heiratet die Königstochter, deren Aussetzung an den Drachen fehlt, und wird versteinert, ebenso der zweite, der dritte erlöst sie durch eine sehr komplizierte Entzauberung, zu der ihn eine zweite Hexe anweist, und die Entsteinerten rufen: »So fest haben wir noch nie geschlafen!« wie der starke Hans in Nr. 64 und der Held in Nr. 32, Var.


2 Bei Grimm 96 haben die drei nacheinander geborenen Kinder einen »ritsch roten Stern« auf der Stirn. Auch sie werden nacheinander auf dem Wasser ausgesetzt und von einem Fischer erzogen, figurieren aber in einem Verstoßungsmärchen.

Im Harzmärchenbuch von Ey, S. 178, hat der erste Knabe drei goldene Locken, der zweite einen goldenen Stern und der dritte einen goldenen Hirsch (Sonnenhirsch) auf der Brust.

In Pentamerone Nr. 9 erteilt ein alter Pilger den Rat, der unfruchtbaren Königin das Herz eines Seedrachen zu geben, das von einer reinen Jungfrau gekocht werden müsse, welch letztere von dessen Dampf nebst allem Hausgeräte gleichfalls schwanger wurde. Zwei schöne Knaben und kleiner Hausrat kommen rasch und zu gleicher Zeit zur Welt.


3 Nach einer andern deutschen Version Grimm III, S. 104 fällt einem Fischer eine Schachtel mit zwei Knaben vom Himmel (Sterne) ins Netz.


4 Auch der griechische starke Hans in Nr. 64 ist Zitherspieler und Sänger, ebenso der Bellerophon verwandte Held in Nr. 58.


5 Ebenso bei Zingerle Nr. 8, wo der Drache von den drei Hunden des Helden zerrissen wird.


6 Hier scheint uns die eddische Vorstellung anzuklingen, daß Riesen und Zwerge bei dem Anblicke der aufgehenden Sonne zu Stein werden. – Umgekehrt weckt in der eddischen Hiadningasaga Hilde als Göttin des Sonnenaufgangs die über Nacht versteinerten Gefallenen zu neuem Kampfe.


7 Ebenso muß Dietrich zwischen die zwei Stücke der von ihm entzweigehauenen Riesin Hilde springen, um zu verhindern, daß sie wieder zusammenliefen (Vilcinasaga, Kap. 17). Wir erklären uns diese Züge aus der Wolkennatur der Drachen und Riesen.


8 In Pentamerone Nr. 9 legt der dem Königssohne ganz ähnliche und zu gleicher Zeit geborene Genosse desselben das Schwert zwischen sich und dessen Gemahlin, als er bei ihr ruht.


9 Dieser Stein kommt auch in der Vilcinasaga, Kap. 18 und im färörischen Sjurdslied a. vers. 108 vor (s. Rafzmann I, S. 119 u. 312.)


10 S. des Verf. Proben homerischer Arithmetik S. 52 ff. und dessen »vergleichende Blicke« passim.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 348-360.
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