[385] 34. Bakala.

Text (aus Wisiani).

Variante. (Aus Kukuli.) – Es war einmal ein König, der hatte viele Schafe und ließ sie von zwei Schäfern hüten, von denen der eine vernünftig, der andere aber verrückt war. Eines Tages schickte der Vernünftige den Verrückten ins Königsschloß, um Brot und Sandalen zu holen, und der ging auch richtig hin und ließ sich das Brot und die Sandalen geben. Auf dem Rückwege traf er aber einen Knaben, welcher auf einem Steine saß und weinte, und als er ihn nach der Ursache fragte, antwortete er: »Ich weine, weil meine Füße wund sind und ich keine Sandalen habe.« Da gab ihm der Narr die Sandalen, die er aus der Stadt geholt hatte. Weiterhin traf er auf einen großen Haufen Ameisen, welche auf- und abliefen, als ob sie sehr hungrig wären; da warf ihnen der Narr das Brot hin, das er geholt hatte und kam mit leeren Händen zu der Herde zurück. Als nun der Vernünftige[385] ihn fragte, warum er nichts gebracht habe, sagte er: »Unterwegs begegnete ich einem weinenden Knaben, dem gab ich die Sandalen.« – »Aber was hast du mit dem Brote angefangen?« – »Unterwegs traf ich auf einen Haufen Ameisen, die so hungrig taten, daß ich ihnen das Brot hingeworfen habe, um sich satt zu essen.« Darauf sagte der Vernünftige: »Jetzt bleib du bei den Schafen und ich will hin und Brot holen.«

Als der Narr mit den Schafen allein war, da wurde er sehr hungrig. Er stieg also auf einen wilden Birnbaum, um sich Birnen zu schütteln, und sagte zu seinen Schafen: »Hört, ihr Schafe, wenn ich nun den Baum schüttle und die Birnen herabfallen, so dürft ihr nur die unreifen fressen, die reifen aber müßt ihr für mich übrig lassen.« Doch die Schafe kümmerten sich nicht um diese Weisung, sondern fraßen die reifen und unreifen Birnen auf, und als der Narr vom Baume stieg, fand er nur ein einziges Birnchen, welches auf dem Vließe eines jungen Widders haftete. Da wurde er zornig, schlug alle Schafe tot und ließ nur jenen Widder am Leben, und hing ihm alle Schellen der toten Schafe um den Hals.

Als der Vernünftige zurückkam und alle Schafe totgeschlagen fand, rief er: »Was hast du gemacht, du Narr?« – »Ich habe sie bestraft für ihren Ungehorsam, denn sie haben die reifen Birnen mit den unreifen zusammen gefressen, obgleich ich es ihnen verboten hatte. Nur der Widder hat mir eine aufgehoben und darum habe ich ihn leben lassen.«

Da sprach der Vernünftige: »Was geschehen ist, läßt sich nicht ändern; wir müssen nur schnell die Schafe wegräumen, daß man sie nicht findet.« Sie nahmen also die toten Schafe und warfen sie in einen Abgrund; dabei nahm aber der Vernünftige immer nur ein Schaf auf[386] die Schultern und weinte, und der Narr nahm deren immer zwei und sang. Darauf zogen sie mit dem übrigen Widder zur Wohnung des Königs, und als die Königin sie fragte: »Wo habt ihr die Schafe?« antwortete der Vernünftige: »Dort hinten!« Da hörte die Königin die Schellen, die am Hals des Widders hingen, und glaubte, daß die Herde dort sei. Sie hieß also die beiden Schäfer niedersitzen, setzte ihnen Essen vor und schenkte ihnen Wein ein. Dabei schenkte sie aber dem Vernünftigen stets zweimal ein und dem Narren nur einmal. Das verdroß den Narren und er fragte sie also: »Warum schenkst du dem zweimal und mir nur einmal ein, und ich trug doch zwei weg und lachte, und jener nur eines und weinte?« Da fragte der König den Vernünftigen: »Was soll das heißen?« »Es ist nichts,« antwortete jener, »du weißt ja, daß er ein Narr ist.« Doch der Narr rief: »Was, ich soll ein Narr sein? als wir die toten Schafe in den Abgrund warfen, hattest du da nicht immer nur eins auf den Schultern und weintest noch dazu, und hatte ich nicht immer deren zwei und sang dazu?«

Wie das der König hörte, wurde er sehr zornig und ließ beide in das Gefängnis werfen, vor dem eine eiserne Tür war; der Narr aber sang, während der Vernünftige weinte. Da fragte ihn der Narr: »Warum weinst du?« und jener sprach: »Ich sitze im Gefängnis und sollte nicht weinen?« – »Ja, wenn das ist, so wollen wir uns fortmachen.« Als nun der König und seine Leute weg waren, da stemmte sich der Narr wider die eiserne Tür und sprengte sie auf, dann hob er sie aus und nahm sie mit.

Unterwegs kamen sie an einer Mühle vorbei, vor der ein Mühlstein lag. Da rief der Narr: »Das ist meiner Mutter Spindelknopf!« und nahm ihn auch mit. Als[387] es nun Nacht wurde, stiegen sie auf einen Baum, um dort die Nacht zuzubringen; unter diesem lagerte sich aber eine Karawane. Über eine Weile sagte der Narr zu dem Vernünftigen: »Mich pissert,« und jener erwiderte: »Halt an dich, was du kannst!« der Narr aber sagte: »Ich kann nicht länger!« und pißte; da riefen die Kaufleute: »Seht den schönen Tau, den uns der liebe Gott schickt.« Nach einer Weile sagte der Narr: »Mich schmerzt die Schulter, ich muß die Türe fallen lassen,« und der Vernünftige sagte: »Tue das ja nicht, damit du die Leute nicht tot schlägst.« Jener aber sprach: »Ich kann nicht mehr,« und als er sie fallen ließ, liefen die Kaufleute weg bis auf einen Knaben. Da stiegen die beiden herunter. Der Vernünftige nahm alle Waren, der Narr nur eine Schere und eine Ladung Weihrauch. Darauf rief er jenen Knaben herbei und sagte ihm: »Wenn du mir deine Zunge zeigst, so gebe ich dir alle Waren zurück.« Da streckte der Knabe seine Zunge heraus und drack! schnitt sie ihm jener mit der Schere ab. Der Knabe lief nun den Kaufleuten nach, und als er blutend und heulend sie eingeholt hatte, da fingen sie erst recht an zu laufen.

Eines Tages wurde der liebe Gott krank, und als das der Narr hörte, stieg er mit seinem Weihrauch auf einen Berg, steckte ihn dort an und verbrannte ihn auf einmal. Davon wurde der liebe Gott wieder gesund und fragte: »Wer hat mir diese Wohltat erwiesen?« Da sprach der Narr: »Ich war es!« und der liebe Gott fragte: »Wie soll ich dir das vergelten?« Der Narr aber erwiderte: »Ich verlange weiter nichts, als jene Pfeife1.« Da gab sie ihm der liebe Gott und sprach: »Nimm sie, und wenn du darauf spielst, so soll alles tanzen, was auf Erden ist.«[388]

Der Narr nahm die Pfeife, und als er darauf spielte, fingen alle Bäume und Sträucher des Waldes zu tanzen an.

Eines Tages begegnete er einem Töpfer, der sein Geschirr zu Markte trug, und verlangte von ihm, daß er ihm einen Topf schenke. Der Töpfer aber wollte ihn nicht hergeben; da drohte der Narr, daß er ihm alle seine Töpfe zerbrechen werde, und als das der Töpfer nicht glaubte, zog er seine Pfeife hervor und spielte; da fingen die Töpfe zu tanzen an und stießen so lange aneinander, bis sie alle zerbrochen waren.

Anmerkungen. – Der walachische Bakala bei Schott Nr. 22, welchen wir zum Titelhelden der vorliegenden Formel Nr. 34 erhoben haben, entspricht den meisten Zügen der Textform. Er beginnt wie diese mit der Überlistung der beiden älteren Brüder bei der Viehteilung, doch betrifft sie nur eine einzige Kuh, welche Bakalas Zweighütte den Steinställen der Brüder vorzieht.

An der Stelle der Großmutter steht in der walachischen Form der Verkauf der Kuh an einen Baum, der, weil er nicht zahlt, von Bakala gefällt wird, und die Findung eines Schatzes in seinen Wurzeln. Weil der Pope die Brüder belauscht, als sie mit seinem Fruchtmaß das Schatzgeld teilen, wird er auf deren Geheiß von Bakala totgeschlagen. Sie fliehen deshalb, und auf der Flucht nimmt Bakala die Handmühle mit, die er vom Baume, auf dem sie übernachten, auf die unter ihm schlafenden Bauern fallen läßt. Auf deren Wagen findet Bakala den Weihrauchsack, mit dem er Gottes Krankheit heilt, wofür er einen Dudelsack erhält.

Der Vertrag mit dem Popen ist derselbe, nur besser motiviert als im Griechischen und schriftlich abgefaßt.

Darauf folgt der Tanz der Schafe, die er hütet, und des lauschenden Popen im Dornbusch. Dann muß die[389] Popin tanzen, sie stürzt durch das Bodenloch herunter und bleibt tot liegen. Bakala verdirbt die zu ihrem Totenmale bestimmten Speisen und nimmt das Kind des Popen aus, und als dieser mit seinem Sohne vor ihm fliehen will, steckt er sich in dessen Büchersack und läßt sich von ihm fortschleppen. Der Pope beredet sich mit seinem Sohne, ihn nachts ins Wasser zu stoßen. Bakala aber legt sich heimlich zwischen sie und stößt gegen Morgen auf Geheiß des Popen dessen Sohn ins Wasser, worauf dieser in Wut gerät und kraft des Vertrags von Bakala wirklich geschunden wird.

Darauf begegnet er einem Brautzuge, entfernt die Begleiter der Braut durch listige Vorspiegelung, tauscht mit der Braut die Kleider, nimmt am Brautschmaus teil, erreicht im Brautgemach vom Bräutigam die Erlaubnis, mit einer Schnur am Fuße abseits gehen zu dürfen, bindet einen Bock an die Schnur und entwischt.

Dieser letzte Zug findet sich auch in dem walachischen Allerleirauh bei Schott Nr. 3; hier aber ist er als eine weitere Berührung mit Thor sehr beachtenswert, der bekanntlich mit Böcken fährt, weil er die gemeinsame Quelle von Thors Brautpaar zu dem Riesen Hymir und dieses Zuges Bakalas noch augenscheinlicher macht, während sich der griechische Bakala mit dem nordischen Gotte nur durch seine ungeheure Stärke berührt.

Nimmt man aber Bakala für eine Parodie des Donnergottes, so ergibt sich die Beziehung des vom Baume prasselnden Mühlsteines auf den Donner und des Spiels des alles in Bewegung bringenden Dudelsackes auf den Gewittersturm gleichsam von selbst.

Hart zusammen finden sich beide Vorstellungen in dem böhmischen Märchen bei Grimm III, S. 342, wo ein sterbender Vater seinem Sohne eine Zither, nach der[390] alles tanzen muß, und einen Stab gibt, der jeglichen tötet und womit der Sohn drei Riesen erlegt. –

Anklänge an diese Figur bietet im Deutschen der junge Riese bei Grimm Nr. 90, und beachtenswert scheint uns, daß er, ebenso wie der griechische und walachische Bakala, dienend dargestellt wird, weil dies an Siegfrieds und Herakles Dienstbarkeit erinnert, worüber Näheres in unseren »vergleichenden Blicken« zu finden.

Noch näher als der junge Riese schließt sich der starke Hansl bei Zingerle Nr. 18 an Bakala, doch fehlt hier Schalkheit und Dienstbarkeit. Sein Verhältnis zum Teufel ist in unserem Märchen Nr. 18 und 23 parodiert. – Wie in der griechischen Variante, verstümmelt oder tötet (Nr. 24, S. 144) Hansl auch hier die seiner Obhut anvertraute Herde.

Der deutsche Eulenspiegel entspricht dieser griechisch-walachischen Gestalt nur annähernd, denn ihre hervorstechenden Züge sind die der Verrücktheit und der Gewalttat mit übermenschlicher Stärke gepaart, und ihre Schalkheit zeigt sich nur gelegentlich; sie scheint daher im Vergleiche zu der zahmeren Schalkheit der deutschen Figur eine ursprünglichere Form zu sein. – Der Verfasser erinnert sich jedoch, in Hessen-Homburg von einem Eulenspiegel gehört zu haben, der seine Großmutter mit Suppe verbrüht und sie dann mit dem Rocken unter dem Arme hinter die Stubentüre stellt.

Unter den uns bekannten Formen dieser Figur ist Kullerwo in der finnischen Kalewala, Rune 31–36, die vollendetste. Dessen Geburtsgeschichte entspricht der des eddischen Sigurds; darauf dient er dem Schmiede (dem er, gleich Herakles, verkauft wird), wie Sigurd in der Vilkinensage; hier schädigt er die Herde seines Herrn und bewirkt den Tod von dessen Frau, wie in dem griechischen[391] und walachischen Märchen. Auch tötet er ein seiner Wartung übergebenes Kind, zeigt sich herzlos gegen seine Blutsverwandten und besitzt eine Zauberpfeife wie hier. Doch erhält er nicht diese, sondern ein Zauberschwert auf seine Bitte von Ukko, dem Himmelsgotte, mit welchem er, gleich dem eddischen Sigurd, Vaterrache übt.

Die Verwandtschaft und mithin das Uralter der Figur des Märchens mit der starken Figur des hellenisch-germanischen Götterkreises erscheint uns durch die finnische Form unwiderleglich festgestellt. S. hierüber Näheres in des Verf. vergleichenden Blicken unter Siegfried-Herakles.

Das Ausheben und Mitnehmen der Haustüre, um sie zu verwahren, die dann mit auf den Baum genommen und auf die unter demselben lagernden Räuber geworfen wird, findet sich auch bei Grimm Nr. 59 und Zingerle S. 145.

Die Bedingung, unter welcher sich der Narr beim Priester verdingt, entspricht der in Nr. 11 und klingt an die Streiche an, für welche sich der junge Riese in Grimm Nr. 90 bei dem Schmiede und Amtmanne verdingt.

Der Gedanke der Unwiderstehlichkeit der Musik, der in der hellenischen Sage an Orpheus, in der deutschen Gudruns-Sage an Horands Gesang und in den deutschen Märchen bei Grimm Nr. 56 u. 110 an der vom Zwerg geschenkten Fiedel haftet, wird hier an eine von Gott geschenkte Pfeife oder Flöte geknüpft. Bei Wolf, D.M.u.S., Nr. 24 erscheint die tanzenmachende Flöte mit einem alles schießenden Bogen verbunden.

Der Zug der Variante von der Krankheit Gottes und deren Heilung durch den Weihrauch hat ein offenbar heidnisches Gepräge.

Fußnoten

1 τὸ σουραύλι.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 385-392.
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