[320] 6. Vom Prinzen und seinem Fohlen.

Text (aus Ziza bei Jannina).

Variante 1. (Aus Ziza.) – Der als Arzt verkleidete Jude verlangt nicht die Leber des Königssohnes, sondern die Eingeweide eines Fohlens, die auf den Leib der Königin gelegt werden müßten, und der König antwortet: »Wir haben ein Fohlen im Stall, das soll geschlachtet werden. – –«

Der Prinz verlangt nicht drei Anzüge, sondern einen goldenen Anzug und einen goldenen Sattel. – –

Der Zug des heimlichen Reitens ist aus dieser Variante in den Text aufgenommen, nach dessen Version die Königstochter den Prinzen nicht beim Reiten belauscht, sondern, als er sich vom Wege erhitzt unter dem Königsschlosse stehend abkühlt, sein kostbares Gewand durch den Schlitz des Kittels erblickt, und daraus auf seine königliche Abkunft schließt.

Variante 2. (Aus Agia Anna.) – Es waren einmal zwei Eheleute, die lebten vierzig Jahre miteinander, ohne Kinder zu bekommen, und baten daher den lieben Gott, er möge ihnen ein Kind schenken, und wenn es herangewachsen wäre, könne es der Drakos holen.[320]

Da kam ein Drakos, ließ sich von ihnen das Kind versprechen, wenn sie eines bekommen würden, und gab ihnen einen Apfel. Den aßen sie zusammen und gaben die Schalen einer Stute. Davon gebar die Frau einen Knaben, die Stute aber einen jungen Hengst. Als der Knabe zehn Jahre alt war und in die Schule ging, ließ der Drakos durch ihn den Vater an sein Gelübde erinnern. Andern Tages aber sagte der Knabe auf die Weisung seines Vaters, daß er den Auftrag vergessen habe1. Da ergriff ihn der Drakos und brachte ihn auf sein Schloß. Dort gab er ihm vierzig Schlüssel, damit er die vierzig Kammern öffnen und sich an deren Inhalt unterhalten könne. Den Schlüssel zu der einundvierzigsten Kammer aber nahm der Knabe heimlich weg, während der Drakos schlief. In dieser fand er ein Roß, und dies sagte ihm, er solle ein Stück Seife, einen Kamm und einen Spiegel holen, und wenn der Drakos schliefe, wollten sie sich flüchten. Vor der einundvierzigsten Kammer fand der Knabe eine Pfütze voller Gold und eine andere voller Silber. Er tauchte den Finger in die goldene und verband ihn mit einem Stückchen Zeug. Als der Drakos aufwachte, fragte er den Knaben, warum er seinen Finger verbunden habe, und dieser erzählte ihm, daß er ihn in eine Goldpfütze getaucht hätte, und als er den Verband abnahm, war sein Finger vergoldet. Da packte ihn der Drakos und tauchte ihn ganz in die Pfütze, und davon wurde er am ganzen Leibe golden.

Darauf flieht der Jüngling mit dem Pferde. Der Drakos verfolgt ihn vergebens, gibt ihm aber noch den Rat auf den Weg, einen alten Mann so lange zu schütteln, bis die Knochen aus ihm herausfallen würden, und sich[321] in dessen Haut zu stecken, damit er in dem Lande, wohin er komme, sein Leben nicht verliere.

Nach einer Weile begegnete der Jüngling einem alten Mann und der gab ihm denselben Rat. Da rief der Knabe: »Wo könnte ich einen Menschen finden, der älter wäre als du?« nahm ihn bei den Haaren, schüttelte ihm alle Knochen aus der Haut heraus und steckte sich hinein.

Darauf kam er zu einem König, der vierzig Blumengärtner und vierzig Gemüsegärtner hatte, und verdingte sich bei ihm nur für die Kost.

Der König hatte auch drei Töchter, welche in einem besonderen Turm wohnten und unverheiratet waren.

Am Sonntag schlüpfte der Jüngling aus seiner Haut, brannte das Haar an, das er von dem Pferd mitgenommen und tummelte das sofort erschienene Pferd zwei Stunden lang im Garten, bis dieses ganz zuschanden wurde, und so machte er es jeden Sonntag, wurde aber einstmals von der jüngsten Königstochter belauscht.

Hierauf folgt der Zug mit den drei Melonen wie im Texte, infolgedessen der König die beiden ältesten Töchter verheiratet, die jüngste aber durch den Wurf mit dem Apfel wählen läßt. Sie wirft dreimal den Alten.

Der König war aber darüber so zornig, daß er beide in den Gänsestall sperren ließ.

Nach einiger Zeit wurde der König von einer Augenkrankheit befallen, die nur mit der Milch der Hirschkuh geheilt werden konnte. Seine beiden Schwiegersöhne zogen danach aus, und als auch der Alte auszuziehen verlangte, gab man ihm zum Spott ein lahmes altes Pferd. Er aber holte die Milch auf seinem eigenen Roß und füllte eine andere Flasche mit Pferdepisse, und als er seinen Schwägern als goldener Ritter begegnete, da fragten sie ihn, ob er[322] nicht wisse, wo sie die Milch der Hirschkuh finden könnten, und er antwortete: »Ich habe solche Milch, wenn ihr sie aber erlangen wollt, müßt ihr euch eure Hintern von meinem Hengst mit den Hufen siegeln lassen.« Anfangs erschien ihnen die Bedingung zu hart, aber endlich ließen sie sich es gefallen, und nachdem der Hengst beide gesiegelt hatte, gab ihnen der Jüngling die falsche Flasche.

Als nun der König das Mittel anwandte, das sie ihm gebracht hatten, erblindete er gänzlich. Darauf gab der Jüngling die wahre Flasche seiner Frau, und damit heilte sie ihren Vater, und zum Dank dafür durfte das Ehepaar nun in dem Pferdestall wohnen.

Bei dem Kriegszuge erhielt der Jüngling ein einäugige Pferd, um mitzuziehen.

Der König verband die Wunde des Siegers mit dem Schnupftuche, welches seine jüngste Tochter gestickt hatte, und erzählte ihr dies bei der Rückkehr. Als die Prinzessin zu ihrem Manne zurückkehrte, war er vor Müdigkeit eingeschlafen, und sie erkannte an ihrem Tuche, mit dem seine Hand verbunden war, daß er der Sieger sei. Um aber vor dem König zu erscheinen, verlangte er, daß das Heer in Reihe und Glied stehen und die Musik spielen solle, und nun ritt er in seiner ganzen Herrlichkeit zum König, der ihn wohl empfing, bei dem Gastmahle aber seine beiden Schwäger vor ihn setzte. Da fragte er den König: »Warum setzest du mich an den dritten Platz?« Der König aber antwortete: »Weil du der jüngste bist.« Der Jüngling aber rief: »Jene beiden sind meine Sklaven, denn mein Hengst hat sie auf den Hintern gezeichnet; und wenn du es nicht glauben willst, so laß ihnen die Hosen herunterziehen.« Als sich nun der König von der Wahrheit überzeugt hatte, da stand er von seinem Throne auf und setzte den Jüngling darauf.

[323] Anmerkungen. – Das Märchen gehört zur Verkappungsformel Nr. 36.

Die Mutter, welche ihre Kinder wegen eines ehebrecherischen Verhältnisses mit einem Juden aus dem Wege zu räumen sucht, wiederholt sich in Nr. 36.

Das deutsche Märchen vom treuen Füllchen bei Wolf, Deutsche Hausmärchen, S. 276 zeigt mit dem unsrigen eine wahrhaft überraschende Übereinstimmung. Auf Anraten ihres Buhlen, des Hofjuden, will die Mutter aus Furcht vor dem rückkehrenden Gatten ihren Sohn durch vergifteten Kaffee und ein vergiftetes Kittelchen aus dem Wege räumen, was beides durch dessen treues Fohlen vereitelt wird. Statt der von der Königin zu ihrer Genesung verlangten Zunge des siebenjährigen Knaben will der Vater dem gleichalterigen Fohlen die Zunge ausschneiden lassen. Nach dreimaliger Umkreisung des Schlosses entflieht das Fohlen mit dem Helden durch die Lüfte. Er nimmt Dienst als Stallknecht, dann als Gartenknecht; die Prinzessin belauscht seine Verwandlung zu einem schönen, im Garten spazierenreitenden Ritter, sie verlangt ihn von ihrem Vater zum Manne, erhält ihn, muß aber zur Strafe mit ihm im Hühnerhause wohnen.

Krieg, Auszug des Helden auf einem lahmen Pferde, Verspottung, durch ihn erkämpfter Sieg, Verbindung seiner Wunde mit des Königs Schnupftuch, alles wie im Textmärchen, doch fehlen die Schwäger. –

Bei Grimm Nr. 136 und Zingerle Nr. 28 ist der Eingang abweichend. Von dem Eintritt des Helden in den Dienst aber, ebenso wie Zingerle Nr. 32, übereinstimmend, doch fehlen auch hier die Schwäger.

Der Zug der Verkappung des Helden unterscheidet sich von der der Tierformel als nicht ursprünglich, sondern[324] später angenommene, und von der der Bertaformel als nicht zwangsweise auferlegt.

Anklingende Spuren dieser Verkappung bietet die Vilcinasaga, Kap. 201. Nun nahm sich Sigurd Waffen und Kleider und ein schlechtes Roß, und er hatte keinen Sattel und ritt so (unerkannt) zu König Thidreks Zelt. Darauf läßt er sich von einem Blutsfreunde, den er im Kampfe überwunden, um Thidrek und seine Genossen zum besten zu haben, als Überwundenen an einen Baum binden. Auch das Einreiten der Landesherren nach deutschen Bräuchen in schlechter Kleidung und auf einäugigem Pferde scheint hier einzuspielen.

Sehr eigentümlich und sich Nr. 45 wiederholend, ist in Variante 2 der alte Mann, aus dessen Haut der Held die Knochen schüttelt und sich dann mit derselben bekleidet. Verbinden wir hiermit die Vergoldung des Helden in Variante 2 und dessen goldenen Anzug und goldenen Sattel in Variante 1, so liegt der Gedanke nahe, den Verkappten zu dem jungen Herakles und dem als alten Mann verkappten Odysseus zu stellen und ihn als eine Verkörperung der Winterwende zu betrachten; s. hierüber Näheres in unseren vergleichenden Blicken.

Der Zug, daß der Knabe sich den Finger vergoldet, indem er ihn in eine Pfütze taucht, kommt besser begründet bei Grimm Nr. 136 vor (s. auch Grimm Nr. 3).

Die hierauf erfolgende Vergoldung des ganzen Körpers durch das Eintauchen in die Pfütze findet sich ähnlich bei Zingerle Nr. 32, wo die über den Ungehorsam des Helden erzürnte Alte ihm den Kessel auf den Kopf wirft, wovon seine Haare so schön gelb wurden, daß man meinte, sie seien eitel Gold. Um sie nicht zu beschmutzen, bedeckt er sie (wie in Grimm Nr. 136 mit dem Hütchen und unserm Märchen Nr. 50 mit der Blase) mit einer Baumrinde.

Fußnoten

1 διὰ ν᾽ ἀστοχήσῃ τὸν πατέρα του.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 320-325.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon