[414] 61. Der Jäger und der Spiegel, der alles sieht.

[414] Aus Agia Anna. –

Zusammengesetzt aus der Formel der dankbaren Tiere Nr. 32 und der Brautwette Nr. 23.

Der Baum, auf welchen die Schlange kriechen will, um die Jungen aus dem in seinem Wipfel befindlichen Adlerneste zu rauben, erinnert lebhaft an die eddische Weltesche Yggdrasil, an deren Wurzeln der Drache Nidhöggr und auf deren Gipfel der Adler in Zwietracht miteinander hausen.

Auch im indischen Hitopadesa kommt der Zug vor, daß ein Schwan seine Flügel ausbreitet, um einen unter einem Baume schlafenden Wanderer vor der Sonne zu schützen (Benfey, Pantschatantra I, S. 228).

Der Fuchs, der um Schonung bittet, als der Jäger mit den Worten: »Du kommst mir gerade recht, denn ich laufe nun drei Tage herum, ohne etwas zu schießen,« auf ihn anschlägt, stellt sich zu dem Fuchse, der bei Grimm Nr. 60 dem Jäger zuruft:


Lieber Jäger, laß mich leben,

Ich will dir auch zwei Junge geben.


Vergl. auch Grimm Nr. 107.

Das entsprechende walachische Märchen findet sich bei Schott Nr. 13. Der Held ist hier ein Schweinehirt, der mit der ganzen Natur und allen Tieren auf dem besten Fuße steht. Das Verstecken in Luft und Wasser entspricht unserem Märchen; eigentümlich ist nur das dritte: ein dem Helden befreundeter Waldgeist verwandelt ihn in eine Rose und gibt sie der Prinzessin, diese steckt sie in ihre Haare und kann ihn daher nicht finden. Auch hier siegt also das Verstecken in ein Erdelement,[415] doch mutet uns die griechische Form ursprünglicher an.

Dieselbe Brautwette erzählt ein anderes walachisches Märchen (Schott Nr. 17), nur mit dem Unterschiede, daß der Wettende der Vater der Braut ist, auf dessen Kopf bei der dritten Wette der Held von seinem zauberkundigen Pferd als Laus gesetzt und der, nachdem er die Wette verloren, von dem Helden enthauptet wird.

Der zweite Teil des Märchens bildet das Gegenstück zum griechischen Märchen Nr. 63.

Die letztere Form bildet den Übergang unseres Märchens zu der schönen Faröer Sage, nach welcher sich der von einem Riesen dem Vater im Spiele abgewonnene Knabe vertragsmäßig dreimal vor diesem mit Odins, Hönirs und Lokis Hilfe versteckt.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 414-416.
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