[418] 64. Der starke Hans.

Text (aus Syra).

Variante 1. Janni, des Priesters Sohn. (Aus Witza.) – Es war einmal ein Priester, der hatte einen Sohn, welcher aber so stark wie Samson war.

Als er noch in die Schule ging, fragte er seine Schulkameraden, wenn sie zusammen gegessen und getrunken hatten: »He, ihr Jungen, nun haben wir gut gegessen und getrunken, wißt ihr einen, der stärker ist als ich?« Auf den Rat des Schullehrers antworteten sie ihm, als er wieder einmal fragte: »Wenn du wirklich so stark bist,[418] so reiße den Platanenbaum mit der Wurzel aus.« Da machte sich der Janni daran und riß den Baum mit der Wurzel aus und sprach darauf: »Lebt wohl, ihr Jungen, ich will nun fort und nach meinesgleichen suchen.«

Da ging er zu den Zigeunern (Schmieden) und bestellte sich bei ihnen einen Eisenstab, so groß und schwer sie ihn nur machen könnten. Sie machten ihm einen, der tausend Pfund1 wog; er aber sprach: »Der ist viel zu schwach, nehmt nur alles Eisen, das ihr habt, dazu!« Da machten sie ihm einen Stab von zweitausend Pfund, und nachdem er den probiert hatte, sprach er: »Auch dieser Stab ist mir noch zu leicht, aber weil ihr keinen besseren machen könnt, so will ich mich mit ihm behelfen.«

Darauf kam er in eine Stadt, in welcher ein Drakos wohnte, der täglich einen Menschen verzehrte, und wenn ihm dieser nicht gebracht wurde, so kam er heraus und fraß alle Menschen, die ihm in den Wurf kamen.

Als nun auf die Königstochter das Los gefallen war, da griff Janni den Draken an, während er das Mädchen packen wollte, und hatte ein ganze Stunde mit ihm zu kämpfen, bis er ihn tötete. Nun sagte ihm die Königstochter, daß sie ihn und keinen anderen zum Manne nehme und mit ihm hier wohnen wolle. Er vermählte sich also mit ihr.

Nachdem der König vergebens seine Tochter zurückverlangt hat, verspricht er sie dem zur Ehe, der sie ihm bringen würde. Da meldete sich ein Mann, der nur ein Auge, eine Hand und einen Fuß hatte, und versprach, sie zu holen.

Als der Janni den halben Menschen sah, sagte er zu seiner Frau: »Der wird mich umbringen, und wenn das[419] geschehen ist, so lege meinen Leib in einen Sarg und schreibe außen mit goldenen Buchstaben darauf: Hans, des Priesters Sohn.«

Jannis Kampf und Tod wie im Texte.

Als die Prinzessin zu ihrem Vater kam, sagte sie: »Vater, ich bitte dich, daß du mich in einem schwarzen Schlosse meinen Mann drei Jahre lang betrauern lässest.«

Nun suchen der Priester und seine Frau ihren Sohn auf, und als sie unterwegs Rast hielten, sahen sie, wie zwei Schlangen miteinander kämpften und die eine die andere tötete. Da sagte der Priester zu seiner Frau: »Decke die Schlange mit Blättern zu, damit man sie nicht sieht.«

Als das die Frau tat, wurde die Schlange von den darauf geworfenen Blättern wieder lebendig. Da sagte der Priester zu seiner Frau: »Stecke dir die Taschen voll von diesem Kraute, denn das ist eine gute Arzenei.«

Mit diesem Kraute beleben sie ihren Sohn wieder.

Dieser gab ihnen darauf so viel Geld, als sie tragen konnten, von den Schätzen des Draken, und sagte ihnen, daß sie damit nach Hause gehn sollten, und er werde bald nachkommen.

Auf den Rat des Janni erforscht seine Frau den Ort, wo die Stärke des halben Mannes liege, und unter vielen Schmeicheleien und dem Vorwande, daß nun bald die Zeit herankomme, wo sie ihn heiraten werde, sagt er ihr endlich, daß auf einem Berge eine Wildsau lebe und in ihrem Bauche zwei Tauben seien, und in diesen sitze seine Stärke.

Da nahm Janni seinen Eisenstab und ging zu jenem Berge. In der Nähe traf er einen Schäfer und verdingte sich als Knecht bei ihm.

Als Janni zum erstenmal mit den Schafen ausfahren wollte, da sagte ihm der Schäfer: »Höre nun, was ich dir sage, damit du nicht zu Schaden kommst. Du darfst[420] nicht jenseits jener Grenze weiden, denn dort haust eine Wildsau, die dich und die Schafe frißt.« – »Sehr wohl!« antwortete Janni, trieb aber seine Schafe geradeswegs dorthin, und sobald ihn die Sau gewahr wurde, stürzte sie sich auf ihn und wollte ihn fressen. Da kämpften sie miteinander so lange, bis sie vor Müdigkeit nicht mehr konnten, und dann setzten sie sich einander gegenüber, um auszuruhen. Da sprach die Sau: »Höre, Janni, wenn ich einen recht fetten Sumpf hier hätte und mich darin wälzen könnte, so wollte ich nicht Wildsau heißen2, wenn ich dich dann nicht fräße!« Und jener sprach darauf: »Wenn ich einen warmen Laib Brot und eine Flasche Wein hier hätte und beides verzehren könnte, so wollte ich nicht Janni heißen, wenn ich dich dann nicht totschlüge!« Darauf gingen sie für diesmal auseinander. –

Als nun der Janni am Abend nach Hause kam und der Schäfer die Schafe so satt und ihre Euter so gefüllt fand, da wunderte er sich, wo er sie wohl geweidet haben möchte; und da auch am zweiten und dritten Abend die Schafe wohlgenährt nach Hause kamen, schickte er ihm seine Tochter heimlich nach, um zu erfahren, was er mit den Schafen anstelle. Das Mädchen folgte dem Janni, ohne daß er es gewahr wurde, und sah aus einem Verstecke seinen Kampf mit der Wildsau an und hörte, was sie zueinander sprachen, als sie vor Müdigkeit nicht mehr kämpfen konnten. Die Wildsau sagte zu Janni: »Höre, Janni, wenn ich nun einen recht fetten, fetten Sumpf hätte und mich drin wälzen könnte, so wollte ich nicht Wildsau heißen, wenn ich dich nicht fräße!« Und dieser sagte darauf: »Und wenn ich nun einen warmen, warmen Laib Brot und eine Flasche Wein hätte[421] und das Brot essen und den Wein trinken könnte, so wollte ich nicht Janni heißen, wenn ich dich nicht totschlüge!« Da lief das Mädchen zum Vater zurück und erzählte ihm, was es gesehen und gehört hatte.

Als der Janni am Abend nach Hause kam, sagte ihm der Hirte nichts von dem, was er durch seine Tochter erfahren hatte. Aber am andern Morgen buk er ein großes Brot und füllte eine große Holzflasche mit Wein und gab beides dem Mädchen mit. Als nun Janni und die Wildsau wieder miteinander kämpften, bis beide so müde waren, daß sie nicht mehr konnten, und sich ausruhten und dabei die gewöhnlichen Reden wechselten, da gab das Mädchen dem Janni das Brot und den Wein, und nachdem er gegessen und getrunken hatte, gab er der Wildsau mit seinem Eisenstabe einen solchen Schlag auf den Kopf, daß sie davon tot hinstürzte.

Darauf schnitt er ihr vorsichtig den Bauch auf, nahm die beiden Tauben heraus und schlachtete die eine, und in demselben Augenblick rief der halbe Mensch: »Ach! weh mir, mein halbes Leben ist weg, der einen Taube muß etwas zugestoßen sein.«

Die andere Taube aber nahm der Janni mit und schlachtete sie vor dem halben Menschen, und so starb dieser.

Variante 2. (Aus Agia Anna.) – Es war einmal ein Priester, dem gebar seine Frau einen Knaben, der schon mit zwei Monaten sprechen konnte, und dabei so groß und stark war, daß er ihn mit den andern Knaben in die Schule schickte. In diese ging auch der Sohn des Königs, und eines Tages gerieten die beiden Knaben in Streit, und der Priestersohn prügelte den Königssohn durch. Darauf beklagte sich dieser bei seinem Vater und der König schickte zwei von seinen Leuten aus,[422] um den Priestersohn zu holen. Sie fanden ihn in der Schule und sagten ihm: »Komme mit, denn der König will dich sprechen;« der Knabe aber erwiderte: »Jetzt habe ich keine Zeit, denn jetzt muß ich lernen.« Als sie nun den Knaben mit Gewalt packen wollten, da schlug sie dieser nieder und lief aus der Schule. Die Schergen aber gingen zum König zurück und erzählten ihm, wie es ihnen gegangen sei. Darauf sprach dieser: »Schämt ihr euch nicht, euch von einem zwei Monate alten Kinde prügeln zu lassen?« und schickte darauf sieben Soldaten nach ihm aus. Als sie zur Schule kamen, saß der Knabe darin und las; wie sie ihn aber packen wollten, wehrte er sich dermaßen und teilte solche Hiebe aus, daß die sieben Soldaten die Flucht ergriffen und zu dem König gingen und ihm berichteten, wie es ihnen mit dem Knaben ergangen sei. Da sprach der König: »Laßt ihn in Ruhe!« und ging zu dem Priester und sagte ihm, daß er seinem Sohne zusprechen solle, sich ordentlicher zu betragen. Der Priester versprach das, bedachte aber zugleich, daß der Knabe von Tag zu Tag mehr esse und er ihn, wenn das so fortgehe, bald nicht mehr zu ernähren imstande wäre.

Als nun der Knabe am Abend nach Hause kam, sagte sein Vater zu ihm: »Lieber Sohn, ich bin nicht imstande, dich zu ernähren, gehe daher in ein anderes Land;« und jener erwiederte: »Das ist mir ganz recht, und ich will mein Glück in der Welt versuchen, wenn du mir deinen Segen gibst.« Da gab ihm der Vater den Segen, und der Knabe ging zum Hafen und bat dort einen Schiffer, ihn mitzunehmen, er wolle ihm dafür unterwegs dienen, weil er kein Geld habe, um den Frachtlohn zu bezahlen. Der Schiffer war das zufrieden und nahm ihn ins Schiff. Als man nun den Anker lichten wollte, da sah der Priestersohn,[423] daß die Schiffsmannschaft große Mühe damit hatte; er sprang also ins Meer und hob den vierzig Zentner schweren Anker mit einer Hand in das Schiff. Wie das der Schiffer sah, wunderte er sich sehr und befahl seinen Leuten, höflich mit dem Fremden zu sein, damit er ihnen kein Leid antue. Als nun die Mittagszeit herankam, sagte der Schiffer zum Schiffsjungen: »Nimm diesen Menschen und besorge mit ihm das Essen.« Der Schiffsjunge aber hieß ihn sieben Stück Zwieback3 in einem Wasserkessel aufweichen. Da sprach der Priestersohn bei sich: »Sieben Zwiebäcke! ich allein brauche den ganzen Sack.« Er leerte also den ganzen Vorrat4 in den Kessel, um ihn aufzuweichen. Als das der Schiffer sah, wurde er sehr zornig und rief nach dem Schiffsjungen, und fragte ihn, warum er den ganzen Vorrat auf einmal eingeweicht habe. Dieser aber verschwor sich, daß er davon nichts wisse, sondern daß es der Fremde getan haben müsse; und der Schiffer sagte darauf: »Wenn wir abgegessen haben, so trockne die Zwiebäcke wieder in der Sonne, damit sie nicht zugrunde gehn.« Nachdem nun die Schiffsleute abgegessen, setzte sich auch der Priestersohn zu Tisch, aß den ganzen Zwieback auf und war doch noch nicht satt davon. Da sprach der Schiffer zu seinen Leuten: »Solange der Fremde im Schiff ist, dürft ihr nicht zu essen verlangen, denn sonst müssen wir auch dem Fremden geben, und dann frißt er uns den ganzen Proviant auf.«

Den andern Tag kamen sie ans Land und schifften sogleich den Priestersohn aus. Weil er nun sehr hungrig war, so ging er zu einem Bäckerladen und fragte den[424] Bäcker: »Wieviel willst du haben, damit ich mich an deinem Brote satt essen darf?« Der Bäcker dachte in seinem Sinn, mehr als fünf Pfund wird er doch nicht essen können, und verlangte daher eine Drachme. Da sagte der Priestersohn: »Gut, die sollst du haben!« setzte sich hin und aß die drei Öfen voll fertiger Brote rein auf. Als das der Bäcker sah, verlangte er von dem Fremden Entschädigung für seinen Verlust, dieser aber berief sich auf ihren Kontrakt; nun verlangte der Bäcker wenigstens die bedungene Drachme, und der Priestersohn antwortete, daß er keinen Heller habe, das Geld aber mit seiner Arbeit abverdienen wolle. Da wurde der Bäcker zornig und ergriff seine Brotschaufel, um ihn damit zu prügeln; der Priestersohn riß sie ihm aber aus der Hand und prügelte ihn selbst damit. Darauf lief der Bäcker zum König und verklagte den Priestersohn und erzählte, wie es ihm ergangen sei. Der König versetzte: »Auf meinem Spaziergange werde ich heute an deiner Bude vorüberkommen und mir den Fremden ansehn.«

Als sich nun der König ihn angesehn hatte, nahm er ihn in seine Dienste und ließ dem Bäcker sein Brot zahlen. Darauf schickte der König alle seine Soldaten weg und hielt sich nur den Priestersohn, denn dieser war allein stark genug, um ein ganzes Königreich zu bekämpfen. Der Priestersohn blieb nun zehn Jahre bei dem König und nahm täglich an Größe und Stärke zu, aß und trank aber auch täglich mehr, so daß er nach und nach dem König sein ganzes Reich aufaß. Als der König sah, daß er ihn nicht mehr länger ernähren könne, sprach er zu ihm: »Mein Sohn, du bist nun lange genug in diesem Lande gewesen, um es kennen zu lernen, du mußt dich nun auch anderweitig in der Welt umsehn.« Da sagte der Priestersohn: »Gut, ich will weiterziehen, aber laß mir vorher[425] eine eiserne Keule von vierzig Zentnern machen.« Nachdem diese fertig war, warf er sie so hoch in die Luft, daß sie zerbrach, als sie auf den Boden niederfiel, und bat also den König, ihm eine andere von achtzig Zentnern machen zu lassen. Als er diese in die Luft warf, zerbrach sie nicht; da sagte er: »Die ist gut, und nun zeigt mir den Weg aus dem Lande, denn ich weiß ihn nicht.« Da ließ ihn der König arglistigerweise in einen Wald weisen, der nach und nach so dicht wurde, daß er darin nicht mehr fortkommen konnte; er aber nahm seine Keule und warf sie wider die Bäume, so daß sie reihenweise zusammenknickten, und bahnte sich so einen Weg durch den Wald.

Als er endlich ins Freie kam, sah er ein Haus vor sich und darin fand er einen Drakos, der vor einem großen Kessel stand und das Essen umrührte, das darin war. Dieser Kessel hatte zehn Handhaben und war so groß, daß ihn nur die zehn Draken, denen er gehörte, zusammen vom Feuer heben konnten. Der Priestersohn aber machte wenig Umstände und hob ihn allein vom Feuer, setzte sich dazu und verzehrte alles Essen der zehn Draken allein, so daß nichts davon übrig blieb.

Diese Draken waren gewohnt, wenn sie von der Jagd zurückkehrten, von weitem ihre Pfeile in das Dach der Hütte abzuschießen, zum Zeichen, daß der, welcher das Essen kochte, den Tisch decken solle, und das taten sie auch diesmal. Sie waren aber sehr erstaunt, den Tisch nicht gedeckt zu finden, als sie in die Hütte kamen. Da fragten sie den Küchenmeister, was das zu bedeuten habe, und dieser erzählte ihnen, was vorgefallen und zeigte ihnen den Priestersohn, der, nachdem er satt war, sich bei der Hütte mit seiner Keule im Arme in den Schatten gelegt hatte und eingeschlafen war. Da sagten sie untereinander: »Wir wollen ihn jetzt, wo er schläft, an den Spieß stecken[426] und ihn dann braten und verzehren, damit wir wieder zu unserm Essen kommen.« Die neun Draken hoben nun die Füße des Schlafenden auf und der zehnte setzte ihm den Spieß an, um ihn zu spießen. Davon erwachte aber der Priestersohn und schlug sie alle zehn mit seiner Keule tot.

Diesen Abend blieb er in der Hütte, und am andern Morgen ging er weiter und wanderte, bis er zu Mittag an eine andere Hütte kam. Darin fand er einen andern Drakos, der in einem großen Kessel das Essen rührte. Dieser Kessel war aber viel größer als der erste, denn er hatte vierzig Handhaben5. Doch der Priestersohn hob ihn allein vom Feuer und aß alles Essen auf, das darin war. Als nun die neununddreißig Draken von der Jagd zurückkamen und essen wollten, hörten sie von dem zurückgebliebenen, was vorgefallen war. Unter diesen vierzig Draken war aber einer bei weitem stärker als die übrigen, der sagte zu den andern: »Weckt mir einmal den Fremden und bringt ihn hierher.« Da gingen die andern dahin, wo jener sich niedergelegt hatte und weckten ihn und führten ihn zu dem starken Draken. Der sprach zu ihm: »Es ist Sitte bei uns, daß jeder Fremde, welcher zu uns kommt, mit einem von uns auf dieser kupfernen Tenne ringen muß, und wenn er überwunden wird, so fressen wir ihn.« Da sprach der Priestersohn, daß er das zufrieden wäre. Sie packten also einander und rangen; doch es konnte keiner den andern werfen; endlich aber stülpte der Drakos den Priestersohn bis an die Knie in die kupferne Tenne ein. Nun wurde jener zornig, sprang aus dem Loch und stülpte den Drakos bis an den Hals in das Kupfer, so daß er nicht mehr heraus konnte. Dann ergriff er seine Keule und wollte sie alle damit totschlagen; die Draken[427] aber riefen: »Töte uns nicht, wir wollen Brüderschaft mit dir machen und dir unsere Schwester zur Frau geben und für eure Leibesnahrung sorgen.« Das war der Priestersohn zufrieden; er zog also den Drakos, der in der Tenne stak, heraus, und ging mit den Draken zu ihrer Schwester, nahm diese zur Frau und lebte mit ihr von der Nahrung, welche die Draken herbeischafften und zubereiteten, und davon wurde er immer noch stärker. Jeden Morgen stellte er sich daher ans Fenster und rief: »Ihr Berge und Täler, kommt her und kämpft mit mir!« Und wenn ihn seine Frau fragte, warum er so rufe, da antwortete er: »Ich rufe so, damit es in der Welt bekannt werde, und jeder, wer da will zu mir kommen und mit mir ringen kann, um zu sehen, ob es irgendeinen auf der Welt gibt, der stärker ist als ich.«

Auf die Dauer wurde er jedoch dieses untätigen Lebens überdrüssig und er sagte daher: »Frau, ich will auf die Jagd gehen; weil ich dich aber so lieb habe, will ich dein Bildnis mitnehmen und es von Zeit zu Zeit ansehen, damit ich nicht vergesse, wie du aussiehst.« Da gab sie ihm das Bild und er wanderte eine Stunde lang, machte aber in dieser Zeit ebensoviel Weg, als ein anderer in einem Tage, und kam so an die See. Als er nun am Strande stand, zog er das Bildnis seiner Frau hervor, um es anzusehen. Während er es aber herauszog, riß es ihm ein Windstoß aus der Hand und trieb es in das Meer. Der Zufall wollte, daß da, wo es ins Wasser fiel, ein Fisch schwamm und es aufschnappte und daß dieser Fisch von den Fischern gefangen wurde, welche ihre Fische an die Küche des Königs lieferten. Als nun der Koch jenen Fisch aufschnitt, fand er in seinem Bauche das Bild und schickte dasselbe dem Sohn des Königs. Dieser aber verliebte sich dergestalt in das Bild, daß er zu seinem Vater ging und[428] zu ihm sprach: »Lieber Vater, diese und keine andere will ich zur Frau, und wenn ich sie nicht bekomme, so vergifte ich mich.« Der König versuchte alles mögliche, um seinen Sohn auf andere Gedanken zu bringen, der aber blieb auf seinem Kopfe.

Davon hörte eine alte Frau, die in jener Stadt wohnte, und ging zum König und verlangte das Bild zu sehen, und als es ihr der Prinz gab, sagte sie, daß es das Bild eines Drakenmädchens sei. Da sprach der König zu ihr: »Wenn du imstande bist, sie zu holen, so sollst du ein halbes Königreich haben.« Nun machte sich die Alte auf, ging zu dem Turme, in welchem der Priestersohn mit der Drakin wohnte, und klopfte an die Türe. Die Drakin trat zum Fenster, um zu sehen, wer da sei, und sprach dann zu ihrem Manne: »Draußen steht eine alte Frau, die wollen wir essen.« Der Priestersohn aber erwiderte: »Nein, liebe Frau, wir wollen sie leben lassen, damit sie uns die Teller spüle.« Sie ließen also die Alte ein und die erwies sich sehr dienstfertig. Als sie aber am andern Morgen hörte, wie der Priestersohn zum Fenster hinausrief: »Berge und Täler, kommt und kämpft mit mir!« da fragte sie seine Frau, warum ihr Mann so rufe. Diese aber antwortete: »Er tut das, weil er erfahren will, ob auf der Erde ein Stärkerer ist als er.« Darauf sprach die Alte: »In dem und dem Lande ist eine Frau, die Krikeça heißt, und stärker als diese ist niemand auf der Welt, denn sie frißt jeden Tag einen Menschen aus der Stadt.« Als nun am andern Morgen der Priestersohn zum Fenster hinausrief, wie er gewohnt war, da sagte ihm seine Frau: »Ei, Mann, so laß doch dein Rufen sein, denn in dem und dem Lande ist eine Frau, die Krikeça heißt und stärker ist, als irgend jemand in der Welt und jeden Tag ein Mädchen frißt.«[429]

Als das der Priestersohn hörte, machte er sich sogleich nach jener Stadt auf und fragte dort, wo die Krikeça wohne, und die Leute zeigten ihm das und sagten: »Jetzt wird man ihr das Mädchen bringen, das heute für sie bestimmt ist.« Er aber ging in das Haus und befahl ihrem Diener, ihm eine Schale Kaffee zu machen, wie ihn seine Herrin trinke. Da sprach das Mädchen, welches sie der Krikeça gebracht hatten: »Gehe fort, denn sonst verlierst du dein Leben und wirst von der Krikeça gefressen.« Er aber erwiderte: »Wenn sie ein so schönes Mädchen frißt, so mag sie auch mich fressen.«

Als die Krikeça nach Hause kam, rief sie: »Siehe da, früher hatte ich immer nur einen zu essen und heute bekomme ich zwei.« Er aber antwortete: »Friß den einen und laß den andern.« Darauf packten sie einander und rangen, aber keiner fiel, und als sie so müde waren, daß sie voneinander lassen und sich ausruhen mußten, da sprach die Krikeça: »Wenn ich nur ein klein wenig Wasser hätte, um damit meine Nase6 zu netzen, so würde ich dich zu Brei drücken, wie einen Kürbis«7. Jener aber erwiderte: »Wenn ich nur sattgegessen wäre, so würde ich dich wie eine Feige in die Luft werfen.« Sie machten darauf aus, daß sie es am nächsten Morgen noch einmal miteinander versuchen wollten.

Als die Ortsleute von jenem Mädchen erfuhren, was die beiden miteinander gesprochen hatten, brachten se dem Priestersohn so viel zu essen, als er nur verzehren konnte, und der wurde davon so stark, daß er am andern Morgen die Krikeça niederwarf. Als sie sich nun überwunden sah, rief sie: »Schenke mir das Leben und ich[430] will dich zu meinem Bruder machen und dir dienstbar sein.« Darauf kamen die Ortsleute zu ihm und wollten ihn zu ihrem König machen, er aber nahm dies nicht an und kehrte mit der Krikeça zu seinem Turme zurück.

Dort aber fand er seine Frau nicht mehr, denn jene Alte, welche sich auf Zaubermittel verstand, hatte ihr ein solches eingegeben und sie im Schlafe zu dem Königssohn gebracht, und dieser hielt sie in einem Turme gefangen.

Sein erster Verdacht fiel auf die Brüder seiner Frau; als diese sich aber hoch und teuer verschworen, daß sie nichts von ihrer Schwester wüßten, da dachte er an jene Alte. Er ging also in deren Heimat und erkundete den Turm, in dem seine Frau gefangen war und sah sie an dem Fenster des Turmes sitzen. Da fragte er sie, wie sie dorthin gekommen sei, und sie antwortete ihm, daß sie es nicht wisse.

Darauf ging er zum König und hatte die Krikeça bei sich und stellte ihn zur Rede, warum er ihm seine Frau geraubt habe. Der aber erwiderte, daß eine Alte sie ihnen gebracht und daß sie ihr ein halbes Königreich dafür gegeben hätten. Darauf verlangte er, daß die Alte geholt werde, und als diese kam, erklärte sie, daß sie seine Frau auf Befehl des Königs entführt und zum Lohne dafür ein halbes Königreich erhalten habe. Da sprach der Priestersohn zu der Krikeça: »Schenke der Alten ein halbes Königreich!« und sofort verschlang sie die Alte; darauf: »Schenke dem König eine schöne Schwiegertochter!« und sofort verschlang sie auch den König; endlich: »Schenke dem Königssohne eine schöne Braut!« und sofort verschlang sie auch diesen und den ganzen Rat der Zwölfe noch dazu.

Er aber kehrte mit seiner Frau und der Krikeça zu[431] seinem Turme zurück und lebte von nun an glücklich und zufrieden.

Variante 3. (Aus Syra.) – Das schöne Märchen will ich nun beginnen und unserer guten Gesellschaft guten Abend wünschen8.

Es war einmal ein König, der hatte keine Kinder, und dem brachte sein Fischer jeden Morgen frische Fische. Eines Tages fing der Fischer eine Schleie und brachte sie dem König, und davon aß dieser die eine und die Königin die andere Hälfte. Darauf wurde die Königin schwanger und gebar einen Knaben, der schöner war als alle andern Kinder jener Stadt, und als er größer wurde, schickte ihn der König in die Schule und er lernte wacker.

Da sprach der König einst zu seinem Wesir: »So wie meinen Knaben gibt es keinen andern auf der Welt.« Der aber antwortete: »Er solle so etwas nicht behaupten, denn es gebe gewiß noch andere ebenso schöne Kinder!« und darüber stellten sie eine Wette an, und der Wesir machte sich auf und zog von Stadt zu Stadt, um ein solches zu finden, aber es wollte ihm nicht gelingen, bis er eines Tages durch das Zigeunerquartier9 ging und einen Knaben singen hörte, dessen Stimme so schön war, wie die einer Nachtigall.

Da sah er zur Haustüre hinein und erblickte einen Knaben, der ebenso schön war, wie der des Königs. Er trat also ein und fragte ihn, ob er mit ihm kommen und sein Sohn werden wolle. Der Knabe antwortete, er[432] solle ein wenig warten, bis sein Vater komme, und als dieser kam, bot er ihm so viel Geld für den Knaben, daß er einwilligte. Der Wesir nahm ihn also mit sich nach seiner Stadt, brachte ihn in seinen Palast und ließ ihn genau so kleiden wie der Königssohn. Darauf stellte er die beiden Knaben dem Könige vor, und sie waren einander so ähnlich, daß er seinen eigenen Sohn nicht herausfinden konnte, und endlich, da ihn der Wesir drängte, den fremden Knaben als den seinigen angab; und somit hatte der Wesir seine Wette gewonnen.

Der König behielt nun den fremden Knaben als den seinigen zur Gesellschaft und sie gingen zusammen in die Schule. Dort lernte aber der Fremde weit besser, denn er war sehr klug von Natur, und hatte auch die Gabe, in die Zukunft zu sehn10.

In dem Schlosse des Königs waren vierzig Kammern, und von diesen durften die Knaben in neununddreißig, und hatten deren Schlüssel vom König erhalten, um die Schätze zu betrachten, die dort aufgehäuft waren, aber die vierzigste blieb ihnen verschlossen. Als nun die Knaben achtzehn oder neunzehn Jahre alt wurden, da regte sich ihre Neugier, was wohl in dieser vierzigsten Kammer sein möge; alle Bitten aber um deren Schlüssel waren vergebens, und der König ward böse, so oft sie davon anfingen. Endlich entdeckte der Königssohn den Ort, wo der Schlüssel versteckt war, und nahm ihn, ging mit seinem Gespielen heimlich zu jener Kammer, öffnete die Türe und erblickte das Bild von der Schönsten der Welt, und das machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er in tiefe Ohnmacht fiel. Da nahm ihn sein Gespiele und trug ihn zum König, und als er wieder zu sich kam,[433] fragte ihn sein Vater, was ihm fehle, er aber antwortete, daß er fort wolle, um die Schönste der Welt aufzusuchen. Der Vater tat sein möglichstes, um ihn abzuhalten, in sein Verderben zu rennen, aber alles war vergebens, und so gab er denn endlich nach, versah die beiden mit allem Notwendigen, schenkte ihnen zwei gute Rosse und ließ sie ziehen.

Sie zogen nun einen Monat, zwei Monate, wer weiß wie lange? Endlich kamen sie auf einen Berg und sahen von dort einen Turm in der Ebene stehen, der war von lauter Kristall gebaut. Da es aber bereits Abend war, so übernachteten sie unter einem Platanenbaum bei einer Quelle, und in der Nacht hörten sie ein Getöse, von dem die Berge erzitterten; das kam von drei Draken, die des Weges zogen, und als diese die beiden Pferde der Jünglinge erblickten, welche in der Nähe weideten, so stürzten sie sich auf dieselben und fraßen sie auf. Wie sie damit fertig waren, gingen sie nach ihrem Turme; der jüngste aber, dem die Mahlzeit Durst gemacht, kehrte zu der Quelle zurück und fand dort die beiden Jünglinge, von denen der Königssohn schlief, der Zigeuner aber wach war; doch stellte auch der sich schlafend, als er den Draken sah. Der nahm sie beide und trug sie bis zum Turme, ließ sie aber unten und stieg allein hinauf.

Da weckte der Zigeuner den Königssohn und sagte ihm, daß, wenn sie nun auf den Turm gebracht würden, er im alles nachmachen solle. Denn die, welche sie suchten, sei in diesem Turme, und er solle vor allem darauf bedacht sein, wie er ihr einen Kuß geben könne.

Lassen wir nun diese beiden unter dem Turme und sehen wir nach den Draken, die darin waren. Während sie beim Essen saßen, sagte der älteste: »Als wir oben auf dem Berge über den Pferden her waren, da roch es[434] mir wie Menschenfleisch11.« Darauf sprach der zweite: »Mir war es auch so.« Der jüngste aber sagte: »Das kam von zwei Menschen, die ich gefunden habe, ihr müßt mir aber versprechen, daß ihr sie nicht fressen wollt.« Die andern schworen ihm nun bei dem Leben ihrer Schwester, daß sie ihnen kein Leid tun wollten. Da stieg der Junge vom Turme und holte die Jünglinge herauf. Als aber die Schwester der Draken sie erblickte, da verliebte sie sich sofort in sie und besonders in den Zigeuner.

Die Draken fragten die Jünglinge aus, wie sie in diese Gegend gekommen seien, wo nicht einmal fliegende Vögel hinkommen. Und diese sagten, sie hätten sich auf der Jagd verirrt und seien immer tiefer in die Wildnis geraten. Darauf gingen die Draken in ihre Schlafkammer und sagten zu ihrer Schwester: »Gib den Burschen zu essen und mache ihnen ein Bett zurecht.« Und indem sie sich niederlegten, fragte der älteste Drakos die beiden andern: »Wie wollen wir die beiden Knaben verspeisen, gesotten oder gebraten12?« Der zweite antwortete: »Nein, lieber in Reis gedämpft13.« Der dritte aber sprach: »Der eine will sie so, der andere so kochen, und keiner fragt, was wir aus ihnen machen wollen, wenn sie stärker sind als wir.« Da sagte der älteste: »Dann wollen wir Brüderschaft mit ihnen machen.«

Als die Jungfrau den beiden Gästen zu essen vorsetzte, stellten sie sich, als ob sie nicht zu essen verstünden, und während ihnen nun die Jungfrau zeigte, wie sie es machen sollten, ergriff sie der Königssohn und raubte ihr einen Kuß. Nachdem sie nun gegessen hatten, setzte sie[435] ihnen Wasser vor, um sich zu waschen; sie stellten sich aber wiederum, als ob sie nicht wüßten, wie man sich wäscht, und als die Jungfrau ihnen dies zeigen wollte, da ergriff sie der Königssohn abermals und raubte ihr einen Kuß. Darauf machte sie ihnen ein Bett zurecht, damit sie schlafen sollten, die Jünglinge aber stellten sich, als ob sie nicht wüßten, was man mit einem Bette anfangen sollte und warfen die Decken durcheinander. Als nun die Jungfrau abermals herankam, um ihnen zu zeigen, wie sie sich legen sollten, da raubte ihr der Königssohn den dritten Kuß, und sofort kam eine solche Kraft über ihn, daß er stärker wurde, als die drei Draken. Darauf schliefen sie alle zusammen.

Um Mitternacht aber wachte der Königssohn auf und erhob sich von seinem Lager, daß davon der ganze Turm erzitterte, öffnete das Fenster und rief: »Hört, ihr Berge und Täler, gibt es einen, der stärker wäre als ich?« Da antworteten diese: »Nein, es gibt keinen andern.« Darauf legte er sich nieder und schlief bis zum andern Morgen.

Die Jungfrau aber hatte gemerkt, wie der Turm von der Stärke des Jünglings erzitterte, und auch sein Gespräch mit Berg und Tal gehört, sie ging also in aller Frühe zu ihren Brüdern, weckte sie auf und erzählte ihnen alles. Da beschlossen die Draken, ihn zu ihrem Bruder zu machen und ihm ihre Schwester zur Frau zu geben, und der älteste verwandelte sich in eine Wolke, zog in eine Stadt, ging zu einem Priester, gab ihm einen Sack voll Geld und nahm ihn mit sich auf den Turm, und dort gab der Priester die beiden zusammen und der Zigeuner war Gevatter dabei.

Nachdem die Trauung vorüber war, nahm der Zigeuner von dem Königssohn Abschied und kehrte nach Hause zurück, um dem König zu berichten, wie es ihnen ergangen[436] sei. Als dieser hörte, daß der Zigeuner angekommen wäre, eilte er ihm entgegen. Er traf ihn mitten auf der Treppe und rief ihm zu: »Wo hast du deinen Gefährten gelassen?« Da antwortete jener: »Er ist auf dem Kristallturme zusammen mit der Schönen der Welt.« Und sowie er das gesagt hatte, wurde er bis zu den Knieen zu Stein14. Der König fragte ihn weiter: »Was macht er dort?« Und jener antwortete: »Er hat die Schöne der Welt geheiratet und ich war sein Gevatter bei der Trauung.« Und sogleich wurde er bis zu den Hüften zu Stein. Darauf fragte ihn der König weiter: »Und wie steht es mit ihren Brüdern?« Da antwortete jener: »Die haben ihn zu ihrem Bruder angenommen.« Und nun wurde er ganz zu Stein und stand wie eine Bildsäule da. Der König wunderte sich, wie es zugehe, daß ein Mensch zu Stein werden könne, und befahl seinen Dienern, die Bildsäule von der Treppe in den Palast zu schaffen; die konnten sie aber nicht von der Stelle bringen, sie mochten sich anstrengen wie sie wollten, und so mußte denn der Zigeuner auf der Treppe stehen bleiben.

Der Königssohn, der mit seiner Frau bei den Draken auf dem Kristallturme geblieben war, stand stets um Mitternacht auf, öffnete das Fenster und rief: »Hört, ihr Berge und Täler, gibt es einen Stärkeren als ich?« Da riefen diese: »Nein, es gibt keinen Stärkeren.« Seine Frau aber fürchtete sich über dieses Treiben so sehr, daß sie es einst ihren Brüdern erzählte. Als diese das hörten, freuten sie sich und sagten zu ihr: »Wenn er wieder aufsteht und zum Fenster hinausruft, so antworte du: ›Ja, denn die Karakisa ist stärker als du.‹« Und in der nächsten Nacht tat die Frau, wie ihr die Brüder geheißen[437] hatten. Da rief der Mann sogleich: »Sag' mir, wo die zu finden ist.« Sie aber fürchtete sich und sprach kein Wort mehr. Da besann sich der Königssohn nicht lange, sondern sprang, wie er war, aus dem Fenster und lief nun Berg auf, Berg ab15, und lief einen Tag, zwei Tage, einen Monat, ein Jahr lang umher, bis er in die Stadt kam, wo die Karakisa war, und der Zufall fügte es, daß er in ein Kaffeehaus geriet, über welchem die Karakisa wohnte.

Mit dieser Karakisa aber hatte es die Bewandtnis, daß, sobald sie ausging, alle Häuser und alle Kaufläden zugeschlossen werden mußten und niemand auf die Straße durfte, denn wem sie begegnete, den fraß sie auf. Doch hatte sie ihren bestimmten Tag, an dem sie ausging, und da die Leute den wußten, so konnten sie sich vor ihr schützen. Der Tag, an dem der Königssohn in ihre Stadt kam, war gerade ein solcher Ausgangstag, und als der Wirt die Läden des Kaffeehauses zu schließen begann und der Jüngling ihn nach dem Grunde fragte, antwortete er: »Es ist um die Zeit, wo die Karakisa ausgeht.« Da sagte ihm der Königs sohn: »Laß nur die Läden auf und verstecke dich, denn ich will sie sehen und bin nur ihretwegen hergekommen.« Darauf aber meinte der Wirt: »Ach, mein Sohn, ihretwegen sind bereits so und so viel Prinzen und Helden hierhergekommen16 und sie hat sie alle gefressen, warum willst du dich auch in dein sicheres Unglück stürzen?« Er ließ sich jedoch nicht abwendig machen, sondern sagte zum Wirte, daß er ihm eine Wasserpfeife bringen und dann seiner Wege gehen solle, und setzte sich mit seiner Pfeife mitten in die Straße.[438]

Als nun die Karakisa ihren Umgang hielt und ihn mitten auf der Straße sitzen sah, rief sie: »Ei, du Schandbube, hast du nichts von meinem Befehle gehört, daß nicht einmal ein fliegender Vogel auf meinem Wege sein dürfe?« Da sagte er: »Komme heran, damit ich dich zurechtmache, wie es sich gebührt17; denn wenn ich des Nachts aufstehe und Berge und Täler frage, ob es einen Stärkeren gebe als ich, so antworten sie ›nein‹ und du wolltest mich unterkriegen?«18 Da packten sie einander und rangen vom Morgen bis zum Abend, ohne daß der eine oder der andere gewinnen konnte. Endlich aber ließen sie voneinander und die Karakisa rief im Weggehen: »Warte nur bis morgen, da komme ich wieder und zerreiße dich in vier Stücke!« Und der Königssohn antwortete: »Geh nur und ruhe dich aus bis morgen, da werde ich dir eins versetzen19, daß du in die Erde sinkst.«

Am andern Morgen kamen sie wieder an demselben Orte zusammen und packten sich von neuem und kämpften wiederum vom Morgen bis zum Abend. Da ließen sie wieder voneinander und die Karakisa sagte zu dem Jüngling: »So viel Arbeit hat mir bis jetzt noch keiner gemacht, aber warte nur bis morgen.«

Die Karakisa war aber gewohnt, jeden Abend ins Bad zu gehen, und je öfter sie sich badete, um so stärker wurde sie, und das wußte ein alter Mann, der von weitem dem Kampfe zugesehen hatte. Als nun die Karakisa im Bade war, da rief der Alte den Jüngling zu sich und sagte ihm: »Bei aller deiner Stärke wird dich die Karakisa zuletzt doch besiegen, denn wenn auch von allen, die mit ihr[439] kämpften, nur du ihr so zugesetzt hast, daß ihr der Schaum aus dem Munde kommt, so weißt du doch nicht, daß gerade in diesem Schaume ihre Stärke sitzt. Wenn ihr also morgen wiederum voneinander geht und sie in ihr Bad gehen will, so mußt du ihr heimlich nachschleichen und ihr mit der Hand den Schaum von dem Munde abwischen.«

Am dritten Tage kämpften sie abermals bis zum Abend, ohne daß einer den andern überwinden konnte, und als sie endlich voneinander ließen, da befolgte der Jüngling den Rat des Alten und wischte der Karakisa, ohne daß sie sich's versah, den Schaum vom Munde und sprach: »So, nun habe ich dich besiegt!« Da fiel ihm die Karakisa zu Füßen und rief: »Gnade, o Herr! denn du hast mich überwunden, mache mit mir, was du willst, nur töte mich nicht.« Er schickte sie heim und versprach ihr, sie am Leben zu lassen. Am andern Morgen aber machte er sich einen Wagen und spannte die Karakisa davor wie ein Pferd, setzte sich hinein und fuhr in der Stadt spazieren, um sie zu beschimpfen. Darauf sagte er ihr: »Nun mußt du mich an den Ort fahren, wo ich wohne.«

Als sie so dahinfuhren, kamen sie an einem Berge vorbei, aus dem trat ein Schwarzer hervor und packte die Karakisa an und rief: »Ei, du alte Bettel! wie kommst du hierher, während ich vergebens die ganze Welt nach dir durchlaufen habe?«

Darauf kämpften sie miteinander; als aber der Jüngling sah, daß die Karakisa unterliegen würde, stieg er vom Wagen, packte den Schwarzen und versetzte ihm einen Schlag, daß er bis zu den Knien in die Erde fuhr; doch der Schwarze schlug auch den Jüngling bis zu den Knien in die Erde. Nun schlug der mit einem zweiten Schlage den Schwarzen bis zu den Hüften in die Erde, fuhr aber[440] von dem zweiten Schlage des Schwarzen ebenso tief hinein. Da gedachte er seiner Frau, holte aus, was er konnte, und schlug den Schwarzen bis zum Halse in die Erde und zog sein Schwert, um ihm den Kopf abzuschlagen. Der Schwarze aber bat um Gnade und erklärte, daß er sein Sklave werden wolle. Darauf nahm ihn der Jüngling, zog ihn aus der Erde heraus, spannte ihn mit der Karakisa zusammen vor seinen Wagen und fuhr so zu seiner Frau.

Als die Draken ihren Schwager erblickten, wie er in dem Wagen saß und von der Karakisa und dem Schwarzen gezogen wurde, da fürchteten sie, er könnte erfahren, daß sie ihn auf so schwere Abenteuer geschickt hätten und machten sich aus dem Staube. Wie nun der Jüngling zum Turme kam, fragte er seine Frau nach den Brüdern, und die sagte ihm, daß sie, als sie ihn von weitem in einem solchen Gefährte erblickt hätten, vor Schreck davongelaufen wären. Darauf blieb er vierzehn Tage lang mit seiner Frau in dem Turme und schickte dann die Karakisa in ihre Heimat zurück, verbot ihr aber, dort irgend jemand zu schädigen, denn wenn er das erführe, würde er kommen und sie totschlagen. Den Schwarzen aber behielt er bei sich.

Um diese Zeit hörte ein König, daß ein Jüngling die drei Draken besiegt und die Schöne der Welt geheiratet habe, und schickte daher ein Heer gegen ihn aus, das sollte ihm seine Frau entreißen und sie dem Könige zuführen. Als das Heer gegen den Turm anrückte, stellte er ihm den Schwarzen entgegen und ging mit seiner Frau auf den Söller des Turmes, und hatte seine Freude daran, wie der Schwarze die Soldaten bis auf den letzten Mann zusammenhieb. Da schickte der König ein noch größeres Heer und dem ging es nicht besser als dem ersten. Hierauf[441] ließ der König im ganzen Lande verkünden, daß er den zum Größten in seinem Reiche machen wolle, der den Jüngling erlegen und ihm die Schöne der Welt bringen würde. Aber es wollte sich lange niemand finden, bis endlich ein Zansisis kam, der ein Teufel20 war und Menschengestalt annahm, und dem König sagte, daß er die Aufgabe lösen wolle, und als ihn dieser nun nach dem Turme ausschickte, da verwandelte er sich in einen halben Mann, der nur einen Arm, einen Fuß und ein Auge hatte, und erhob vor dem Turme ein großes Geschrei: »Komme herunter, Geselle, komme herunter und versuche dich an mir!«

Da kam die Schöne der Welt ans Fenster, um zu sehen, was das für ein Lärm sei, und als sie den halben Menschen erblickte, sagte sie zu ihrem Manne: »Drunten steht derjenige, welcher dich besiegen wird.« Als dieser aber hinuntersah, lachte er und sprach: »Ich habe so viele Ungeheuer bezwungen und soll nun vor einem halben Menschen den kürzeren ziehen?« Er ließ sich also nicht abhalten und stieg vom Turme, ging auf den halben Menschen los und hieb, so stark er konnte, mit dem Schwerte nach ihm; aber aus jedem Blutstropfen, welcher aus der Wunde des Halben auf die Erde fiel, entstand ein neuer Halber, und je mehr Wunden er ihm beibrachte und je mehr Blutstropfen auf die Erde fielen, um so mehr Halbe erhoben sich gegen ihn. De Jüngling hieb um sich, solange er konnte, endlich aber gingen ihm die Kräfte aus und er stürzte ohnmächtig21 zu Boden. Darauf schnitt ihm der Halbe den Kopf ab und warf ihn in eine Pfütze22,[442] stieg auf den Turm und ergriff die Schöne der Welt, um sie dem Könige zu bringen. Unterwegs bedachte er sich, daß es viel besser sei, wenn er die Schöne zur Frau nähme, als wenn er sie dem Könige brächte, und führte sie daher nach seinem Turme.

Lassen wir nun diese dort und sehen zu, wo die Draken geblieben sind. Diese saßen bei einer Quelle und schwatzten miteinander, als sie auf einmal zwei Schlangen erblickten, die miteinander kämpften, und die eine schlug endlich so gewaltig mit ihrem Schwanze auf den Leib der anderen, daß diese in zwei Stücke zersprang; diese Stücke aber liefen nach einem in der Nähe stehenden Kraute, wickelten sich in dasselbe und wuchsen dadurch wieder zusammen.

Als das die Draken sahen, sagte der jüngste zu seinen Brüdern: »Das, was wir gesehen haben, bedeutet nichts Gutes für uns, laßt uns von diesem Kraute nehmen und nach Hause gehen, um zu sehen, was es dort gibt.« Und wie sie dort ankamen, da fanden sie den Turm öde und finster und keine Seele darin und nicht weit davon den Körper ihres Schwagers ohne Kopf. Da rief der jüngste: »Hierher muß der Verfluchte gekommen sein und ihn umgebracht haben, und von uns war keiner da, um ihn zu verschlingen!«23 Sie suchten nun so lange, bis sie den Kopf fanden, und diesen hielten sie an den Rumpf, nachdem sie die Schnittwunde mit jenem Kraute gerieben hatten. Da stand der Jüngling auf und rief: »Ach, Brüder! wie schwer habe ich geschlafen und wie leicht bin ich aufgewacht!« Darauf erzählte er ihnen alles, was sich zugetragen, und dann forschte er nach dem Schwarzen, aber der war nicht da; doch hatte er ein Haar von[443] ihm bei sich, und so oft er das anbrannte, kam der Schwarze.

Darauf sagte der Jüngling zu den Draken, daß sie auf dem Turme bleiben sollten, denn er wolle nun seine Frau holen und hoffe bald mit ihr zurück zu sein. Er ging also in die Stadt, wo der Zansisis wohnte, ließ sich dessen Haus zeigen und ging hinein und fand dort seine Frau, denn der Zansisis war den Tag über niemals zu Hause, er ging jeden Morgen fort und kam erst am Abend zurück.

Nachdem er seine Frau begrüßt hatte, sagte er ihr, daß sie am Abend den Zansisis fragen solle, wo seine Stärke sei, und ihn solle sie versteckt halten, damit er hören könne, was der sage. Als nun am Abend der Zansisis nach Hause kam und sie gegessen und getrunken hatten, sagte die Frau zu ihm: »Willst du mir nicht sagen, wo deine Stärke sitzt? Jetzt hast du mich erworben und alle deine Feinde überwunden.« Da lachte dieser und sprach: »Meine Stärke sitzt in dem Besen.« Die Frau aber nahm den Besen und putzte ihn auf und liebkoste ihn, bis er darüber lachen mußte. Da stellte sie sich böse und warf den Besen zur Erde und rief: »Ach, du hältst mich für den Narren!« – Darauf lag sie ihm von neuem an, ihr die Wahrheit zu sagen, und er zeigte ihr einen Kochtopf, mit dem sie es ebenso trieb, wie mit dem Besen, bis sie ihn auf den Boden warf und von neuem zu fragen begann und ihm so lange zusetzte, bis er die Wahrheit sagte und sprach: »Meine Stärke sitzt in drei Singvögeln, welche ein Wildschwein in seinem Leibe hat, und wenn diese drei Vögel geschlachtet werden, so muß ich sterben.«

Der Mann hörte von seinem Verstecke aus, was ihr der Zansisis gesagt hatte, und am folgenden Morgen machte er sich auf und suchte so lange nach dem Wildschwein,[444] bis er es fand. Dieses Ungeheuer lebte in einem Sumpfe, und wenn es aus diesem herausging und sich schüttelte, so regnete es drei Tage lang, und als er dorthin kam, stürzte es auf ihn los24, um ihn zu fressen; er aber zog sein Schwert, um es totzuschlagen. Dies wollte aber nicht auf dem Schweine einbeißen, und so kämpften sie lange Zeit miteinander, bis sie nicht mehr konnten, und da sprach die Sau zu dem Jüngling: »Wenn ich mich in einem Sumpfe wälzen und drei Rohrwurzeln kauen könnte, dann würde ich dich schnell in vier Stücke zerrissen haben.« Der Jüngling aber erwiderte: »Wenn ich meiner Frau drei Küsse geben könnte und drei Zwiebäcke zu essen und drei Schluck25 Wein zu trinken hätte, so solltest du bald verendet sein.« Und wie sie so miteinander sprachen, da stürzte die Sau unversehens auf den Jüngling und biß ihm einen Finger ab, und darüber wurde dieser so zornig, daß seine volle Stärke über ihn kam und er die Sau totschlug. Darauf schlitzte er ihr den Bauch auf und holte die drei Singvögel heraus, erwürgte aber nur zwei davon und behielt den dritten in der Hand, und als er damit in das Haus des Zansisis kam, sah er diesen in großen Schmerzen mitten auf dem Boden liegen, und da zeigte er ihm den Vogel und fragte ihn: »Höre, Zansisis, was soll ich mit dem Vogel anfangen?« Dieser aber rief: »Laß ihn fliegen, lieber Junge, oder gib ihn mir zu essen und die Frau soll dein sein.« Er aber antwortete: »Glaubst du wirklich, daß ich ihr das Leben lassen werde, nachdem du mich getötet und meine Frau geraubt hast?« Darauf erwürgte er den Vogel und der Zansisis verendete auf der Stelle.[445]

Er blieb mit seiner Frau noch fünf Tage in dem Turme des Zansisis, und unterdessen hörte der König, der den Zansisis gegen ihn geschickt hatte, daß er diesen getötet habe, und sandte abermals ein Heer gegen ihn, um ihn zu töten und seine Frau zu rauben. Da brannte der Jüngling das Haar des Schwarzen an und sogleich stand dieser vor ihm; der Jüngling befahl ihm, seinen Wagen aus dem Turme der Draken herbeizuholen, und als dieser damit zurückgekommen war, setzte er seine Frau darauf und befahl dem Schwarzen, sie zu ihren Brüdern zu fahren. Er selbst aber blieb in jener Stadt zurück, um mit dem Heere zu ziehen, das der König gegen ihn aussandte, und zu sehen, ob der Schwarze ihm auch treu sei. Er verkleidete sich also als Hirt und zog mit dem Heere dem Wagen seiner Frau nach; unterwegs aber stießen sie auf einen großen Baum, an dem das Heer nicht vorüber konnte, und die Soldaten bemühten sich vergebens, denselben aus dem Wege zu räumen. Da ging endlich der Jüngling hin, riß den Baum mitsamt seiner Wurzel aus und machte damit den Weg frei. Da sagten die Soldaten zueinander: »Mit diesem Kerle wird es uns wohl gelingen,« und ahnten nicht, daß es derjenige sei, gegen welchen sie auszogen.

Darauf holten sie den Wagen ein, mit dem der Schwarze auf dem halben Wege angehalten hatte, um zu rasten, und fanden ihn am Wege sitzend und seine Pfeife rauchend, und wie die Soldaten gegen ihn anrückten, so blies er den Rauch gegen sie und tötete das ganze Heer damit; hinter diesem her kam auch der Hirt, und der Schwarze blies auch ihn an, konnte ihm aber nichts anhaben. Da sprang er auf ihn los und sie packten einander und rangen, und der Schwarze strengte sich vergeblich an, seinen Gegner niederzuwerfen; dieser aber wehrte sich nur so[446] weit, um nicht niedergeworfen zu werden, denn er wollte sehen, ob der Schwarze seiner Frau treu diene. Und wenn diese von dem Wagen aus sah, daß der Schwarze müde wurde, da rief sie ihm zu: »Mut, Schwarzer! Mut26! damit es dein Herr nicht erfährt, daß du mich nicht schützen konntest.«

Sie rangen so lange, daß sie zweimal voneinander lassen mußten, um sich zu verschnaufen, und als der Schwarze zum drittenmal anpacken wollte, sagte die Frau zu ihm: »Während du mit ihm ringst, mußt du ihm das Hemd auf der Brust zerreißen, und wenn er darauf drei Goldhaare hat, so ist es dein Herr und dann mußt du dich vor ihm beugen.« Und wie ihm die Frau gesagt hatte, so machte es der Schwarze, und als er die drei Goldhaare auf der Brust des Schäfers erblickte, beugte er sich vor ihm und rief: »Herr, warum quälst du mich so sehr27?« Und dieser erwiderte, daß er ihn habe versuchen wollen, ob er ihm und seiner Frau auch treu diene. Darauf legte er die Hirtenkleider ab, stieg zu seiner Frau in den Wagen und der Schwarze zog sie bis zum Turme. Dort fanden sie die drei Draken und lebten herrlich und in Freuden. Ich selbst war nicht dabei, ihr braucht es also auch nicht zu glauben.

Anmerkungen. – Den zahlreichen Varianten zufolge gehört das Märchen vom starken Hans zu den allerverbreitetsten. Die starke Gestalt des griechischen Märchenkreises entspricht dem hellenischen Herakles und germanischen Tor-Siegfried insofern, als sie gleich jenen der siegreiche Bekämpfer der Riesen und Ungetüme und meist ein ebenso großer Esser und Trinker ist. In dieser Allgemeinheit[447] entspricht ihnen jedoch nur die Form von Nr. 75. In der Regel ist die starke Gestalt des griechischen Märchens mit der Formel verbunden, daß sie nach siegreicher Bekämpfung von Riesen oder Ungetümen entweder ihrer List oder ihrer Gewalt erliegt und getötet wird, aber durch ein Zaubermittel (Schlangenkraut oder Lebenswasser) wieder ins Leben gerufen, dieselben schließlich besiegt und vernichtet.

Einen Hauptzug dieser Märchengruppe bildet die Ausforschung des Stärkesitzes, und je nachdem diese für oder gegen den starken Hans erfolgt, spaltet sie dieselbe in zwei Klassen. In der ersten wird nämlich von dem Helden selbst durch seine mit dessen Gegnern verbundene Schwester oder Mutter das Geheimnis von dem Sitz seiner Stärke abgeschmeichelt und hierdurch sein Tod ermöglicht (s. Formel des Schwesterverrates Nr. 19). In der zweiten Klasse schmeichelt nach der Wiedererweckung des gefallenen Helden dessen seinem ungetümen Besieger zugefallene Frau diesem das Geheimnis des Sitzes seiner Stärke ab, und es wird dadurch dem Helden möglich gemacht, seinen ungetümen Besieger zu erlegen.

Zur zweiten Klasse bietet das serbische Märchen bei Wuk Nr. 8 Anklänge, wo jedoch eine Alte, die der Drache gefangen hält, auf Anstiften des Helden dem Drachen seine Stärke abfragt, der, nachdem er sie mehrmals geneckt, ihr endlich die Wahrheit sagt, daß in einem fernen See ein Drache lebe, in dem ein Eber, in diesem ein Hase, in diesem eine Taube, in dieser ein Sperling und in diesem seine Kraft sei. Der Held verdingt sich beim Kaiser als Schäfer, weidet gegen dessen Mahnen die Schafe am See und fordert den Drachen zum Zweikampf. Sie ringen zwei Tage unentschieden, und als sie sich trennen, spricht der Drache: »Laß mich mein heißes Haupt in den[448] See tauchen und ich werfe dich zum Himmel.« Und der Held erwidert: »Wenn mich des Kaisers Tochter auf die Stirne küßte, würfe ich dich noch höher.« Beim dritten Male küßt ihn die ihn begleitende Kaiserstochter und er überwindet den Drachen. (Also auch hier die Kraft des Kusses. S. Sachverzeichnis.)

Das Abfragen der Stärke fehlt in dem deutschen Märchenkreise, soweit er uns bekannt ist, bis auf einen Anklang bei Wolf, D.M.u.S., Nr. 20, wo auf Anstiften des Helden eine Alte dem Ohneseele den Ort abfragt, wo seine Seele ist. Dieser holt das Kästchen von einem Felsen, der mitten in der roten See liegt, öffnet das Kästchen und wirft die Seele hinterrücks über seinen Kopf, wovon der Ohneseele, der den Helden vergebens um sein Leben gebeten, stirbt28. Dagegen finden sich viele andere deutsche Anklänge.

Dahin gehören der zentnerschwere eiserne Spazierstock, den der deutsche starke Hans von seinem Vater verlangt, um in die Welt zu ziehen (Grimm Nr. 90 u. 166), dessen rein episodischer Kampf mit einem Wildschwein bei Grimm Nr. 166 sowie die anfängliche Weigerung des Vaters, den in das Vaterhaus kommenden Sohn als solchen anzuerkennen, und das Bestreben, ihn wieder loszuwerden, um nicht von ihm arm gegessen zu werden (Grimm Nr. 90).

Auch die Übereinstimmung mit der germanischen Sigurdsage sind nicht zahlreich, doch erinnern die Reden, welche der griechische Held mit der Karakisa und der Wildsau29 (ebenso Nr. 9, Variante 2) wechselt, wenn[449] ihn die Erschöpfung zwingt, vom Kampfe auszuruhen, an die Rede des neunjährigen Sigurd vor seinem Kampfe mit dem Drachen in der Vilcinasaga, Kap. 166; denn, nachdem er all seinen Mundvorrat auf einmal aufgegessen und auch nicht einen Schluck von dem Weine übrig gelassen, davon Mimir dachte, daß er ihm neun Tage ausreichen sollte, spricht er: »Schwerlich weiß ich jetzt den Mann zu finden, mit dem ich mich nun nicht schlagen sollte, wenn es nun zum Zusammentreffen mit mir käme, und das dächte ich, daß eines Mannes Kampf mir nicht übermächtig sein möchte.«

Ebenso stimmt die frühe Entwicklung Sigurds, der mit neun Wintern schon so groß und stark war, daß niemand seinesgleichen sah (Vilcanasaga, Kap. 164), zu Jannis rascher Entwicklung in Variante 2; auch die Prügel, die letzterer in der Schule dem Königssohn gibt, lassen sich mit den Mißhandlungen vergleichen, die Mimirs zwölf Schmiedegesellen von dem jungen Sigurd erfahren, weil beide Züge für das Schicksal der Helden bestimmend sind und die Ursache abgeben, warum sie das väterliche oder pflegeväterliche Haus verlassen.

Faßt man aber den Umstand ins Auge, daß der geprügelte Knabe ein Königssohn ist, so stellt sich der Zug zu der Dietrichsage, in deren tabellarischen Formel30 wir denselben in der römischen (Romulus und Remus), persischen (Kyros) und baktrischen nachgewiesen haben.

Über die Wiederbelebung durch das Schlangenkraut und die betreffende Form der germanischen Siegfriedsage siehe oben. Wie Hans nach seiner Wiederbelebung, so[450] rufen die Entsteinerten bei Wolf, D.M.u.S., Nr. 27: »Ach, wie fest haben wir geschlafen!«

Der Zug, daß der Held die überwundene Karakisa vor seinen Wagen spannt, findet sich in Grimm Nr. 10, wo der vom Hähnchen überwundenen Ente dasselbe Schicksal widerfährt, gleichsam parodiert. –

Sowie die Karakisa in der Stadt selbst wohnt, ebenso ist im Harzmärchenbuch von Ey, S. 108 das Ungeheuer in die Stadt gedrungen, während alles schlief, und mußte jeden Tag einen Menschen haben, und wenn es den nicht bekam, so entstand noch größeres Unglück. Auch hier fehlt die Aussetzung der Prinzessin an dasselbe. –

Fußnoten

1 500 Okka.


2 δὲν με ἔλεγον γουροῦνα.


3 7 τάκους παξιμάδια.


4 ἡ κουμπάνια.


5 ἀρβάλια.


6 μουτζοῦνα.


7 μακοῦτα.


8 Τὸ παραμύϑι τὸ καλὸ μέ φέρνει ν᾽ ἀρχινίζω

Καὶ τὴν καλὴν μας συντροφιᾶ᾽ νὰ τὴν καλησπερίζω.


9 γυφτικὰ. Die angesessenen Zigeuner sind in der Regel Feuerarbeiter, daher ist in den Städten Zigeuner und Schlosser gleichbedeutend.


10 καρδιογνώστης.


11 ᾽σαν ἄκουσα ἀνϑρώπινον κρέας.


12 ἰαχνὶ ἢ καπαμὰ (türkisch).


13 νὰ τὰ κάμωμεν πιλάφι.


14 ἐμαρμαρώϑηκε ἔως τὰ γόνατα.


15 δρόμον πέρνες δρόμον ἀφίνει.


16 ἐδὼ ἦλϑον κάνε καὶ κάνε βασιλόπουλα.


17 ἐγὼ σε διορϑώνω.


18 καὶ ἐσὺ γυρεύεις νὰ μὲ τὸ κανδίζῃς.


19 ϑα σε δόσω μίἀ.


20 τριςκατάρατος.


21 ἐμπαΐλτιζε.


22 χαφοῦζα.


23 νὰ τὸν ῥουφίξῃ.


24 ἠχείμιξε.


25 τρία δάκτυλα κραοὶ, drei Finger breit Wein.


26 ὑγειᾶ σου᾽Αράπη.


27 διατὶ μὲ παιδεύεις.


28 Hier klingt auch die dem Heldenvetter bei Schott Nr. 1 geraubte und versteckte Kraft an.


29 Anklänge an das Schäfertum des starken Hans und seinen Saukampf bietet Wolf, D. Hausm., S. 269, wo Hans als Schäfer gegen das Verbot seines Herrn die Schafe auf die Weide der Riesen treibt und diese er schlägt.


30 Siehe vergl. Blicke auf die hellen. und german. Sagen.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 418-451.
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