[462] 68. Der Lehrer und sein Schüler.

Text (aus Syra).

Variante. (Aus Wisiani in Epirus.) – Es war einmal eine alte Frau, die hatte drei Knaben, welche sie gar nicht hören wollten, und als sie eines Tages im Walde war, um Holz zu holen, da kam ein Hundskopf1 zu ihr und fing ein Gespräch mit ihr an, und dem klagte sie, was sie mit ihren ungezogenen Knaben auszustehen habe. Darauf erbot sich der Hundskopf, daß er ihr einen Knaben abnehmen und ihm ein Handwerk lehren wolle. Die Frau war darüber sehr froh und brachte ihm einen ihrer Knaben. Der Hundskopf nahm ihn mit sich und führte ihn in eine Höhle, gab ihm einen Apfel zum Spielen und verbot ihm, in die und die Kammer zu gehen. Doch eines Tages wurde der Knabe so neugierig, daß er trotz des Verbots in die Kammer ging. Diese Kammer war aber voll von lauter ermordeten Menschen, und darüber erschrack der Knabe so sehr, daß ihm der Apfel auf den Boden fiel. Als nun der Hundskopf nach Hause kam, roch er an dem Apfel, und daran merkte er, daß der Knabe in der Kammer war; da ergriff er ihn und fraß ihn auf.[462]

Darauf verlangte er von der armen Frau den anderen Jungen, und dem erging es ebenso.

Der dritte aber war gehorsamer als die beiden andern und ging nicht in die Kammer.

Als er einst den Hundskopf lauste, fand er einen kleinen Schlüssel, der auf seinen Scheitel gebunden war; damit öffnete er die Kammer, worin die Prinzessin war, und diese sagte ihm, daß er vergebens nach seinen Brüdern suche, denn diese habe der Hundskopf gefressen, und riet ihm, sich dumm zu stellen, wenn er sein Leben retten wolle. Der Knabe befolgte den Rat und stellte sich so ungelehrig, daß der Hundskopf endlich die Geduld verlor und ihn fortjagte.

Darauf verwandelt er sich in ein Pferd und läßt sich von seiner Mutter für eine ungerade Geldsumme verkaufen.

Vom Hundskopfe verfolgt, verwandelt er sich in allerlei Tiere und macht sich endlich zu einer Blume und kommt in die Hand einer Prinzessin. Der Hundskopf bemüht sich auf jede Weise, die Blume von der Prinzessin zu erhalten; diese aber sagt: »Und wenn du auch zerplatzest, so bekommst du die Blume nicht von mir.« Kaum hat sie diese Worte gesprochen, so zerplatzt der Hundskopf und der Knabe wird wieder zum Menschen und kehrt zu seiner Mutter zurück. –

Anmerkungen. – Das Textmärchen besteht aus der Gelobungsformel Nr. 8, verbunden mit der Blaubartformel Nr. 30. Den Kampf des Schülers mit dem Lehrer enthalten als selbständige Märchen Grimm Nr. 68, Schott Nr. 18 und Wuk Nr. 6. Das walachische Märchen enthält beiläufig dieselben Verwandlungen von Lehrer und Schüler. Ersterer ist der Teufel selbst (wie bei Wuk Nr. 6), und der Vertrag zwischen diesem und dem[463] Vater, der den Helden bei ihm in die Lehre gibt, ist (wie bei Grimm Nr. 68), seinen Sohn nach Jahresfrist unter den übrigen Schülern zu erkennen. Die doppelte Erstreckung der Lehrzeit auf ein weiteres Jahr erinnert an den Vertrag der Zwerge im Kallavaberge mit dem Riesen Wadi über Wielands Lehrzeit in der Vilcinasaga, Kap. 59.

Die Variante ist die männliche Form zu dem ersten Teil des Märchens Nr. 19, auf die dann der Kampf des Lehrers und Schülers folgt. Das entsprechende deutsche ist das von Fitchers Vogel bei Grimm Nr. 46. Statt des Apfels erhalten die Pflegekinder ein Ei, an dem der Hexenmeister erkennt, ob sie in der Blutkammer waren. Auffallend aber ist der Anklang, welchen die Flucht der jüngsten als Fitchers Vogel mit dem Zuge des griechischen Märchens Nr. 19, daß sich die Heldin vor den Nachstellungen des Hundskopfs samt ihrem Täubchen in einen Gitterkasten oder Käfig rettet. Der Vogel ist mithin ein wesentliches Attribut der Heldin, aber die vorhandenen Formen sind nicht klar genug, um dessen Wesen einzusehen. –

Einen beachtenswerten Anklang an die Variante und das verwandte Märchen Nr. 19 gewährt das englische Märchen von Hans dem Riesentöter (Grimm III, S. 315), nach welchem der Held in dem Schlosse eines von ihm erlegten Riesen drei Frauen lebend an ihren Haaren aufgehängt findet, weil sie nicht von dem Fleische ihrer ermordeten Männer essen wollten.

Über die indisch-mongolische Form s. Benfey, Pantschatantra I, S. 410 ff.; er sagt S. 411: »Dieser Kampf des Zauberlehrlings mit den Meistern scheint ursprünglich sich aus den vielfachen Zauberkämpfen zwischen buddhistischen und brahmanischen Heiligen, von denen die Legenden der Buddhisten berichten, gestaltet zu haben.«

Fußnoten

1 σκυλοκέφαλος.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 462-464.
Lizenz:
Kategorien: