[464] 69. Sonne, Mond und Morgenstern.

[464] Text (aus Syra).

Variante 1. (Aus dem Dorfe Çagori in Epirus.) – Es waren einmal drei Schwestern, die saßen auf einem Altane in der Nähe des königlichen Schlosses, und während sie so miteinander sprachen, sagte die älteste: »Ich wollte, ich säße an der königlichen Tafel, wie sollte es mir da schmecken!« Und die zweite sagte: »Ich wollte, ich wäre in dem königlichen Schatze, wieviel Geld wollte ich da holen!« Die jüngste aber sprach: »Ich wollte, ich hätte den Königssohn zum Manne, denn ich würde ihm dann ein Knäbchen und ein Mädchen gebären, so schön wie der Morgenstern und Abendstern1

Der Königssohn hatte aber diese Reden der Mädchen von einem Fenster des Schlosses aus gehört und ging nun zu ihnen und erfüllte einer jeden ihren Wunsch und nahm die jüngste zur Frau. Diese kam bald in die Hoffnung; als aber ihre Zeit heranrückte, da mußte der Prinz in den Krieg ziehen. Er empfahl daher die Kinder, welche ihm seine Frau gebären würde, der besonderen Sorge seiner Mutter, und diese versprach ihm, ihre Enkelchen nach Kräften zu pflegen. – Sie war aber ihrer Schnur so gram, daß sie, als die Kinder geboren waren, dieselben in einen Korb legte und von der Hebamme in den Fluß tragen ließ, statt der Kinder aber einen jungen Hund und ein junges Kätzchen in die Wiege legte und wie Kinder pflegen ließ. Als aber die Wöchnerin nach ihren Kindern begehrte, war sie sehr bestürzt über ihr Aussehen und wollte sich gar nicht darüber zufrieden geben.[465]

Nach einer Weile schrieb der Königssohn an seine Mutter einen Brief, worin stand, sie solle ihm, wenn er nach Hause komme, seine Kinder entgegentragen lassen. Als er nun der Stadt nahe kam und alle Welt hinausging, um ihn als Sieger zu begrüßen, da trug man ihm auch das Hündchen und Kätzchen entgegen und diese winzelten, während das Volk jauchzte. Kaum war der Prinz zu Hause angekommen und hatte seine Mutter begrüßt, so sagte er zu ihr: »Warum hast du mir die Kinder nicht entgegentragen lassen?« »Ei, das ist geschehen! du wirst sie nur nicht bemerkt haben.« Und darauf befahl sie den Dienern, die Tiere herzubringen. Wie nun der Prinz den Hund und die Katze sah und hörte, daß dies seine Kinder seien, so blieb er eine Zeitlang sprachlos vor Schmerz und konnte nur seufzen, und so blieb er drei Tage lang, dann aber wandte er sich an seine Frau und fragte sie: »Was hast du mir versprochen und was hast du mir geboren?« Diese aber wußte ihm nichts darauf zu antworten. Da befahl er, daß sie an den Eingang des Schlosses eingemauert werden solle, so daß sie nur mit dem Kopfe aus der Mauer schauen könne, und daß jeder, der vorübergehe, sie anspeien und ins Gesicht schlagen solle. –

Der Korb, in dem die Kinder lagen, schwamm bis zu einem Haus, worin Draken wohnten; diese bemerkten den Korb, wie er in dem Flusse schwamm, holten ihn ans Land, und als sie die schönen Kinder darin fanden, so zogen sie sie auf und behielten sie bei sich, bis sie zehn Jahre alt waren. Dann aber setzten sie sie auf ein lahmes Pferd und überließen sie in den Straßen der Stadt ihrem Schicksale. Da fragten sie die Leute, woher sie seien, und die Kinder antworteten, daß sie dies selbst nicht wüßten. Endlich brachte sie der lahme Gaul an das Haus einer armen alten Frau und diese erbarmte sich ihrer und[466] nahm sie zu sich. Wie staunte aber die Alte, als sie am andern Morgen auf der Stelle, wo die Kinder geschlafen hatten, eine Handvoll Goldstücke fand! Dasselbe geschah aber an jedem Morgen, und von diesem Gelde konnte sie nun mit den Kindern ein gutes Leben führen.

Als nun eines Tages der König an dem Hause der Alten vorbeikam und auf dem Gesichte des Knaben den Morgenstern und auf dem des Mädchens den Abendstern bemerkte, da seufzte er tief und sprach: »Solche Kinder hatte mir meine Frau versprochen.« Er gewann aber diese Kinder so lieb, daß er sie sich in seinen Palast bringen ließ und sie mit auf die Jagd nahm und nicht mehr ohne sie sein wollte. Sowie aber seine Mutter die Kinder erblickte, da erkannte sie sogleich, daß dies die Kinder ihrer Schwiegertochter seien, und wurde darüber sehr bestürzt. Sie beriet sich also mit der Amme, wie sie dieselben aus dem Wege räumen könnten. Da sprach die Amme: »Sei außer Sorgen, ich weiß, wie ich es anfange, ohne daß der Verdacht auf uns fällt.« Als nun der Knabe mit dem König auf die Jagd gegangen und das Mädchen allein zu Hause war, da ging die Amme zu ihr und sprach: »Du bist ein schönes Mädchen, so schön als dies nur möglich ist; wenn aber dein Bruder das Flügelpferd der Ebene hätte, so würdest du noch schöner sein.« Als nun der Bruder am Abend von der Jagd zurückkam und seine Schwester in Tränen fand, fragte er sie, was ihr fehle; sie antwortete: »Ich betrübe mich darüber, daß du das Flügelpferd der Ebene nicht hast, und werde nicht eher wieder fröhlich sein, als bis du dies hierher bringst.« Da sagte er: »Sei nur ruhig, mein Kind, ich will das Pferd schon holen!« und machte sich sofort auf, um nach diesem Pferde zu suchen.

Nachdem er eine Strecke weit geritten war, begegnete[467] er einer alten Frau, die fragte ihn: »Wo willst du hin, mein Söhnchen?« Und er antwortete: »Ich soll das Flügelpferd der Ebene holen, Mutter, weißt du etwa, wo ich das finden kann?« – »Ach, Söhnchen, das ist keine leichte Sache, danach sind schon viele ausgegangen, aber nicht wiedergekommen. Nicht weit von hier ist eine Ebene, die ist so groß, daß man sechs ganze Tage braucht, um sie zu durchwandern, aber das Flügelpferd braucht nur einen Tag dazu. Das aber frißt Menschen und Tiere, und wenn du es fangen willst, so mußt du dich bei der Quelle, woraus es trinkt, hinter das Gebüsch verstecken2 und in dem Augenblick, wo es den Kopf zum Trinken senkt, dich auf dasselbe schwingen und nicht eher von ihm herabsteigen, bis es bei seinem Bruder schwört, dir dienen zu wollen.« Da bedankte er sich bei der Alten für den guten Rat, ging so lange, bis er zur Quelle kam, versteckte sich dort hinter dem Gebüsche, und als das Pferd zur Tränke kam und den Kopf zum Wasser senkte, schwang er sich auf dasselbe. Da rannte das Pferd, was es konnte, und versuchte auf alle Weise ihn abzuwerfen, aber jener hielt sich fest darauf. Da sprach das Pferd endlich: »In dir erkenne ich meinen Herrn, steige also herunter und ich will dir dienen.« Der Jüngling aber erwiderte: »Du mußt mir dies erst zuschwören, sonst steige ich nicht herunter.« Da schwor das Pferd bei seinem Kopfe. Dieser aber sprach: »Das taugt nicht, anders!« – »Bei meinem Schweife! – bei meinem Sattel – bei meinem Fuße!« Doch dieser sprach jedesmal: »Nein, das taugt nicht, anders.« Endlich sprach das Pferd: »Bei meinem Bruder!« Da rief jener: »Das ist das Wahre!« und stieg ab, legte ihm den Zaum an[468] und ritt mit ihm zur Stadt und brachte es seiner Schwester. Als der König hörte, daß er glücklich zurückgekehrt sei, da freute er sich so sehr, daß er ihm ein kleines Königreich schenkte.

Die Großmutter aber wollte vor Zorn bersten, als sie hörte, daß der Jüngling wieder da sei, und beriet sich von neuem mit der Amme zu seinem Verderben. Diese ging also wiederum zu dem Mädchen und sprach: »Du bist schön, Herzchen, und könntest nicht schöner sein, wenn du aber die Schöne des Landes hättest, würdest du doch noch schöner sein.« Als nun ihr Bruder nach Hause kam und sie wiederum in Tränen fand, da fragte er sie: »Was fehlt dir, Herzchen?« Und sie antwortete: »Ich weine darüber, daß wir die Schöne des Landes nicht haben, und werde nicht eher wieder fröhlich werden, als bis du sie holst.« Er aber sprach: »Sei nur ruhig, ich will sie schon holen!« und machte sich ohne Verzug nach ihr auf. –

Diese Schöne des Landes war aber ein wunderschönes Weib, welches jenseits eines Flusses wohnte, und wer sie holen wollte, der mußte an das trockene Bett des Flusses gehn und sein Pferd mußte dann wiehern, und wenn jene das Wiehern hörte, so konnte er durchreiten, wenn sie es aber nicht hörte, so wurde er an der Stelle, wo er stand, mit samt seinem Pferde zu Stein.

Als er an den Trockenfluß3 kam, sagte der Jüngling zu dem Flügelpferde: »Nun wiehere so laut du kannst.« Darauf wieherte das Pferd, aber die Schöne hörte es nicht. »Wir sind verloren!« rief das Pferd. Der Jüngling aber sagte: »Fürchte dich nicht und wiehere noch[469] einmal4.« Da wieherte das Flügelpferd noch einmal, und das hörte die Schöne und sprach: »Wer ist gekommen, um mich zu holen?« Darauf ritt er hinüber und holte sie ab, und als sie wieder durch den Trockenfluß ritten, da kamen eine Masse Menschen, die dort versteinert waren, wieder zum Leben. Sie begleiteten ihn, aus Dankbarkeit für ihre Erlösung, nach seiner Heimat und blieben dort bis zum Ende seiner Hochzeit mit der Schönen des Landes.

Der König freute sich ungemein über die Rückkehr des Jünglings, aber seine Mutter war darüber sehr bestürzt und machte nun mit der Amme aus, daß, wenn der König den jungen Leuten ein Gastmahl geben würde, so wollten sie sie dabei vergiften. Als sie nun wirklich der König zu Gast lud, da sprach die Schöne des Landes zu dem Jüngling: »Dieser König ist euer Vater und die arme Frau, die er eingemauert hat, ist eure Mutter; seine Mutter aber und die Hebamme haben euch ins Wasser geworfen, wo euch die Draken fanden und aufzogen,« und so fort erzählte sie ihm alles, was sich bis auf jenen Tag zugetragen. »Wenn wir nun zu dem Gastmahle gehen, so dürft ihr die arme Frau nicht schlagen, und bei Tisch sollt ihr nur von den Speisen essen, von denen ich esse.«

Als sie nun zum Könige gingen, verlangte dieser, daß sie die Eingemauerte schlagen und anspeien sollten. Sie aber baten, daß er, wenn er sie liebe, ihnen das erlassen möge. Als sie sich nun zu Tisch setzten, da stellte man ihnen lauter vergiftete Speisen vor, und nur vor dem König standen solche, die nicht vergiftet waren. Da langte die Schöne des Landes in die Schüsseln, die vor dem[470] König standen, und aß von diesen, und die Geschwister folgten ihrem Beispiele, und als sie der König einlud, auch von den andern Speisen zu essen, sagte ihm die Schöne der Welt, daß diese vergiftet seien. Da warf der König mit eigener Hand die ganze Mahlzeit zum Fenster hinaus und ließ aus dem Gasthause andere Speisen kommen.

Nachdem sie gegessen hatten, sprach die Schöne der Welt: »Wir haben von dir eine Gnade zu erbitten: du sollst uns zuliebe die eingemauerte Frau ausmauern und hierher bringen lassen.« Der König wollte ihnen das anfangs nicht gewähren, aber sie baten so lange, bis er endlich befahl, sie auszumauern und herzubringen. Sobald die arme Frau hereinkam, standen die drei jungen Leute auf und küßten sie. Da sprach jene: »Beschmutzt euch nicht an mir, liebe Kinder.« Und der König rief: »Was macht ihr da?« Die Schöne des Landes aber erwiderte: »Wir tun, was sich gebührt,« und erzählte ihm nun haarklein alles, was sich zugetragen. Als der König das hörte, umarmte er seine Kinder und seine Frau; – seine Mutter aber und die Hebamme ließ er jede an vier Pferde binden und in vier Stücke zerreißen.

Variante 2. (Aus Agia Anna in Nord-Euböa.) – Die dritte Schwester sagt, daß sie dem Königssohne drei goldene Kinder gebären wolle.

Sie gebiert, während ihr Mann im Felde ist, ein goldenes Kind; die böse Schwiegermutter wirft es aber in den Hühnerstall und legt dafür ein kleines Hündchen hin.

Als der rückkehrende Sohn nach dem Kinde fragt, das seine Frau geboren, antwortet sie: »Was wird es sein? Sie ist eine Hündin und hat ein Hündchen geboren.« Und der Prinz entgegnet: »Mag es auch ein Hündchen sein, es wird mein Haus bewachen.«[471]

Das zweite Kind vertauscht sie mit einem Kätzchen und wirft es in den Hühnerstall, und der rückkehrende Prinz antwortet auf diese Anzeige: »Mag es auch ein Kätzchen sein, es wird mein Haus von Mäusen reinigen.«

Das dritte Kind vertauscht sie mit einer Schlange. Da befahl der rückkehrende Prinz, seine Frau in den Hühnerstall zu werfen, und dorthin brachte ihr die Schwiegermutter heimlicherweise zu essen, weil sie sie doch nicht Hungers sterben lassen wollte.

Als die Knaben herangewachsen, ließ einmal der König all sein Volk durch seine Herolde vor sein Schloß zusammenrufen, und als das die Knaben hörten, brachen sie aus dem Hühnerstall und gingen auch dazu. Der König bemerkte sie und hatte eine solche Freude an ihnen, daß er sie mit in sein Schloß nehmen wollte. Sie aber sagten, daß sie nicht ohne ihre Mutter dahin gingen, und als der König fragte, wer ihre Mutter sei, so antworteten sie: »Das ist die Frau, die du in das Hühnerhaus gesperrt hast,« und erzählten ihm alles, was vorgegangen. Darauf holte er seine Frau aus dem Hühnerstall; seine Mutter aber ließ er an zwei böse Maultiere binden und von ihnen zerreißen.

Anmerkungen. – Text und Varianten gehören zur Verstoßungsformel Nr. 4.

Variante 1 enthält wohl die ursprüngliche Form der Verstoßung, die Einmauerung, welche von der slawischen Sage u.a. in dem albanesischen Skodra lokalisiert worden ist, und der die Vermauerung der Mutter in einen tür- und treppenlosen Turm bei Grimm Nr. 76 entspricht. Die Einsperrung in den Hühnerstall im Texte und Variante 2 ist wohl nur eine Abschwächung.

Der Eingang des Märchens, die Aussetzung der Neugeborenen auf einen Fluß und deren Erziehung durch[472] einen Kinderlosen, ist ein in Sage und Märchen zahlreich wiederkehrender Zug, welcher sich nicht nur in der Romulus- und Remussage, sondern auch in der Jugendgeschichte Sigurds der Vilcinasaga findet5.

In dem entsprechenden walachischen Märchen bei Schott Nr. 2 erscheint die Verstoßung und Einmauerung der Mutter wie bei Grimm Nr. 3 die Verbrennung mehr als Strafe für die Übertretung des Verbots der Mutter Gottes, in die Kammer zu gehen, welche der hölzerne Schlüssel öffnet.

Wie im deutschen Märchen ist es die Mutter Gottes, welche ihr die Kinder entzieht; sie führt sie der Eingemauerten zu, und Mutter und Kinder werden nach drei Jahren von dem Vater entmauert.

In Schott Nr. 8 verspricht ein schönes armes Mädchen dem Bräutigam einer Reichen, ihm goldene Kinder zu gebären; er nimmt sie daher zur Frau. Die Verschmähte wird seine Magd, tötet die goldenen Kinder, legt statt ihrer einen jungen Hund in die Wiege und bewirkt die Verstoßung der Mutter und ihre eigne Verheiratung mit ihrem früheren Bräutigam. Aber aus den Herzen der zwei Goldkinder wachsen zwei Bäume mit goldenen Ästen und Äpfeln. Die aus den umgehauenen[473] Bäumen gemachten Bettstellen reden und werden von der zweiten Frau verbrannt. Doch ein Schaf hatte zwei goldene Lämmer geboren; sie werden geschlachtet; ein Darm entgleitet der waschenden Magd in den Fluß; aus dem steigen die zwei Goldkinder hervor, die so schön sind, daß die Sonne vierundzwanzig Stunden am Himmel bleibt, um sie zu betrachten. Sie suchen ihre Mutter auf, gehen mit ihr verkappt ins Vaterhaus, erzählen ihre Geschichte, werfen ihre Vermummung von sich und glänzen wie die Sonne im Mai.

In der grünen Jungfer des Harzmärchenbuches von Ey, S. 178 gebiert die Heldin einen Knaben mit drei goldenen Locken, einen zweiten mit einem goldenen Stern auf der Brust (s. Nr. 22) und einen dritten mit einem goldenen Hirsch auf der Brust. Sie werden der Reihe nach von der grünen Jungfrau entzogen, um die Schweigsamkeit der Heldin zu prüfen, und als diese, beschuldigt, die drei Kinder gefressen zu haben, auf dem Scheiterhaufen steht, um verbrannt zu werden, bringt ihr die erlöste grüne Jungfer ihre Kinder, wie in dem Marienkinde bei Grimm Nr. 3. Dieses Entziehen der Kinder findet sich auch in unserem Märchen Nr. 66, jedoch ohne alle Begründung.

Die drei Königskinder in Wolf, D. Hausm., S. 168 ergeben sich als ein Gegenbild zu unserem Märchen von überraschender Ähnlichkeit. Die drei Königskinder, zwei Mädchen und ein Knabe, schwimmen nacheinander in Schachteln einem kinderlosen Müller zu, der sie aufzieht. Die böse Großmutter entdeckt sie, und aus Furcht vor ihr schickt sie der Müller auf seinem Esel in die Welt (s. Variante 1). Sie erhalten ein schönes Schloß durch ein Zauberbuch, das sie unter wegs finden und das Geister zu ihren Diensten stellt. – Die Dinge, nach welchen[474] der Held auf den böslichen Antrieb der verkappten Großmutter zur Verschönerung des Schlosses auszieht, sind: der Zweig von dem Baume mit goldenen Früchten, der sprechende Vogel und das springende Wasser. Mit diesem besprengt das jüngste Mädchen ihren Bruder und ihre Schwester, die zu Salzsäulen geworden, und der sprechende Vogel übernimmt wie im Textmärchen die Lösung des Knotens.

Eine neapolitanische Variante zu diesem Märchen findet sich im Pentamerone Nr. 35. Der König läßt die von ihm geschändete Mutter des Helden einmauern; ein verzauberter Vogel unterhält sie und rät ihr, den von ihr geborenen Sohn durch ein Loch in die königliche Küche zu lassen. Derselbe gewinnt die Gunst des Königs, und dessen auf ihn eifersüchtige Gemahlin bewirkt, daß er auf drei gefährliche Abenteuer ausgeschickt wird, die er mit Hilfe des Vogels besteht, der auch dessen Anerkennung herbeiführt, sich in eine Jungfrau verwandelt und ihn heiratet.

Sehr beachtenswert sind die Züge in Variante 2, daß für das Flügelpferd der Ebene der Schwur »bei seinem Bruder« der allein bindende ist, und daß er dasselbe auf die Anweisung einer Alten einfängt, während es aus einer Quelle trinkt, weil sie uns unverkennbare Anklänge an Pegasos, dessen Bruder Chrysaor, und die Einfangung des ersteren durch Bellerophon auf Athenes Anweisung zu enthalten scheinen. Die sonst häufige Vorstellung6, daß unter vielen Schwurformeln nur eine einzige bindend sei, ist in unserer Sammlung nur hier vertreten.

Fußnoten

1 ποῦλια.


2 νὰ σκαρβελωϑῆς ἀπὸ ταῖς τζαμπάδες.


3 ξηροπόταμο.


4 ταβράντα.


5 Er mutet uns in letzterer jedoch nicht als ursprünglich, sondern als entlehnt und angeleimt an, weil er auf die Entwicklung der Sigurdssage keinerlei Einfluß äußert. Ein Beleg zur Zeugungsunfähigkeit der späteren Sage! Als sich das Bedürfnis nach einer Geburtsgeschichte Sigurds zeigte, fand sich in dem germanischen Sagschatze keine hierzu geeignete selbständige Form mehr vor; man griff also in den verwandten Sagkreis der Amelungen und entlehnte von dort das Erforderliche. Dort war aber die andere Geburtssage bereits von Wittich in Beschlag genommen, daher blieb für Dietrich keine mehr übrig und es ist dessen Geburt und Kindheit ebenso sagenlos, wie die Siegfrieds in der deutschen (nicht aber in der eddischen) Form.


6 Z.B. Pentamerone Nr. 36, II, S. 74. – Nr. 38, II, S. 110. – Nr. 44, II, S. 184.

Quelle:
Hahn, J[ohann] G[eorg] v[on]: Griechische und Albanesische Märchen 1-2. München/Berlin: Georg Müller, 1918, S. 464-475.
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