[140] 25. Die Kuh mit den sieben Färsen

Lorenz Cotter besaß ein kleines Gut in der Gegend von dem See Gur und gedieh dabei, denn er war ein guter, fleißiger Mann, der bis an seinen Tod still und ruhig darauf gelebt haben würde, wenn ihn nicht ein Unglück betroffen hätte, von dem ihr sogleich hören sollt. Nah am Wasser gehörte ihm ein feines Stück Wiesenland, wie man es sich nicht besser wünschen kann, um dessen Ertrag er aber schmählich gebracht wurde und niemand konnte sagen durch wen. Ein Jahr um das andere fand es sich immer auf dieselbe Weise zu Grund gerichtet. Die Einfriedigung war im gehörigen[140] Stand und kein Grenzstein verrückt; des Nachbars Vieh konnte keinen Schaden gestiftet haben, denn es war gekoppelt; aber wie es nun geschehen mochte, das Gras auf der Wiese wurde zu großem Verluste Lorenz völlig verdorben.

»Was in der weiten Welt soll ich nur anfangen?« sagte Lorenz Cotter zu Thomas Welch seinem Nachbar, einem ehrsamen Mann: »das Bißchen Wiese, wofür ich schwere Abgaben entrichten muß, bringt mir so viel wie nichts ein und die Zeiten sind bitter schlecht genug, sie brauchten nicht noch schlimmer zu werden.«

»Ihr redet wahr, Lorenz,« versetzte Welch, »die Zeiten sind bitter schlecht, aber ich glaube, wenn Ihr bei Nacht wachen wolltet, Ihr könntet bald dahinter kommen; Michel und Diether meine beiden Jungen sollen mit Euch wachen, es ist zum Erbarmen, daß ein so ehrlicher Mann, wie Ihr seid, auf so schimpfliche Weise zu Grunde gehen sollte.«

Dieser Uebereinkunft gemäß nahmen die folgende Nacht Lorenz Cotter und Welch's beide Söhne ihren Posten in einer Ecke der Wiese. Es war eben Vollmond, der sein Licht über den ruhigen See ergoß, kein Wölkchen war am Himmel zu sehen, kein Laut zu hören, als der Schrei der Wachteln, die sich einander über das Wasser hin zuriefen.

»Jungen, Jungen!« sagte Lorenz, »schaut auf, schaut auf, aber ums Leben macht kein Geräusch und rührt euch keinen Schritt, bis ich das Wort sage.«

Sie schauten und sahen eine dicke fette Kuh in Begleitung von sieben milchweißen Färsen über die glatte Fläche des Sees sich nach der Wiese zu bewegen.

»Das ist nicht Tim Dwyers, des Pfeifers Kuh, die sich alles Fleisch von den Knochen getanzt hat,« flüsterte Michel zu seinem Bruder.

»Ihr Jungen,« sprach jetzt Lorenz Cotter, der die saubere Kuh mit ihren sieben weißen Färsen schönstens auf der Wiese angelangt sah, »sucht mir zwischen sie und dem See zu kommen, wir wollen sie geradezu in den Pfandstall treiben, gleichviel wem sie gehören.«

Die Kuh mußte aber diese Worte vernommen haben, denn augenblicklich wendete sie sich in größter Eile zu dem Ufer des Sees[141] und sprang hinein vor ihrer aller Augen; hinter ihr liefen die sieben Färsen, doch die Jungen gewannen ihnen den Vorsprung ab und hatten große Mühe sie von dem See weg zu Lorenz Cotter hinzutreiben.

Lorenz trieb die sieben Färsen in den Pfandstall, es waren prächtige Thiere und nachdem er sie daselbst drei Tage lang gehalten hatte, ohne daß sich ein Eigenthümer meldete, so nahm er sie heraus und brachte sie auf eines seiner Grundstücke. Sie wuchsen und gediehen mächtig, bis in einer Nacht das Gatter offen gelassen wurde und des Morgens die sieben Färsen fort waren. Lorenz konnte nichts wieder von ihnen in Erfahrung bringen und ohne Zweifel waren sie in den See zurück gegangen. Woher sie nun kamen und welcher Welt sie zugehörten, Lorenz bekam ihretwegen kein Hälmchen Gras mehr von der Wiese. Aus Verdruß gab er sich ans Trinken und der Trunk, sagt man, hat ihn getödtet.

Quelle:
Croker, Thomas Crofton: Irische Elfenmärchen. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1966, S. 140-142.
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