[69] 11. Die verwandelten Elfen

Johann Mulligan war ein so ehrlicher, alter Bursche, als je einer in Carlow seinem Pferde Sporn in die Seiten gesetzt hat. Außerdem war er der lustigste und munterste Geselle bei einem Punschnapf, den man weit und breit im Lande finden konnte. Er pflegte aber ein gutes Pferd zu reiten und ein besserer Punsch als der seinige wurde bei neunzehn Edelleuten nicht getrunken.

Mulligan glaubte steif und fest an Geister und ward bös, wenn jemand daran zweifelte. Er wußte mehr Geschichten davon, als in zwei Quartanten könnten gedruckt werden und er versäumte nicht sie zu erzählen, sobald er einen Zuhörer finden konnte. Einige glaubten ihm diese Geschichten, die meisten glaubten sie nicht; doch niemand pflegte zuletzt mehr dem alten Manne zu widersprechen, weil es unbarmherzig gewesen wäre, ihn damit zu quälen. Doch in seiner Nachbarschaft befanden sich ein paar junge[69] Leute, welche eben zum erstenmale, während der Ferienzeit von der hohen Schule gekommen waren und die Sommermonate bei ihrem Oheim, Herrn Whaley, zubrachten, einem alten Anhänger von Cromwell, der zu Ballybegmullinahone wohnt. Sie waren von ihrer Schulweisheit zu sehr angefüllt, als daß es ihnen möglich gewesen wäre, den alten Mann unangefochten seiner Wege gehen zu lassen.

Sie belachten jede Geschichte, die er vorbrachte und riefen: »das ist unmöglich! das ist alter Weiber Geschwätz!« oder dergleichen. Wenn er behauptete, seine Geschichten wären aus der reinsten Quelle geflossen, ja einige ihm von seiner eigenen Großmutter, einer achtungswürdigen alten Dame, wenn auch leicht bewegliches Geistes, als Dinge erzählt worden, die sie selbst erlebt hätte, so schnitten sie das Gespräch damit ab, daß sie behaupteten, die Großmutter wäre schon damals kindisch gewesen und hätte ohnehin in ihrer besten Zeit große Neigung gehabt, bei ihren Erzählungen ein langes Seil zu drehen.

»Aber,« sagten sie, »Mulligan, habt Ihr denn selbst jemals einen Elfen gesehen?«

»Niemals,« antwortete er.

»Wohlan,« riefen sie, »bis dahin narrt uns nicht mit solchen Erzählungen von meiner Großmutter.«

An diesem Fleck war Mulligan besonders empfindlich, und er wollte für seine Großmutter in die Schranken treten, aber die jungen Leute waren ihm zu scharf und zuletzt gerieth er in Hitze, wie gewöhnlich der, welcher bei einem Streit im Nachtheil ist. Diesen Abend (da er bei ihrem Oheim, der sein alter Freund war, zu Mittag gegessen) hatte er ziemlich reichlich getrunken und war ganz aufgeregt. Endlich ward er ganz leidenschaftlich, ließ die Pferde vorführen und ungeachtet aller Bitten des Hausherrn jagte er fort, obgleich er Willens gewesen war, da zu schlafen.

»Ich mag nichts mehr mit diesen beiden Maulaffen und Gelbschnäbeln zu thun haben,« rief er, »die, weil sie gelernt haben, unnützes in Trutenfüßen gedrucktes Zeug zu lesen und von einigen rothnasigen, geschwätzigen alten Perückenstöcken unterrichtet worden sind (nicht daß ich sagen wollte, es könnte einer der eine rothe Nase hat, kein ehrlicher Mann seyn), sich einbilden, sie[70] wüßten mehr, als ein rechtschaffener Kerl, der sichs sauer auf der Welt hat werden und ein paar Schock Jahre lang sich den Wind ins Gesicht wehen lassen.«

In ärgerlicher Hast ritt er fort und jagte so gewaltig, als sein Roß über die Kalksteine dahin sprengen konnte. »Verdammt!« stammelte er, »Gott verzeihe mir meine Sünde! die Schurken hatten in einem Stücke Recht, daß ich niemals Elfen gesehen! so wollte ich doch fünf Acker Land so gut, als eins auf dem je Kartoffel wuchsen, darum geben, könnte ich nur einen Schimmer – aber, gerechter Himmel, was ist das?«

Er blickte auf, vor seinen Augen zeigte sich das artigste Schauspiel von der Welt. Der Weg führte an einer anmuthigen Ebene vorüber, hier und da standen Bäume, nicht dicht, wie in einem Wald, sondern fünf oder sechs beisammen, oder auch einer ganz allein und erhoben sich über dem grünen Grund, wie ein Vorgebürg aus der See aufsteigt. Er war gerade der Krone des Gehölzes gegenüber gekommen, einer Eiche, welche in den ältesten Urkunden der Grafschaft (und die waren wenigstens fünf hundert Jahr alt) die alte Eiche von Ballinhassig genannt wurde. Die Zeit hatte den Stamm ausgehölt, während noch immer mächtige Aeste mit ihrem dunkeln, gezackten Laubwerk hin und her sich bewegten. Der Mond schien eben in vollem Glanz und bei diesem Licht bemerkte Mulligan eine allerliebste Gesellschaft kleiner, artiger Gestalten, die unter der Eiche in immerwährender, behender Bewegung tanzten. Es waren viele beisammen, einige breiteten sich fern noch über den fernsten Schatten der Eichenäste aus, andere zeigten sich glänzend in den fliegenden Lichtern, die zwischen den Blättern durchdrangen, andere konnte man ungehindert sehen, wie sie sich am Stamme unten niedergelassen hatten, andere endlich waren ohne Zweifel vor seinen Augen noch verborgen. Niemals hat man etwas lieblicheres gesehen. Sie waren kaum drei Daumen hoch, aber weiß, wie der gefallene Schnee und von unzähliger Menge. Mulligan hieng dem Pferd den Zügel über den Hals und ritt bis zu der niedrigen Mauer, welche die Anlage umgab, und darauf gelehnt, beobachtete er mit unaussprechlichem Vergnügen ihre Tänze und Sprünge. Bei diesem längern Anschauen bemerkte er bald manches, was ihm Anfangs[71] nicht in die Augen gefallen war. Besonders zeigte sich in der Mitte der König in größerer Gestalt, um welchen sich die Gruppe zu bewegen schien. Er starrte so lange, bis er endlich vor Freude sich nicht mehr zurückhalten konnte und laut rief: »Recht so, kleiner Geselle! wohl gesprungen und tüchtig!« Aber in demselben Augenblick, wo er diese Worte ausgesprochen hatte, verfinsterte sich die Nacht und die Elfen verschwanden mit Blitzesschnelle.

»Ich wünschte,« sagte Mulligan, »ich hätte meine Zunge im Zaum gehalten, doch es macht nichts aus. Jetzt will ich sogleich umkehren und nach der Burg Ballybegmullinahone zurückgehn und die eingebildeten, überklugen jungen Herrn auf diesen Platz heraustreiben.«

Mulligan eilte mit Windesschnelligkeit zurück. Er rasselte heftig an der Thüre und rief laut nach den beiden Jünglingen.

»Heda,« sagte er, »ihr jungen Plattköpfe, kommt herunter, wenn Ihr getraut. Ihr sollt Euch mit eigenen Augen überzeugen, daß ich wahr gesprochen habe.«

Der alte Whaley steckte seinen Kopf aus dem Fenster und sprach: »Johann Mulligan, was bringt Euch so spät wieder zurück?«

»Die Elfen!« schrie er, »die Elfen!«

»Ich fürchte,« murmelte der Herr von Ballybegmullinahone, »Ihr habt in das letzte Glas, das Ihr trankt, zu wenig Wasser gegossen; doch es hat nichts zu sagen, kommt herein und kühlt Euch bei einem Becher Punsch ab.«

Er kam herein und setzte sich wieder an den Tisch. In großer Begeisterung erzählte er seine Geschichte. Tausend und abermal tausend Elfen hatte er gesehn tanzend unter der alten Eiche von Ballinhassig. Er beschrieb ihre prächtigen Kleider von glänzendem Silber, ihre runden flachen Hüte in dem Mondschein schimmernd und die fürstliche Gestalt und Haltung des Oberhaupts. Er fügte hinzu, daß er ihren Gesang gehört und die entzückende Musik, die sie gemacht hätten. Doch das war bloße Einbildung. Die jungen Leute lachten, Mulligan ließ sich nicht irren.

»Wenn wir nun,« sagte einer von ihnen, »mit Euch gemeinschaftlich zu dem Platz hinausritten, wo Ihr die prächtige Gesellschaft von Elfen gesehen habt?«[72]

»Gut,« rief Mulligan, »nur kann ich Euch nicht versprechen, daß Ihr sie dort finden werdet, denn ich sah sie in die Höhe rauschen, wie einen Schwarm Bienen und hörte ihre Flügel in der Luft sausen.« Das war aber eine Prahlerei, denn Mulligan hatte nichts dergleichen gehört.

Sie ritten alle drei fort und kamen zu dem Gehölz. Sie langten bei der Mauer an, dem großen Baum gegenüber und der Mond war aus den Wolken wieder aufgetaucht und schien so hell, als wie Mulligan zuerst vorbei kam. »Schaut dort,« rief er frohlockend, denn dasselbe Schauspiel begann wieder vor seinen Augen, und deutete mit seiner Reitgerte hin, »schaut und leugnet, wenn Ihr im Stande seyd.«

»Wahrhaftig,« sagte einer von den Jünglingen mit einigem Nachsinnen, »dort sehen wir eine Gesellschaft weißer Gestalten aber wären das Geister noch zehnmal mehr, ich gehe doch unter sie.« Damit stieg er ab, um über die Mauer zu klettern.

»Ach, Thomas, Thomas!« rief Mulligan, »halt! halt! was wollt Ihr thun? die Geister, das stille Volk mein ich, haben es nicht gern, wenn sich jemand unter sie mischt. Ihr werdet gezwickt oder geblendet oder euer Pferd verliert die Eisen, oder – nun seht! Einen Eigensinnigen muß man gewähren lassen. Ach! oh! oh! jetzt ist er bald bei der Eiche. Gott stehe ihm bei, denn kein Mensch kann ihm mehr helfen!«

In diesem Augenblick war Thomas bei der Eiche angelangt und wollte bersten vor Lachen. »Mulligan,« rief er, »behaltet eure Gebete für Euch, eure Geister sind nicht so bösartig. Ich glaube sie geben eine leidlich gute Brühe.«

»Brühe?« sagte Mulligan, welcher, als er fand, daß die beiden Jünglinge, (denn der zweite war seinem Bruder gefolgt) mitten unter den Geistern lachend standen, abgestiegen und langsam vorgegangen war, »was meint Ihr mit Brühe?«

»Nichts,« antwortete Thomas, »als daß es Schwämme sind, denn das waren sie wirklich und euer Oberon ist nur ein übergroß gewachsener Pilz.«

Der arme Mulligan gab sein Erstaunen in einem langen Ausruf zu erkennen, schwankte, ohne noch ein Wort zu sprechen, zu seinem Pferd und ritt in starkem Gallop nach Haus ohne einmal[73] hinter sich zu schauen. Es dauerte lang, ehe er es wagte, den beiden Lachern in Ballybegmullinahone vor die Augen zu treten und bis zu seinem Tod nannte ihn das Volk den Pilzenhans in diesem und fünf andern Kirchsprengeln.

Quelle:
Croker, Thomas Crofton: Irische Elfenmärchen. Frankfurt am Main: Insel Verlag, 1966, S. 69-74.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon