[124] 20. Von dem Pathenkinde des heiligen Franz von Paula.

Es waren einmal ein König und eine Königin, die hatten keine Kinder, und hätten doch so gern eins gehabt. Die Königin aber hatte eine besondere Verehrung für den heiligen Franziskus von Paula.1[124] Da betete die Königin zum heiligen Franziskus und bat ihn, ihr doch ein Kindchen zu gewähren, sie würde es auch Paul oder Pauline heißen. Nicht lange, so gebar die Königin ein schönes Töchterchen und nannte es Pauline.

Pauline wuchs heran und wurde immer schöner. Als sie sieben Jahre alt war, schickten die Eltern sie in die Schule. Wenn sie nun mit dem Bedienten in die Schule ging, mußten sie immer an einer schmalen Gasse vorbei, die war sehr lang und lief zwischen zwei Mauern. Sie hatte aber keinen Ausweg und Häuser waren auch keine da. Einmal sprach nun die kleine Pauline zum Bedienten: »Warte einen Augenblick auf mich, ich komme gleich wieder,« und ging in die Gasse hinein. Da sah sie ein Mönchlein stehen, das winkte ihr und sprach: »Liebe Pauline, ich bin dein Onkel, komm her und habe mich lieb.« Das Mönchlein aber war der heilige Franziskus, der gab der kleinen Pauline Süßigkeiten, und sprach: »Jeden Morgen, wenn du zur Schule gehst, so komm herein in dies Gäßchen; du darfst aber Niemand sagen, daß du mich hier findest.« Pauline that es und jeden Morgen ließ sie den Bedienten warten und ging dem heiligen Franziskus die Hand zu küssen.

Eines Tages sprach nun der Heilige zu ihr: »Liebe Pauline, frage deine Mutter, ob es besser sei in der Jugend zu leiden, oder im Alter, und komme morgen und bringe mir die Antwort.« Als Pauline aus der Schule nach Hause kam, ging sie sogleich zu ihrer Mutter, und sprach: »Liebe Mutter, sagt mir doch, was ist besser, in der Jugend zu leiden, oder im Alter?« »O Kind,« erwiederte die Mutter, »was sind das für Fragen, und wer hat dir solche Dinge in den Kopf gesetzt? An dich können ja die Leiden nicht herankommen.« Pauline aber bat ihre Mutter, sie möchte ihr doch antworten, der Gedanke sei ihr eben so durch den Kopf gegangen. Endlich antwortete die Mutter: »Nun denn, mein Kind, für dich hat es ja keine Bedeutung, wenn du es aber durchaus wissen willst, so ist es wohl besser in der Jugend zu leiden, so ruht man im Alter.«

Am nächsten Morgen ging Pauline wieder in's Gäßchen und überbrachte[125] dem Heiligen die Antwort ihrer Mutter. Da sprach der heilige Franziskus: »Nun wohl, Kind, so komm mit mir,« und nahm sie in seine Arme und verschwand.

Der Bediente wartete unterdessen am Eingang des Gäßchens und als Pauline immer nicht kam, ging er ihr endlich nach. Aber Pauline war nirgends zu finden. »Wie ist denn das möglich?« dachte er, »die Gasse hat keinen Ausweg, Häuser sind auch keine da und über die hohen Mauern wird sie doch auch nicht geklettert sein.« Da lief der arme Mann endlich im hellen Schrecken zur Lehrerin und frug ob die Kleine vielleicht auf einem andern Weg zur Schule gekommen sei, es war aber keine Pauline da. Die Lehrerin begleitete ihn in das Schloß und theilten es dem König und der Königin mit. Da schickten sie nach allen Seiten aus das Kind zu suchen, es war aber Alles vergebens. Pauline war und blieb verschwunden. Der Schmerz der armen Eltern war sehr groß und die Königin sprach: »Mein armes Kind wird wohl ein Verhängniß zu erfüllen haben.«2

Lassen wir nun die Eltern und sehen wir uns nach Pauline um. Der Heilige brachte sie in eine ganz einsame Gegend, in einen Thurm, der hatte keine Thüre und nur ein Fenster. Darin wohnte der Heilige mit Pauline und erzog sie und lehrte sie Alles, was zu ihrem Stande gehörte.

Und Pauline wuchs heran und wurde mit jedem Tage schöner. Sie hatte aber wunderschönes langes Haar. Wenn nun der Heilige von einem Ausgange zurückkehrte, rief er ihr immer: »Pauline, Pauline, lasse deine schönen Flechten herunter und nimm mich hinauf!«3 Da ließ Pauline ihre schönen Flechten hinunter und der Heilige kletterte daran hinauf, in den Thurm.

Nun begab es sich eines Tages, als Pauline schon erwachsen war,[126] daß der König auf die Jagd ging und auch in die Gegend des Thurmes kam. Während er noch diesen sonderbaren Thurm ohne Thür anstaunte, sah er ein Mönchlein daher kommen, das ging geraden Wegs auf den Thurm zu. Da versteckte sich der König hinter einen Busch, weil er neugierig war, wie das Mönchlein wohl in den Thurm kommen würde. Der heilige Franziskus wußte wohl, daß der König hinter dem Busch versteckt war, und rief daher: »Birne und Quitte, laß deine schöne Flechten herunter und nimm mich hinauf.«4 Pauline aber erkannte die Stimme des Heiligen und ließ ihre Flechten hinunter. Der König aber sah nur die wunderschönen Flechten und ward nur noch begieriger auch in den Thurm zu dringen. Als nun der Heilige bald wieder den Thurm verließ, stellte er sich unter das Fenster und rief: »Birne und Quitte, laß deine schöne Flechten herunter und nimm mich hinauf.« Da glaubte Pauline, der Heilige sei es wieder und ließ ihre Flechten hinunter und der König kletterte daran hinauf. Sie konnte ihn aber kaum ziehen, denn der heilige Franziskus hatte sich immer so leicht gemacht, daß sie sein Gewicht kaum gespürt hatte. Als der König nun in das Zimmer sprang und das wunderschöne Mädchen sah, stand er zuerst ganz sprachlos da. Sie aber erschrak bei dem Anblick des fremden Mannes und floh entsetzt durch alle Zimmer. Der König eilte ihr jedoch nach und suchte sie mit sanften Worten zu beruhigen: »Edles Fräulein,« sprach er, »erschreckt nicht so vor mir. Ich will euch ja kein Leid thun. Kommt mit mir auf mein Schloß, meine Mutter wird euch freundlich empfangen und ihr sollt meine Gemahlin sein.« Nach und nach beruhigte sie sich und hörte ihn an, aber sie sagte, sie könne nicht mit ihm gehen, sie müsse auf ihren Onkel warten. Der Heilige aber kam nicht zurück, denn er wünschte, daß Pauline mit dem König gehe. Als nun der Heilige immer nicht kam, bewog der König das schöne Mädchen ihm zu folgen. Da brachte er sie zu seiner Mutter und sprach: »Liebe Mutter, dies Mädchen[127] soll meine Gemahlin sein.« Die Mutter aber wollte es nicht, da Niemand wußte, wo Pauline her war. Aber weil sie ihren Sohn so lieb hatte, so nahm sie Pauline doch freundlich auf und ließ es geschehen, daß sie bei dem König wohnte.

Nach einem Jahr gebar Pauline ihren ersten Sohn. In der Nacht aber kam der heilige Franziskus, nahm das Kindlein weg, bestrich Paulinens Mund mit Blut und beraubte sie der Sprache. Als nun am Morgen die alte Königin in das Zimmer kam war das Kindchen weg, die junge Mutter aber konnte nicht sagen, was aus ihm geworden war. Da erhob die alte Königin ein großes Geschrei und rief den König und sprach: »Eine Wehrwölfin5 hast du dir aus dem Walde mitgebracht, die ihre Kleinen frißt. Sieh, wie ihr Mund noch vom Blut befleckt ist.« Der König wollte es nicht glauben, als er aber zu Pauline kam, konnte sie ihm nicht antworten wo das Kind geblieben sei. Da ward der König tief betrübt, weil er sie aber so lieb hatte, so wollte er sie nicht verstoßen. Die arme Pauline aber weinte den ganzen Tag und betete in einem fort zum heiligen Franziskus.

Nach einem Jahr gebar sie ihren zweiten Sohn, und in der Nacht erschien wieder der Heilige und gab ihr die Sprache zurück. »Ach, heiliger Franziskus,« flehte sie, »laßt mir meine Kindlein, sehet wie viel ich leiden muß.« »Ja, Kind,« sprach der Heilige, »erinnerst du dich nicht, wie deine Mutter sagte, es sei besser in der Jugend zu leiden, so ruhe man im Alter? Leide also in deiner Jugend, so wirst du nachher dein Alter genießen.« Da nahm er auch das zweite Kindlein weg, bestrich ihren Mund mit Blut und beraubte sie der Sprache. Als nun am Morgen das Kind wieder fort war, war die alte Königin außer sich vor Zorn, und wollte die arme Pauline verstoßen und wegjagen. Der König aber wollte dennoch nicht, denn er hatte sie zu lieb.

Als nun wieder ein Jahr vergangen war, gebar Pauline ein kleines Mädchen, in der Nacht aber erschien der Heilige und Pauline flehte ihn[128] an: »O, heiliger Franziskus, laßt mir doch wenigstens dies eine Kindlein.« Er aber erwiderte: »Ich muß das Kindlein nehmen, aber sei getrost, deine Leiden haben nun bald ein Ende.« Damit nahm er das Kind, bestrich ihren Mund mit Blut und verschloß ihr denselben. Am andern Morgen ward die alte Königin aber so wüthend, daß sie die arme Pauline in ein abgelegenes Zimmer einschloß, Wachen davor stellte und ihrem Sohn verbot zu ihr zu gehen. »Diese Wehrwölfin muß sterben,« sprach sie, »und du sollst nun eine ebenbürtige Prinzessin heirathen.« Der König war tief betrübt, und weil er nicht selbst zu Paulinen kommen konnte, so schickte er seinen Diener hin, der mußte durchs Schlüsselloch schauen und ihm berichten, was sie thue. »Sie kniet am Boden,« antwortete er immer, »und fleht zum heiligen Franzikus.« Sie aber bat immer den Heiligen, er möge sie doch von ihren Leiden erlösen.

Unterdessen ließ die alte Königin eine benachbarte Prinzessin an den Hof kommen und sprach zu ihrem Sohn: »Diese Prinzessin wirst du heute heirathen.« Der König war tief betrübt und wollte nicht, aber seine Mutter bestand darauf. Nun sollte ein schönes Hochzeitsmahl gehalten werden und nach dem Mahl sollte die Hochzeit sein. Da erschien der heilige Franziskus bei der armen Pauline in ihrem Gefängniß und brachte die drei Kinder mit, die waren Eines schöner als das Andere. Dann brachte er ihr auch kostbare Kleider und einen königlichen Mantel und für die Kindlein brachte er drei goldene Sesselchen und sprach zu Pauline: »Kleide dich königlich an und setze dich mit den Kindern hin; wenn es Zeit ist, werde ich dich rufen.« Der König aber sprach zu seinem treuen Diener: »Gehe noch einmal hin, und schaue, was meine arme Pauline macht.« Der Diener ging hin, kam aber ganz entsetzt zurück: »Ach, Majestät, was habe ich gesehen!« »Nun, was hast du gesehen?« frug der König. »Denkt euch nur, sie sitzt da in einem herrlichen königlichen Mantel, mit einer Krone auf dem Kopf und neben ihr sitzen drei Kinder auf goldenen Sesselchen, die sind so schön wie drei Engelchen.« Der König wollte gern selbst durch das Schlüsselloch schauen, aber die Wachen ließen ihn nicht durch und er mußte zum Mahle gehen.[129]

Während sie nun bei Tische saßen, kam der heilige Franziskus und rief Pauline und ihre Kinder und führte sie aus dem Gefängniß, und die Wachen ließen sie durch, denn sie merkten wohl, daß das Mönchlein ein Heiliger war. Da ließ der heilige Franziskus die Kindlein vorausgehen in den Eßsaal und die beiden Aeltesten mußten zum König und zur alten Königin treten, und ihnen die Hand küssen und sprechen: »Guten Tag Papa, Guten Tag Großmama, ich will auch essen, wo ist mein Platz?« Als aber der König die Kinder sah, war er sehr erfreut und sprach: »Ihr seid gewiß meine lieben Kinder,« und umarmte sie. Da kam auch Pauline herein und sie war noch viel schöner als früher und konnte auch wieder sprechen, und mit ihr kam der heilige Franziskus, der sprach zum König: »Ich bin der heilige Franziskus und ich hatte deine Kindlein fortgenommen, jetzt aber sind eure Leiden zu Ende, und wir wollen fröhlich zusammen essen, und nachher traue ich euch.« Als das die fremde Braut hörte, wurde sie ohnmächtig und mußte fortgetragen werden, und als sie wieder zu sich kam, kehrte sie zu ihrem Vater zurück. Der heilige Franziskus aber traute den König und Pauline, gab ihnen seinen Segen und verschwand. Da lebten sie glücklich und zufrieden mit ihren Kindlein, wir aber haben das Nachsehen.

1

A rigina era divota di S. Franciscu i Paula.

2

Avrà a passare qualche destino.

3

Paulina, Paulina,

cala sti beddi trizzi (sic!) e pigghia a mia.

4

Pira e cutugnu,

cala sti beddi trizzi cu.

5

Lupa di voscu. Bedeutet auch Geißblatt, madreselva.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CXXIV124-CXXX130.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon