[135] 22. Vom Räuber, der einen Hexenkopf hatte.

Es war einmal ein König, der hatte drei schöne Töchter, die Jüngste aber war die Schönste und Klügste. Eines Tages rief er sie und sprach zu ihr: »Komm mein Kind und lause mich ein wenig.« Das that die jüngste Tochter und fand eine Laus. Da setzte der König die Laus in einen großen Topf mit Fett und ließ sie viele Jahre darinnen. Als er aber eines Tages den Topf zerschlagen ließ, war die Laus zu einem solchen Ungethüm angewachsen, daß alle Leute davor erschraken und der König sie umbringen ließ. Dann ließ er ihr die Haut abziehen, nagelte[135] sie über die Thür fest und sprach: »Derjenige, der errathen kann, von welchem Thier dieses Fell ist, der soll meine älteste Tochter zur Frau bekommen. Wer es aber nicht erräth, der muß seinen Kopf dabei verlieren.« Da kamen von nah und fern Prinzen und vornehme Herren und wollten die schöne Königstochter freien, aber Keiner konnte das Räthsel errathen, und so mußten sie jämmerlich sterben.

Nun war auch ein Räuber, der lebte in einer wilden Gegend ganz allein. Der hatte einen Hexenkopf1 in einem kleinen Körbchen, bei dem holte er sich immer guten Rath, wenn er irgend etwas unternehmen wollte. Dieser Räuber hörte nun davon, wie so viele Freier das Leben ließen und Keiner das schwere Räthsel herausbringen konnte. Da trat er vor seinen Hexenkopf und frug: »Sage mir, Kopf, von welchem Thier ist das Fell, das der König über seiner Thür angenagelt hat?« »Von einer Laus,« antwortete der Kopf. Nun war der Räuber guter Dinge und machte sich auf den Weg nach der Stadt. Unterwegs frugen ihn die Leute, wo er hinginge. »Ich gehe nach der Stadt und will die älteste Königstochter freien,« antwortete er. »So geht ihr eurem gewissen Tode entgegen,« meinten die Leute. Als er nun in die Stadt kam, ließ er sich bei dem König melden, er hätte auch Lust, das Räthsel zu errathen. Da ließ ihn der König hereinkommen, zeigte ihm die Haut und frug: »Kannst du mir sagen, von welchem Thier dieses Fell ist?« »Von einem Hasen?« sagte der Räuber. – »Falsch!« – »Vielleicht von einem Hund?« »Falsch!« »Ist es vielleicht das Fell einer Laus?« Da hatte er es errathen und der König gab ihm seine älteste Tochter zur Frau. Als nun die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbei waren, sprach er zum König: »Ich will nun mit meiner Frau nach Haus zurückkehren.« Da umarmte die Königstochter ihren Vater und ihre Schwestern, und ging mit ihrem Manne fort.

Nachdem sie lange, lange Zeit gewandert waren, kamen sie in eine wilde, einsame Gegend. »Ach,« sprach die Königstochter, »wohin führest[136] du mich denn? Wie häßlich es hier ist!« »Komm du nur mit!« antwortete der Räuber. Da kamen sie endlich an sein Haus, das war so finster und häßlich, daß die Königstochter wieder sagte: »Wohnst du denn hier? Ach, wie unfreundlich es hier ist!« »Komm nur herein,« antwortete der Räuber. Nun mußte die arme Königstochter in der Wildniß wohnen und hart arbeiten. Am zweiten Morgen sprach der Räuber: »Ich muß nun meinen Geschäften nachgehen, besorge unterdessen das Haus.« Zu seinem Hexenkopf aber sprach er ganz leise: »Gieb Acht, was sie über mich sagt.« Als nun der Räuber weg war, konnte es die Königstochter nicht mehr aushalten, und fing an über ihren Mann zu schimpfen, denn sie hatte ihn nicht gern geheirathet und konnte ihn nun vollends nicht leiden. »Dieser Bösewicht!« sagte sie, »ich wollte doch, er bräche den Hals! Möge das Unglück ihn verfolgen!« und dergleichen mehr. Der Hexenkopf aber hörte Alles mit an und erzählte es dem Räuber, als er nach Hause kam. Da ergriff der Räuber die Königstochter, schnitt ihr den Kopf ab und warf sie in ein Kämmerlein, darin waren noch viele andere Leichen von Mädchen, die er auf dieselbe Weise umgebracht hatte. Den nächsten Tag aber wanderte er wieder an den Hof des Königs. Als er nun zum König kam, frug ihn dieser: »Wie geht es meiner Tochter?« »Meine Frau ist wohl und munter,« antwortete der Räuber, »sie langweilt sich aber und möchte ihre zweite Schwester zur Gesellschaft haben.« Da gab ihm der König die zweite Tochter mit und er führte sie in jene wilde Gegend. »Ach, Schwager,« sprach sie, »wie unheimlich ist diese Gegend! Wohin führet ihr mich denn?« »Komm du nur mit,« antwortete der Räuber. Als sie nun an das Haus des Räubers kamen, frug die Königstochter wieder: »Ach, Schwager, ist das eure Wohnung? dieses häßliche Haus?« »Komm nur herein,« sprach der Räuber. »Wo ist denn meine Schwester?« frug sie. »Um deine Schwester brauchst du dich nicht zu bekümmern, thu nur deine Arbeit.« Also mußte die Königstochter harte Arbeit thun und ihr Herz ward immer mehr von Zorn und Haß gegen ihren Schwager erfüllt. Eines Tages nun sprach er zu ihr: »Ich muß meinen Geschäften nachgehen[137] und komme erst heute Abend zurück.« Dann ging er auch zum Hexenkopf und sprach: »Gib Acht, was sie über mich sagt.« Damit ging er. Die Königstochter aber machte ihrem Hasse Luft, schimpfte über ihn, und nannte ihn einen Bösewicht und wünschte ihm alles Unglück. Als nun der Räuber nach Hause kam, sagte es ihm der Hexenkopf und der armen Königstochter erging es nicht besser als ihrer Schwester.

Nun wanderte der Räuber wieder zum König, der frug ihn, wie es seinen zwei Töchtern gehe. »O sehr gut,« antwortete der Räuber, »sie hätten aber gern ihre jüngste Schwester, um bei einander zu sein.« Da gab ihm der König auch die Jüngste mit. Die war aber sehr klug, und als sie in die Wildniß kamen, sprach sie: »Nein, Schwager, wie schön ist diese Gegend! Wohnt ihr hier?« Und als sie an das Haus kamen, sprach sie wieder: »Ei, was ist das Haus so schön!« Als sie aber hineingingen, hütete sie sich wohl, nach ihren Schwestern zu fragen, sondern ging fröhlich an ihre Arbeit. Nun ging der Räuber wieder seinen Geschäften nach und der Hexenkopf mußte auf Alles achten, was die Königstochter sagen würde. Als sie nun ihre Arbeit fertig hatte, kniete sie nieder und betete laut für den Räuber, dem sie alles Gute wünschte, in ihrem Herzen aber wünschte sie, es möchte ihm ein Unglück begegnen. Am Abend kam der Räuber und frug gleich den Hexenkopf: »Nun, was hat sie von mir gesagt?« Da antwortete der Kopf: »Ach, so Eine haben wir noch nicht hier gehabt! Sie hat den ganzen Tag gebetet und fromme Wünsche für dich gethan!« Da war der Räuber sehr erfreut und sprach zur Königstochter: »Weil du vernünftiger gewesen bist, als deine Schwestern, so sollst du es gut bei mir haben und ich will dir auch zeigen, wo deine Schwestern sind.« Da führte er sie in das Kämmerlein und zeigte ihr die todten Schwestern. »Ihr habt wohl daran gethan, sie zu tödten, Schwager, wenn sie euch nicht geehrt haben,« sprach die kluge Königstochter. Nun hatte sie es gut bei dem Räuber und war Herrin im Haus.

Eines Tages aber, da der Räuber wieder einmal auf mehrere Tage fortgegangen war, kam sie von ungefähr in sein Zimmer, und als sie die Augen aufhob, erblickte sie den Hexenkopf. Der war in seinem[138] Körbchen oberhalb des Fensters angenagelt. Weil sie aber so klug war, so rief sie dem Kopf zu: »Was machst du da oben? Komm doch herunter zu mir, hier kannst du es viel besser haben.« »Nein,« antwortete der Kopf, »ich befinde mich hier oben ganz gut, und habe keine Lust, hinunter zu gehen.« Die Königstochter aber schmeichelte dem Hexenkopf, also daß er sich bethören ließ und endlich herunterstieg. »Was hast du für struppiges Haar,« sprach die Königstochter, »komm mit mir, ich will dich fein machen.« Da folgte ihr der Hexenkopf in die Küche, und die Königstochter nahm einen Kamm und begann den Kopf zu kämmen. Sie hatte aber gerade den Ofen geheizt, um das Brod zu backen. Während sie nun das Haar kämmte, wand sie sich leise den langen Zopf um den Arm, und mit einem Male schleuderte sie den Kopf in den Ofen, machte die Ofenthür zu und ließ ihn ruhig verbrennen.

An den Kopf aber knüpfte sich das Leben des Räubers und während er nun verbrannte, fühlte der Räuber auch seine Gesundheit und sein Leben schwinden und starb. Die Königstochter aber war an dem Fenster hinaufgestiegen, wo noch das Körbchen hing, in welchem der Kopf gehaust hatte. Dort fand sie ein kleines Töpfchen mit Salbe und als sie damit ihre Schwestern bestrich, wurden sie wieder lebendig. Da bestrich sie auch alle die anderen Mädchen und Jede nahm sich von den Schätzen des Räubers, so viel sie tragen konnte; dann kehrten sie Alle zu ihren Eltern zurück. Die drei Schwestern aber kamen zu ihrem Vater und lebten mit ihm glücklich und zufrieden, bis sie drei schöne Prinzen heiratheten.

1

Testa di mavara.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CXXXV135-CXXXIX139.
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