[310] 47. Von dem frommen Jüngling, der nach Rom ging.

Es war einmal eine arme Waschfrau, die hatte einen einzigen Sohn, der war wohl sehr dumm, aber dabei von Herzen gut und fromm. Die arme Frau schickte ihn mit ihrem Eselchen in den Wald, dort suchte er Reiser, trug sie in die Stadt und verkaufte sie. So lebten sie kümmerlich mit einander.

Nun begab es sich eines Tages, daß er mit seinem beladenen Esel an einer kleinen Kirche vorbeiging, in der eben gepredigt wurde. Da band er den Esel draußen an und trat in das Kirchlein und hörte, wie der Geistliche sagte: »Höret, meine Freunde, wie der Herr sagt: Wer in meinem Namen den Armen etwas gibt, wird es hundertfältig wieder erhalten.« Als der Jüngling das hörte, ging er hinaus, verkaufte das Holz und den Esel und schenkte Alles den Armen. »Nun muß mir aber der Herr es hundertfältig wiedergeben,« dachte er, und ging in die Kirche und drückte sich in eine Ecke, wo ihn Niemand sah. Als nun die Messen alle aus waren, schloß der Sakristan die Kirche und merkte nicht, daß der Jüngling drin geblieben war. Er wartete bis Alles still war, und stieg dann auf den Altar, wo ein großes Crucifix stand. Das redete er an und sprach: »Du, höre einmal.« Seht ihr, sogar diese Freiheit nahm er sich in seiner Einfalt, den Herrn Jesus zu dutzen. »Du, höre einmal,« sagte er also, »ich habe dein Gebot erfüllt und habe Alles was ich hatte verkauft und den Armen gegeben. Jetzt mußt du es mir aber hundertfältig wiedergeben, sonst habe ich ja Nichts meiner Mutter zu bringen.« Lange sprach er in dieser Weise mit dem Crucifix, endlich antwortete der Herr: »Ich bin arm und kann dir kein Geld geben. Geh aber nach Rom, in die größte Kirche, dort wohnt mein Bruder, der ist[310] viel reicher als ich, der kann dir vielleicht das Geld geben.« Da sagte der Jüngling: »Es ist auch wahr, du mußt sehr arm sein, denn du bist ja ganz nackend.« Also drückte er sich wieder in seine Ecke und wartete bis der Sakristan am nächsten Morgen aufmachte, und er hinaus konnte.

Da machte er sich auf den Weg nach Rom, ohne seiner Mutter etwas zu sagen, und wanderte den ganzen Tag, bis er bei Dunkelwerden an ein Kloster kam. »Hier könnte ich wohl die Nacht zubringen,« dachte er, klopfte an und begehrte ein Obdach. Das wurde ihm freundlich gewährt und der Prior rief ihn zu sich, um sich ein wenig mit ihm zu unterhalten. »Wohin wanderst du, mein Sohn?« frug er ihn. »Ich muß nach Rom gehen und mit dem Herrn sprechen, wegen einer Summe Geldes, die er mir geben muß.« Der Prior dachte anfangs, der Bauernbursche habe ihn zum Besten, da er aber sein einfältiges Gemüth erkannte, sprach er zu ihm: »Du könntest mir wohl einen Gefallen thun. Meine Mönche gerathen jedesmal nach dem Essen in solchen Streit, daß sie sich die Köpfe blutig schlagen. Sonst sind sie so fromm und gesittet, nach dem Essen aber ist es, als ob ein böser Geist in sie gefahren wäre. Wenn du nun mit dem Herrn spricht, so frage ihn, woher das kommt, und wenn du mir bei deiner Rückkehr die richtige Antwort bringst, so schenke ich dir hundert Unzen.« Der Jüngling versprach es, ruhte die Nacht in dem Kloster und machte sich am andern Morgen wieder auf den Weg.

Er wanderte den ganzen Tag, bis er am Abend in eine kleine Stadt kam. Da sah er ein hübsches Haus stehen, klopfte an und bat um ein Obdach, und der Hausherr gewährte es ihm. Dieser Mann aber war ein Kaufmann, der hatte drei schöne Töchter. Als sich nun der Kaufmann mit dem Jüngling unterhielt, frug er ihn, wohin er gehe. »Ich muß nach Rom und mit dem Herrn sprechen, wegen einer Summe Geldes, die er mir geben muß,« antwortete der Jüngling. Da glaubte auch der Kaufmann, er wolle ihn zum Besten haben, als er aber seine Einfalt erkannte, sprach er: »Thu mir einen Gefallen. Ich habe drei schöne Töchter, und habe noch Keine verheirathen können, ob ich gleich reich bin. Wenn du nun mit dem Herrn sprichst, so frage ihn, woher[311] das kommt, und wenn du mir die Antwort bringst, so schenke ich dir hundert Unzen.« Der Jüngling versprach es und wanderte am nächsten Morgen weiter.

Als es nun Abend wurde, kam er an ein Bauernhaus, da klopfte er an und bat um ein Nachtlager. Der Bauer nahm ihn freundlich auf, ließ ihn bei sich am Tische essen und frug ihn: »Wohin gehst du denn?« Der Jüngling erzählte wieder, er gehe nach Rom, um mit dem Herrn wegen einer Summe Geldes zu sprechen. »Da könntest du mir einen Dienst erweisen,« sprach der Bauer. »Ich habe ein schönes Gut, das hat früher viel Obst getragen. Seit einigen Jahren aber sind die Bäume alle unfruchtbar geworden, und ich habe auch nicht eine Feige oder Kirsche mehr gesehen. Wenn du nun mit dem Herrn sprichst, so frage ihn, woher das kommt, und wenn du mir die richtige Antwort bringst, so schenke ich dir hundert Unzen.« Der Jüngling versprach es, übernachtete bei dem Bauer und wanderte am nächsten Morgen weiter.

Endlich kam er nach Rom, und suchte sogleich die größte und schönste Kirche aus, in der wurde eben die Messe gelesen. Da er nun die vielen seidnen und goldnen Gewänder der Priester sah und die goldnen Monstranzen mit Edelsteinen besetzt, dachte er: »Der Herr hatte Recht; dieser sein Bruder ist viel reicher, der kann mir gewiß mein Geld wiedergeben.« Also drückte er sich in eine Ecke und wartete geduldig bis der Sakristan die Kirchthür schloß. Da stieg er auf den Altar, und sprach: »Du, höre einmal, dein Bruder hat mich zu dir geschickt. Der sollte mir eine große Summe Geldes geben, er ist aber zu arm und läßt dir deßhalb sagen, du solltest sie mir statt seiner geben.« Der Herr ließ ihn erst eine Zeitlang bitten, dann antwortete er: »Es ist gut, geh du nur nach Haus, auf dem Wege wirst du dein Geld bekommen.« »Ja« sprach der Jüngling, »ich muß dich aber noch etwas fragen. Eine halbe Tagereise von hier wohnt ein Bauer, der hat ein Gut, das ihm früher viel Obst einbrachte. Seit einigen Jahren aber sind die Bäume unfruchtbar geworden, woher kommt das?« Der Herr antwortete: »Früher hatte der Bauer keine Mauer um sein Gut gezogen, und wenn ein Armer vorbeikam,[312] der durstig war, streckte er nur seine Hand aus und nahm eine Birne oder sonst eine Frucht, um seinen Durst zu stillen. Der Bauer aber war habsüchtig und gönnte den Armen die paar Früchte nicht, deßhalb ließ er eine Mauer um das Gut ziehen und seitdem sind die Bäume unfruchtbar. Wenn er die Mauer umreißt, wird das Gut wieder Früchte tragen.« »Sage mir aber noch etwas,« fuhr der Jüngling fort. »In der und der Stadt wohnt ein Kaufmann, der hat drei schöne Töchter, aber obgleich der Vater reich ist, so hat sich doch noch Keine verheirathet. Woher kommt das?« Da sprach der Herr: »Die Mädchen sehen zu viel auf ihre Kleidung und wollen dadurch einen Mann erlangen. Wenn sie aber fein sittsam und ohne Putz in die Kirche gehen wollten, so würden sie bald einen Mann bekommen.« »Jetzt möchte ich aber noch Eines wissen,« sprach der Jüngling. »In dem und dem Kloster sind die Mönche den ganzen Tag fromm und gesittet. Wenn sie aber gegessen haben, fangen sie an sich zu streiten, und es gibt einen großen Lärm. Woher kommt das?« »Sie haben den Teufel zum Koch,« antwortete der Herr, »der verzaubert die Speisen, also daß sie diesen Unfrieden erregen.« Da dankte der Jüngling dem Herrn und der Herr griff in seine Seite und gab ihm zum Abschied einen Stein, den solle er wohl verwahren.

Der Jüngling aber drückte sich wieder in seine Ecke, und als der Sakristan am andern Morgen die Kirchthür aufmachte, ging er hinaus und wanderte nach Hause zurück.

Als er nun zum Bauer kam, frug ihn der: »Hast du mit dem Herrn gesprochen?« »Ja,« antwortete er, »die Bäume auf eurem Gut sind unfruchtbar, weil ihr die Mauer um das Gut gezogen habt. Wenn ihr die Mauer niederreißt und den Armen nicht wehrt, wenn sie einmal eine Frucht nehmen, dann wird das Gut wieder Obst tragen.« »Schön,« sprach der Bauer, »ich will gleich einen Versuch machen. Du mußt aber dableiben, bis ich die Bäume blühen sehe, sonst kann ich dir die hundert Unzen nicht geben.« Da blieb der Jüngling bei ihm und der Bauer riß die Mauer nieder, und siehe da, schon nach[313] wenigen Tagen waren die Bäume mit Blüthen bedeckt. Da gab ihm der Bauer die hundert Unzen, dankte ihm und ließ ihn ziehen.

Da kam der Jüngling zum Kaufmann, der frug ihn auch, ob er mit dem Herrn gesprochen habe. »Ja,« antwortete er, »eure Töchter verheirathen sich nicht, weil sie zu viel an Putz und Kleidung denken. Wenn sie aber fein sittsam in die Kirche gehen wollten, so würden sie bald einen Mann finden.« »Bleibe einige Tage bei mir, bis ich sehe, ob dein Rath gut ist,« sprach der Kaufmann, »dann will ich dir die hundert Unzen geben.« Da blieb der Jüngling da, und der Kaufmann nahm seinen Töchtern den Putz und die schönen Kleider ab, und schickte sie bescheiden und sittsam gekleidet in die Kirche, und siehe da, schon nach wenigen Tagen meldeten sich mehrere Freier, daß der Vater nur zu wählen brauchte. Da schenkte er dem Jüngling die hundert Unzen, dankte ihm für seinen guten Rath und ließ ihn ziehen.

Am Abend kam der Jüngling in das Kloster und wurde zum Prior geführt, der frug: »Hast du mit dem Herrn gesprochen?« »Ihr habt in eurem Kloster den Teufel zum Koch, der verzaubert die Speisen, daß sie Unfrieden stiften,« antwortete der Jüngling. »Wenn das wahr ist, so will ich den unsaubern Geist gleich beschwören,« sagte der Prior, nahm das Weihwasser und kleidete sich in die heiligen Gewänder, ging in die Küche und beschwor den bösen Geist, daß er aus dem Kloster ausfuhr und die Mönche von da an in Frieden lebten. Der Prior aber dankte dem Jüngling, schenkte ihm die hundert Unzen und ließ ihn ziehen.

Als er sich aber der Stadt näherte, begann der Stein, den er im Busen trug, zu leuchten und verbreitete einen solchen wunderbaren Glanz, daß man ihn viele Meilen weit sah. Die Geistlichen aber, da die Kunde davon erscholl, machten sich auf und zogen feierlich dem wunderbaren Stein entgegen. Da mußte der Jüngling Alles erzählen, und weil er würdig erfunden worden war, mit dem Herrn zu sprechen, so sollte er nun auch den Stein tragen, und ging unter dem Baldachin und trug den Stein in seinen Händen. Als er aber in die Kirche kam, und den Stein auf den Altar gestellt hatte, sank er um und war[314] todt, und seine Seele flog zum Himmel. In der Kirche aber war auch seine Mutter, die erkannte ihren Sohn und da sie ihn umsinken sah, eilte sie auf ihn zu und schloß ihn in ihre Arme. Da fand sie die dreihundert Unzen und nahm sie zu sich, führte ein frommes Leben, indem sie den Armen viel Gutes that, und als sie starb, wurde sie im Himmel mit ihrem Sohn vereinigt.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. CCCX310-CCCXV315.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon