[38] 7. Die beiden Fürstenkinder von Monteleone.

Es war einmal ein Fürst, der Fürst von Muntiliuni.1 Der lebte mit seiner Gemahlin in einem herrlichen Schloß, war unermeßlich reich, und hatte Alles was sein Herz begehrte. Dennoch waren sie Beide stets traurig, denn sie hatten keine Kinder. »Ach,« dachten sie oft, »wem sollen wir denn alle unsere Schätze einmal hinterlassen?« Endlich, nach langen Jahren, hatte die Fürstin Aussicht ein Kind zu bekommen. Da ließ der Fürst in einer einsamen Gegend einen Thurm ohne Fenster bauen, und ließ ihn herrlich ausstatten mit kostbaren Möbeln. Die Fürstin aber ließ sich gar nicht mehr sehen. Als nun ihre Zeit kam, gebar sie einen Sohn und eine Tochter. Die ließ der Fürst in aller Stille taufen, nahm eine Amme, und schloß sie mit den Kindern in den Thurm ein. Dort gediehen nun die Kinder, und wuchsen einen Tag für zwei,2 und wurden immer schöner. Als sie größer wurden, schickte ihnen der Vater einen Kaplan, der lehrte sie lesen, schreiben und Alles was zu einer guten Erziehung gehört.

Nach einigen Jahren wurde die Fürstin krank und starb. Bald darauf wurde auch der Fürst schwer krank, und da er fühlte, daß es mit ihm zu Ende gehe, ließ er den Kaplan rufen und sprach zu ihm: »Ich[38] fühle, daß ich jetzt sterben muß: dir empfehle ich meine Kinder an. Du sollst ihr Vormund sein und all mein Vermögen für sie verwalten. Laß sie aber den Thurm nicht eher verlassen, bis sich eine gute Gelegenheit findet sie zu verheirathen.« Der Kaplan versprach für die Kinder zu sorgen, wie wenn sie seine eigenen wären, und bald verschied der Fürst. Nun versiegelte der Kaplan alle die Schätze im Schloß, zog zu den Kindern in den Thurm, entließ die Amme, nachdem sie hatte versprechen müssen Niemanden von den Kindern zu erzählen, und lebte nun allein mit ihnen in der Einsamkeit. Die Kinder wurden von Tag zu Tag schöner, und lernten auch fleißig. Wenn nun in den Büchern die Rede auf fremde Länder und Städte kam, verwunderte sich der Knabe sehr, und wollte gern wissen, wie die Welt beschaffen sei, und je älter er wurde, desto mehr erwachte in ihm der Wunsch auszuziehen und die Welt zu sehen.

Als er nun ein schöner Jüngling geworden war, trat er vor dem Kaplan, und sprach zu ihm: »Onkel, laßt mich hinaus, denn ich will die Welt kennen lernen.« Der Kaplan wollte es anfangs nicht zugeben, aber der junge Fürst bat so lange, daß er endlich nachgeben mußte. Da ließ er ein wunderschönes Schiff bauen und bemannen, und füllte es mit kostbaren Schätzen, darauf sollte der Jüngling verreisen. Als er nun von seiner Schwester Abschied nahm, schenkte er ihr einen Ring mit einem kostbaren Stein, und sprach: »So lange der Stein klar ist, so lange bin ich gesund und werde zu dir zurückkehren; wenn aber der Stein trüb werden wird, dann bin ich todt und kann nicht zurückkehren.« Darauf umarmte er sie, bestieg sein Schiff und reiste ab. Alles schien ihm schön, der Himmel, die Sonne, die Sterne, die Blumen, das Meer, Alles war ihm unbekannt und Alles freute ihn.

Nachdem er einige Tage gefahren war, kam er in eine schöne Stadt, darin wohnte der König. Als er nun in den Hafen einfuhr, fing er an zu schießen. Das hörte der König, wurde neugierig und fuhr an die Marine, und da er das schöne Schiff sah, bekam er Lust an Bord zu steigen. Dort wurde er von dem jungen Fürsten wohl empfangen, und[39] er gewann den schönen und edeln Jüngling so lieb, daß er ihn mit an's Land und auf sein Schloß nahm, ihn hoch in Ehren hielt und zu seinem steten Begleiter machte. In's Theater, auf den Ball, überall nahm er ihn mit. Unter seinen Ministern aber waren Manche neidisch auf die Gunst, die er dem Jüngling erwies, denn die neidischen Menschen fehlen nirgends auf der Erde.

Als sie nun eines Tages bei dem König versammelt waren, erzählte der junge Fürst von seiner Schwester, die so schön sei, und die noch nie eines Mannes Auge erblickt habe, und rühmte ihre große Tugend. Darüber zuckte nun einer der Minister die Achsel, und meinte es gälte eben nur einen Versuch, und er wette es würde ihm gelingen. Ein Wort gab das andere, und endlich gingen der Minister und der Jüngling die Wette ein, derjenige aber, der die Wette verlor, sollte gehängt werden. Nun bestieg der Minister ein Schiff, und nachdem er lange nach dem Orte Monteleone geforscht hatte, kam er endlich dahin. Als er sich aber dort nach der Tochter des verstorbenen Fürsten erkundigte, lachten ihm Alle in's Gesicht, und meinten der Fürst und die Fürstin seien ja ohne Kinder gestorben, und wie viel er auch fragen mochte, sie konnten ihm keine Auskunft geben. Da wurde er sehr bange, und fing an für sein Leben zu fürchten.

Als er nun so mißmuthig durch die Straßen schlenderte, bettelte ihn eine arme Frau an. Er wies sie hart ab, sie aber frug ihn nach der Ursache seines Mißmuthes. Endlich erzählte er ihr denn, wie er die junge Fürstin von Monteleone nicht finden könne, und welche Wette er eingegangen sei. »Wenn mir Jemand helfen könnte,« rief er, »ich wollte ihn reich belohnen.« Die Frau aber war Niemand anders, als die Amme der beiden Kinder. Da ihr nun der Minister eine so reiche Belohnung versprach, ließ sie sich bestechen, und sprach: »Kommt morgen an diesen selben Ort, so will ich euch helfen.« Den nächsten Morgen machte sich die falsche Frau auf den Weg nach dem Thurm, und pochte dort an. Zufälligerweise war der Kaplan zur Stadt gegangen und das Mädchen allein im Haus. Als sie nun das Mädchen sah, sprach sie: »Liebes Kind,[40] ich bin deine frühere Amme, und bin gekommen dir einen Besuch zu machen.« Da ließ das Mädchen sie hinein, und die Alte schritt durch die Zimmer und betrachtete Alles ganz genau. Als sie nun in das Schlafzimmer des Mädchens kamen, sprach sie: »Komm, liebes Kind, ich will dich hübsch ankleiden.« Das Mädchen aber hatte ein Muttermal auf der Schulter mit drei goldenen Härchen, die waren mit einem Fädchen geflochten. Auch trug sie den Ring ihres Bruders am Schnürleibchen festgenäht. Wie nun die Alte sie ankleidete merkte sie sich genau die Form des Muttermales, und entwendete ihr auch unbemerkt den Ring. Dann verließ sie sie, und kehrte eilig zum Minister zurück, dem sie Alles erzählte, was sie sich gemerkt hatte, und ihm auch den Ring gab.

Nun kehrte der Minister eilig in sein Land zurück, trat vor den König und erzählte: »Ich habe die Wette gewonnen, so und so sieht es im Hause aus; auf der Schulter hat die Fürstin ein Muttermal mit drei goldenen Härchen, die mit einem Fädchen geflochten sind, und diesen Ring hat sie mir geschenkt.« Da das der junge Fürst hörte, konnte er Nichts erwiedern, aber er wurde auch von einem heftigen Grimm gegen seine unschuldige Schwester erfüllt. »Wohl,« sprach er, »ich bin bereit zu sterben, und bitte nur um acht Tage Frist.« Der König, der sehr traurig war über das Schicksal seines Lieblings, gewährte ihm die Frist, und nun rief der junge Fürst seinen treuen Diener Franz herbei, und sprach zu ihm: »Du hast mir bisher so treu gedient, nun mußt du auch meinen letzten Befehl erfüllen. Eile zu meiner nichtswürdigen Schwester, tödte sie und bringe mir ein Fläschchen von ihrem Blut, daß ich es trinke, so werde ich freudig sterben.« Der Diener war sehr betrübt über diesen Auftrag; er mußte aber gehorchen und reiste also nach Monteleone. Wie ihn die junge Fürstin sah, und bemerkte wie traurig er war, frug sie ihn nach der Ursache. »Ach,« erwiederte Franz, »ich muß euch tödten, denn ihr habt eine schwere Sünde begangen und euretwegen muß mein armer Herr sterben.« »Was habe ich denn gethan?« frug das arme Mädchen. »Wie? habt ihr nicht den Minister des Königs bei euch empfangen, und ihm sogar den Ring eures Bruders geschenkt?« – Da[41] merkte sie erst, daß der Ring fort war, und ihr Verdacht fiel gleich auf die Amme, die ihr wenige Tage vorher beim Ankleiden geholfen hatte. Nun warf sie sich dem Kaplan zu Füßen und rief: »Lieber Onkel, laßt mich ziehen, ich muß gehen und meinen Bruder retten.« »Ach Kind,« erwiederte der Kaplan, »das kann dir ja nimmer gelingen!« Sie aber bat so lange, bis er seine Einwilligung dazu gab. »Nun, lieber Onkel,« fuhr sie fort, »müßt ihr mir die schönsten Perlen und Edelsteine meiner Mutter holen.« Der Kaplan ging hin, füllte ein Kistchen mit den edelsten Steinen und kostbarsten Perlen, und die Jungfrau machte sich mit Franz auf den Weg nach der Residenz. »Nun mußt du mir ein Zimmer in einem Wirthshaus miethen,« sprach sie, »dann tödte einige Hühner, bringe meinem Bruder ein Fläschchen Blut und sage ihm, du hättest seinen Befehl erfüllt.« Franz that Alles was seine Herrin ihm befahl, und als der junge Fürst das Blut getrunken hatte, kehrte er in's Wirthshaus zurück. Nun mußte er die Fürstin zum besten Goldschmied der Stadt begleiten, zu dem sprach sie: »Meister, aus diesen Perlen und Edelsteinen müßt ihr mir binnen drei Tagen eine Sandale machen, so kostbar, wie ihr nur könnt.« Der Meister nahm sogleich eine Schaar neuer Gesellen, die Tag und Nacht arbeiten mußten, und binnen drei Tagen war die kostbare Sandale fertig.

Zugleich waren die acht Tage verronnen, und der arme junge Fürst sollte zum Galgen geführt werden. Nun ließ seine Schwester eine kleine Tribüne errichten, an dem Wege auf dem ihr Bruder zum Tode geführt werden sollte, und setzte sich darauf; vor ihr auf einem silbernen Theebrett lag die Sandale. Als nun der Zug des Weges gezogen kam, wartete sie bis der König in seinem Wagen vorbeifuhr, und rief: »Königliche Majestät! Ich flehe um Eure Gerechtigkeit und Euren Schutz.« »Was ist denn dein Begehr?« frug der König. »Einer Eurer Minister hat mir eine Sandale gestohlen, die zu dieser hier gehörte, und der dort ist der Dieb.« Damit wies sie auf den Minister, durch dessen Schuld ihr Bruder den Tod erleiden sollte. »Wie!« rief der Minister, »ich soll euch eine Sandale gestohlen haben? Wenn ich euch nun noch einmal sehe, so habe[42] ich euch zum zweiten Mal gesehen.«3 »O Nichtswürdiger,« rief nun die Fürstin, »wenn du mich nicht einmal kennst, wie kannst du dich denn rühmen meine Gunst genossen zu haben? Ich bin die Schwester des Unglücklichen, der um deiner Verleumdungen willen den Tod erleiden soll.« Als der König das hörte, befahl er sogleich den jungen Fürsten zu befreien; der Minister aber wurde ergriffen und an demselben Galgen aufgehängt. Die beiden Geschwister führte der König auf sein Schloß, und weil das Mädchen so schön war, nahm er es zu seiner Gemahlin. Da ließen sie ihre Schätze kommen, und der Kaplan mußte auch zu ihnen ziehen. So lebten sie denn vergnügt und glücklich, wir aber haben das Nachsehen.

1

Principi di Muntiliuni. (Monteleone in Calabrien?)

2

Criscianu un giornu pi dui.

3

Si vi vidu n'autra vota, v'aju vidutu dui voti.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. XXXVIII38-XLIII43.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lewald, Fanny

Jenny

Jenny

1843 gelingt Fanny Lewald mit einem der ersten Frauenromane in deutscher Sprache der literarische Durchbruch. Die autobiografisch inspirierte Titelfigur Jenny Meier entscheidet sich im Spannungsfeld zwischen Liebe und religiöser Orthodoxie zunächst gegen die Liebe, um später tragisch eines besseren belehrt zu werden.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon