[248] 74. Von Einem, der mit Hilfe des h. Joseph die Königstochter gewann.

Vgl. Wolf Nr. 25, Meier Nr. 31, Schambach Nr. 18, Müllenhoff S. 457. In allen diesen M. soll eine Königstochter denjenigen heiraten, der ein zu Land und zu Wasser oder – im niedersächsischen M. – ein ohne Wind und Wasser fahrendes Schiff bringt. In Wolf's M. versuchen drei Brüder das Schiff zu bauen, aber nur der jüngste bekömmt es fertig, weil er gegen eine alte Frau freundlich ist. Im schwäbischen M. baut ein alter Mann dem jüngsten von drei Brüdern, der sein Frühstück mit ihm getheilt hat, das Schiff. Im dithmarsischen M. gibt ein alter Mann dem jüngsten von vier Brüdern für einen Pfannkuchen das Schiff. Im niedersächsischen M. baut ein altes Männchen einem Hirtenjungen das Schiff. Die wunderbaren Gesellen, die der Jüngling, dem Rath des Alten, bezüglich der Alten, folgend, unterwegs aufnimmt, sind bei Wolf: ein Esser, ein Trinker, ein Läufer, ein Bläser und einer, dessen Büchse zweitausend Stunden weit knallt; bei Meier: ein Läufer, ein Horcher, ein Schütze und einer, der einen Zapfen hinten hat; bei Schambach: ein Esser, ein Trinker, ein Läufer. Bei Müllenhoff fehlt die nähere Bezeichnung der Gesellen.

Wie im sicil. M. der Läufer in einer Stunde einen Brief an den Grafen der Unterwelt und die Antwort zurück bringen muß, so muß er bei Wolf ebenfalls einen Brief besorgen, bei Schambach den Taufschein, bei Meier von einem fernen Brunnen Wasser holen. In allen M. schläft der Läufer unterwegs ein, wird[248] aber durch einen Schuß des Schützen erweckt (nachdem bei Meier der Horcher ihn hat schnarchen hören).

In einem mährisch-walachischen M. bei Wenzig S. 59 ist ein von selbst fahrender Wagen an die Stelle des Schiffes getreten, doch soll die Prinzessin nicht den heiraten, der einen solchen Wagen hat, sondern den, der sie zum Lachen bringt. Letzteres geschieht in ähnlicher Weise wie bei Grimm Nr. 64 u.a. Die wunderbaren Gesellen sind ein Esser, ein Läufer und einer mit zwei goldnen Kugeln. Auch hier muß der Läufer von einer fernen Quelle Wasser holen, schläft bei der Quelle ein und der Werfer muß ihn durch Werfen erwecken.

Auch Knust Nr. 10 gehört hierher, ist aber entstellt.

Das Einschlafen des Läufers und das Erwecken desselben durch den Schützen kömmt ach vor bei Meier Nr. 8, Grimm Nr. 71, Ey S. 116 (entstellt) und in »Belle-belle ou le Chevalier fortuné« der Gräfin d'Aulnoy1. Bei Grimm Nr. 71, Meier Nr. 8 und Ey S. 115 kömmt auch ein Baumausreißer vor, wie im sicil. M.; bei Meier schleppt er mit seinem Sack auch noch das Schloßthor nebst acht Säulen fort, ähnlich wie im sicil. M.

Ueber das zu Land und zu Wasser fahrende Schiff s. man auch noch meine Anm. zu Campbell Nr. 16 und füge noch hinzu Grundtvig II, 28 und Vernaleken Nr. 39.

Die – im sicil. M. vom h. Joseph – gemachte Bedingung, alles Erworbene zu theilen, und die deshalb nachher verlangte Theilung der Königstochter kömmt in mehreren Fassungen der viel verbreiteten Geschichte von dem für seine Beerdigung dankbaren Todten vor.

In dem englischen Gedicht »Sir Amadas« (Weber, Metrical Romances III, 271) verlangt der Geist die Theilung der Frau des Sir Amadas, und dieser ist dazu bereit und erhebt sein Schwert, um sie in zwei Theile zu zerhauen. In dem italienischen Volksgedicht »Istoria bellissima di Stellante-Costantina«2 ist Bellafronte ebenfalls bereit, seine Gemahlin zu zertheilen, und zückt den Säbel. Ebenso erklärt sich bei Campbell Nr. 32 Jain bereit, sein Versprechen zu halten und Reich und Weib und Kinder zu theilen. Aber bei Straparola XI, 2 will Bertuccio seine Frau nicht zerschneiden, sondern sie lieber dem Geist ganz abtreten. Ebenso bei Haltrich Nr. 93.[249]

Statt der Halbierung der Frau wird in einigen Fassungen der Geschichte vom dankbaren Todten die Halbierung des inzwischen geborenen Kindes ver langt. In dem Roman von Olivier de Castille und Artus d'Algarbe (Mélanges tirés d'une grande Bibliotheque, E, 101) ist Olivier bereit, sein Töchterchen zu theilen, und zieht sein Schwert. In der Novelle der Madame de Gomez von Jean de Calais (s. Pfeiffer's Germania III, 205) reicht Jean dem Geist sein Söhnchen dar, und der Geist zückt das Schwert. In dem M. in Wolf's Zeitsch. III, 50 deutet der Geist nur an, daß er die Hälfte des Söhnchens verlangen könne, beruhigt aber sogleich den erschrockenen Vater. In einem andern M. in Wolf's Zeitschr. II, 377 will der König das Kind dem Geist lieber ganz geben.

In allen diesen Fassungen der Geschichte vom dankbaren Todten wird die Theilung der Frau oder des Kindes – also die Opferung des Theuersten – vom Geiste des Todten nur verlangt, um die Frau seines Schützlings zu prüfen, in einem armenischen und in einem russischen M. hat aber die Theilung der Frau noch einen andern, mit dem besondern Verlauf dieser M. in Zusammenhang stehenden Grund. In dem armenischen M. (Haxthausen, Transkaukasia I, 333, daher auch bei Benfey, Pantschat I, 219 und in Pfeiffer's Germania III, 202) soll die Frau vom Geist mitten durch gespalten werden und wird deshalb den Kopf nach unten aufgehängt; da gleitet eine Schlange aus ihrem Munde; die Theilung unterbleibt. In dem russischen M. (Orient und Occident III, 96) wird die Frau von dem Geiste wirklich zersägt, und es kommen kleine Drachen aus ihrem Leib; dann wird sie wieder zusammengesetzt und neu belebt.4

Endlich ist noch ein neugriechisches M. (Hahn Nr. 53) zu erwähnen. Hier beschützt ein Heiliger einen Jüngling, den sein Vater einst verkauft hatte, damit er die dem Heiligen zu Ehren brennende Lampe unterhalten konnte. Als der Jüngling mit Hilfe des Heiligen in den Besitz seiner Geliebten gelangt ist, verlangt der Heilige die Theilung der Jungfrau, und der Jüngling ist dazu bereit und zückt sein Messer.

1

Dies französische M. liegt dem deutschen Volksbuch »Historie des pommerschen Fräuleins Kunigunde« zum Grunde. S. Grimm III, 121 und Benfey im Ausland 1858, S. 1069.

2

Von diesem Gedicht ist bis jetzt kein älterer Druck als von 1801 (Venezia, Cordella) bekannt. S.A. D'Ancona's Ausgabe der Novella di Messer Dianese e di Messer Gigliotto, Pisa 1868, pg. 6.

3

Nicht als Halbierung, sondern als gemeinsames Besitzen ist die Theilung der Frau gefaßt in dem mittelhochdeutschen Gedicht in von der Hagen's Gesammtabenteuer Nr. 6. Hier kömmt der Geist in der zweiten Nacht nach der Hochzeit in das Schlafgemach des Grafen, als dieser sich eben mit seiner Gemahlin niederlegen will, und verlangt die Stelle des Grafen einzunehmen. – In der Novelle von Messer Dianese und Messer Gigliotto theilt der Geist den Gewinn in zwei Theile, ein Theil soll Dianese's Gemahlin sein, der andere ihr Gefolge u.s.w. Messer Dianese nimmt seine Gemahlin. Ebenso verlangt im Roman vom Herzog Herpin und seinem Sohn Löw der Geist entweder die Königstochter oder das Königreich; Löw ist bereit, letzteres ihm zu überlassen. (Buch der Liebe, Frankfurt 1587, S. 365 c, Simrock's Deutsche Volksbücher XI, 311). In dem Gedicht »Richard le Bel« ist der Geist nicht der fordernde, vielmehr bietet ihm Richard selbst die Wahl zwischen der Königstochter oder ihrem Erbe an (Le Bibliophile belge 1867, pg. 414).

4

Vgl. auch die eigenthümliche sibirische Gestaltung des russischen M. in Radloff's Proben der Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens I, 329, Nr. 4.

Quelle:
Gonzenbach, Laura: Sicilianische Märchen. Leipzig: Engelmann 1870, S. 248-250.
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