2. Basilienkraut, Münze und Häher.

Catalanische Sage.


Herodes der Große, der König von Judäa, hatte beschlossen, alle Kinder zu töten, um das Jesuskind sicher umzubringen. Voll Schrecken floh Maria über die Felder und drückte das Kind an sich, das der Welt das Licht bringen sollte. Auf einem Acker bemerkte Maria einen Bauern, der mit vollen Händen die Saat ausstreute.

›Bauer, lieber Bauer‹, sagte sie zu ihm, ›geh und hole deine Angehörigen, damit ihr das Korn mähen und Garben binden könnt.‹[31]

Der Bauer unterdrückte ein spöttisches Lächeln und zuckte die Achseln: ›Ihr spottet‹, erwiderte er, ›seht Ihr nicht, daß ich mein Korn aussäe?‹

›Trotzdem geh‹, erwiderte Maria, ›gehorche und beeile dich.‹

Diese Worte wurden in so überzeugendem Tone gesprochen, daß der gute Bauer lief, um seine Familie zu holen. Als er wiederkam, war ein Wunder geschehen: das Korn war reif. Da fing er schnell an zu mähen und zu binden; Maria aber verbarg sich mit dem Kind unter den Garben und befahl ihm zu schweigen und sie nicht zu verraten. Die Kornähren waren aber nicht ganz lang genug, man sah noch einen Zipfel von ihrem Mantel. Da neigten sich Salbei- und Basilienkrautzweige, die in der Nähe waren, schlangen sich ineinander und bildeten ein Gebüsch, das Maria deckte und beschützte. Einige Schritte weiter aber befand sich ein Büschel Münze. Plötzlich hörte man die Hufschläge von Pferden, – Herodes kam mit seinen finsteren Kriegern. Er fragte den Bauer, ob er nicht eine junge Frau mit einem Kind in den Armen gesehen habe; ›Herr‹, sagte der Bauer, ›ich habe wohl eine Frau gesehen, doch war es, als ich säete.‹[32]

›Wenn dem so ist‹, sprach Herodes voll Wut, ›so muß sie schon sehr weit fort sein, denn deine Ernte ist schon beendet. Ich will sie eiligst weiter verfolgen.‹

In diesem Augenblick hätte Herodes ein Murmeln hören können, das von einem benachbarten Busch her erklang:

›Unter der Garbe, unter der Garbe!‹ rief die Münze, und ein Häher, der in der Nähe flog, wiederholte:

›Unter der Garbe, unter der Garbe!‹

Zum Glück verhallten diese verräterischen Rufe ungehört, und Maria war gerettet.

Aber die arme Mutter Gottes fluchte der Pflanze und dem Vogel hart, die sie hatten verraten wollen.

›Du wirst blühen, aber keine Frucht tragen‹, sagte sie zur Münze. Und auch den Häher verwünschte sie.

›Soviel du auch essen wirst, du wirst niemals satt werden.‹ Dann wandte sie sich an das Basilienkraut und bezeichte ihm ihre Dankbarkeit.

›Gott segne dich‹, sagte sie, ›du wirst blühen und Früchte tragen.‹ Seitdem ist das Basilienkraut eine Lieblingspflanze der Mädchen, die sich gern Sträuße davon ans Mieder stecken.[33]

Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Naturgeschichtliche Märchen. 7. Aufl. Leipzig/Berlin: 1925, S. 31-34.
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