XXXIV. Stalo und die Lappenbrüder Sodno.

[145] (Aus dem schwedischen Lappmarken.)


Es waren einmal zwei Brüder, die Sodno hießen, und dieselben besaßen eine große Renthierherde. Sie hatten eine einzige Schwester, Namens Lyma, und wenn die Brüder auf der Jagd waren, mußte Lyma die Renthierherde hüten. Mehrere Meilen von den Brüdern Sodno aber wohnten drei Brüder vom Stalogeschlechte zusammen mit ihrer alten Mutter.

Eines Tages, während die Sodnobrüder auf der Jagd waren, kamen die Stalobrüder und nahmen Lyma sammt der ganzen Herde mit sich. Bevor sie aber das Lappenmädchen fortführten, befestigte dieses heimlich das Ende eine Zwirnknäuels an der Hütte. Den Zwirn ließ sie längs des Weges hinter sich herlaufen und als der Knäuel abgewickelt war, nahm sie Renthiermist, den sie in einem Sacke verborgen hatte, und ließ den Weg entlang kleine Klümpchen davon hinter sich fallen, damit die Brüder sehen könnten, wohin sie und die Herde gekommen wären.

Als die Brüder von der Jagd zurückkamen, fanden sie die Hütte leer und da sie sahen, daß Alles geraubt worden war, konnten sie sich leicht denken, daß es Staloleute gewesen sein müßten, welche die Schwester sammt der Herde geraubt hätten.[146] Da die Räuber auch nicht den kleinsten Bissen Speise im Hause zurückgelassen hatten, blieb den Sodnobrüdern nichts Anderes übrig, als denselben so rasch als möglich nachzusetzen, und so machten sie sich denn, geleitet von dem Faden und dem Renthiermiste, auf den Weg, um möglicher Weise an den Stalobrüdern Rache zu nehmen.

Am dritten Tage Abends kamen sie dahin, wo die Stalobrüder wohnten. Sie wagten es nicht, dieselben in offenem Kampf anzufallen, sondern mußten mit List vorgehen. Sie kletterten deshalb auf einen Baum dicht bei einer Quelle, wo die Staloleute Wasser zu holen pflegten, und dachten sich, daß sie auf diese Weise vielleicht mit ihrer Schwester sprechen oder derselben einen Wink geben könnten, wenn die Stalo's sie ausschickten, um von der Quelle Wasser zu holen.

Des Abends, als es klarer Mondschein war, kam auch wirklich die Schwester zur Quelle. Die Brüder gaben ihre Anwesenheit dadurch zu erkennen, daß sie die Mützen schwenkten, so daß sich der Schatten derselben auf den Schnee bewegte. Nun schrieben sie der Schwester genau vor, was sie thun sollte, um ihnen behilflich zu sein, sie und die Renthierherde zu befreien und an den Stalo's Rache zu nehmen.

»Du weißt,« sagten sie, »daß, wenn Stalo sein Essen nicht ganz reinlich zubereitet findet, er dasselbe nicht anrührt, sondern den Hunden vorwirft. Wenn nun Stalo den Topf an's Feuer gestellt und das Fleisch eine gute Weile gekocht hat, so tritt wie aus Versehen auf das Ende eines der Scheite unter dem Topfe, so daß derselbe sich so weit neigt, daß etwas Suppe herausfällt und dadurch ein wenig Asche in den Topf hineinspritzt. Du weißt, daß Stalo keine Speise berührt, in welche Asche gekommen ist; er wird dir darum wahrscheinlich befehlen, den Topf zu nehmen, ihn hinauszutragen und das ganze Essen den Hunden vorzuwerfen. Du bringst denselben jedoch uns; wir haben schon drei Tage keinen Bissen Speise zu uns genommen.«[147]

Lyma that, wie ihr die Brüder gesagt hatten, und es ging Alles nach ihrer Erwartung. Als der älteste Stalo bemerkte, daß Asche und Kohle in den Topf gerathen sei, befahl er dem Lappenmädchen, denselben hinauszutragen, den Inhalt den Hunden zu geben und wieder frisches Wasser zum Kochen von der Quelle zu holen.

Lyma brachte das Fleisch den Brüdern, welche ihr nun weitere Verhaltungsmaßregeln gaben. Sie sagten:

»Wenn du zum zweiten Male gekocht hast und der älteste der Stalobrüder sich anschickt, zu Bette zu gehen, so stelle dich, als ob du seine Bewerbung nicht länger mehr zurückweisen wolltest, ja laß' dich zu dem Bette führen und scherze mit ihm, so daß du ihn dahin bringst, das Eisenhemd auszuziehen, mit welchem er bekleidet ist. Wenn du von ihm das Eisenhemd erhalten hast, so leg' es heimlich zum Feuer hin, damit es recht heiß werde. Für das Uebrige werden schon wir selbst sorgen.«

Lyma that, wie die Brüder ihr befohlen hatten. Sie hatte früher vor ihrem Freier, dem ältesten Stalobruder, offenbare Abscheu gezeigt; diesen Abend jedoch stellte sie sich, als ob sie ihren Sinn geändert hätte. Stalo war über ihr verändertes Benehmen sehr erfreut und leistete keinen Widerstand, als sie ihm das Eisenhemd auszuziehen versuchte. Er meinte, daß sie jetzt anfange, vertraulich zu werden.

Nun näherten sich die Sodnobrüder dem Hause. Die Stalo's hatten an diesem Tage einige Renthierochsen von der Weide heimgeholt und sie dicht an der Hauswand festgebunden, um sie am nächsten Tage zu schlachten. Die Brüder ergriffen die Stiere bei den Geweihen und stießen sie mit Gewalt zusammen, so daß man in der Hütte einen Lärm hörte, als ob die Thiere draußen einander stießen und sich an den Stricken würgten. Dies erregte sogleich die Aufmerksamkeit des ältesten Stalo und er befahl dem Jüngsten, hinauszugehen und die Thiere von einander zu trennen, damit sie einander nicht erwürgten.[148]

Dieser ging; er war aber kaum vor die Thüre hinausgekommen, als er unter den Streichen der Sodnobrüder fiel, ohne den geringsten Laut von sich zu geben. Und die Sodnobrüder begannen wieder mit den Renthieren Lärm zu machen. Da sagte Stalo zu seinem zweiten Bruder:

»Der Junge kann wohl die Thiere nicht losmachen; da mußt schon du hinausgehen und ihm helfen!«

Auch dieser ging, fiel aber gleichfalls augenblicklich und lautlos zu Boden, wie der Andere. Die Renthiere hörten noch immer nicht auf, einander zu stoßen. Da sagte Stalo:

»Es ist doch sonderbar, daß sie die Thiere nicht von einander sollten trennen können! Ich muß schon selbst aufstehen und hinausgehen!«

Nun wollte Stalo sein Eisenhemd anziehen; dasselbe war aber am Feuer ganz heiß geworden und so mußte er ohne das Eisenhemd hinausgehen. Die Sodnobrüder wußten nicht genau, ob Stalo durch die gewöhnliche, vordere Thüre hinauskommen oder etwa durch die niedrige Hinterthüre kriechen würde. Deshalb hatte der älteste Sodno seinen Bruder bei der Hinterthür postirt, damit Stalo dem mörderischen Eisen nicht entgehen sollte, wenn er auch den Einfall bekäme, durch die niedrige Hinterthür zu kriechen.

Stalo, der wahrscheinlich Verdacht zu schöpfen begann, da seine beiden Brüder nicht wieder zurückkamen, kroch auch wirklich durch die Hinterthüre hinaus. Dies hörte der älteste Sodno und eilte sogleich seinem Bruder zu Hilfe; aber Stalo hatte bereits den Todesstreich empfangen und erhob sich nicht mehr.

Das alte Staloweib, die Mutter der drei Brüder, hatte, während all' dies vorging, geschlafen und wußte von nichts, was da geschehen war. Die Brüder Sodno zogen nun die Kleider der beiden jüngsten Stalo an und gingen in die Hütte. Sie wollten nur noch wissen, wo die Stalo's ihre Schätze verborgen hatten.[149]

Als es des Morgens licht zu werden begann, näherte sich der jüngste Sodno der Alten und legte seinen Kopf in ihren Schooß, damit sie ihm Läuse suche. Plötzlich bekommt er gleichsam einen kindischen Einfall, fällt ihr in die Rede und frägt:

»Sag' mir, liebe Mutter, wo liegt denn das Silber meines ältesten Bruders verborgen?«

»Weißt du es nicht?« fragte die Alte etwas verwundert über die Unwissenheit des Burschen.

»Nein, ich bin so vergeßlich!«

»Es liegt ja unter der Thürschwelle!«

Hierauf schwieg er wieder eine Weile, dann fragte er auf's Neue:

»Und wo ist denn das Silber meines mittleren Bruders, liebe Mutter?«

»Weißt du das auch nicht?« rief die Alte, beinahe aufgebracht.

»Ach ja! ich hab' es wahrlich vergessen!«

»Es liegt unter dem Hauklotz!«

Wieder schwieg der Sodno eine Weile, dann aber fragte er neuerdings:

»Mutter, liebe Mutter! ach sag' mir, wo mein eigenes Silber ist!«

Da wurde die Alte ernstlich böse und langte nach einer Ruthe, um dem Jungen für seine unverzeihliche Vergessenheit Eins auf den Rücken zu geben. Aber Sodno wußte sie doch wieder zu besänftigen und erfuhr schließlich, daß des jüngsten Stalo Silber gerade unter dem Platze lag, wo die Alte saß.

Nun hatten sie alles erfahren, was sie wünschten.

»Liebes Mütterchen,« sagte nun Lyma, welche beim Feuer saß, »weißt du wohl auch, wer es ist, mit dem du sprichst?«

»Was,« rief die Alte, »das wird doch nicht ein Sodno sein?«

»Ja, es ist einer!« antwortete das Mädchen.[150]

Erschreckt suchte die Alte nach ihrem eisernen Rohre, mit dem sie ihren Opfern das Blut auszusaugen pflegte. Aber das Zauberrohr war verschwunden. Lyma hatte es heimlich in's Feuer gesteckt.

»Wo ist mein eisernes Rohr?« rief die Alte.

»Sieh' dort liegt es, Mütterchen!« antwortete Lyma und zeigte nach der Feuerstätte.

Das alte Staloweib ergriff das glühende Rohr und schluckte durch dasselbe Asche und glühende Kohle, so daß ihre Eingeweide verbrannten und sie auf der Stelle todt war.

Nun gruben die Sodnobrüder nach den Silberschätzen, fanden deren alle drei, nahmen sodann die Schwester und die Renthierherde mit sich und reisten wieder zurück nach ihrem eigenen Heim.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 145-151.
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