XXXVI. Andras Bäive.

[154] (Aus Varanger.)


Vor vielen Jahren lebte ein Vogt auf Vadsö, der so gräulich stark und so flink zu Fuße war, daß ihm Niemand nahe kommen konnte. Aber zur selben Zeit lebte ein Berglappe, der unter seinen Leuten ebenfalls den Ruf hatte, sehr stark und flink zu Fuße zu sein. Der Name des Lappen war Andras Bäive. Der Vogt hatte sehr viel von diesem Andras gehört, und als er einmal nach Vadsö kam, begann er denselben zu reizen, damit er auf verschiedene Art seine Stärke zeige; unter Anderem forderte er ihn auch auf, zu versuchen, ob er über ein achtruderiges Boot springen könne, das eben auf dem Strande umgekippt war und getheert wurde.

Andras war gern bereit, sich zu versuchen, wenn der Vogt es auch thun wollte. So giengen sie denn eine Wette ein um sehr viel Geld. Derjenige, welcher so hoch über das achtruderige Boot hüpfen würde, daß die Verbrämung seines Wamses den Kiel nicht berührte, sollte gewinnen.

Zuerst sprang Andras Bäive und die Verbrämung seines Wamses berührte den Kiel nicht. Hierauf sprang der Vogt; dieser streifte den Kiel ein wenig. Da spuckte Andras aus und sagte:[155]

»Du kamst diesmal wohl zu kurz, Vogt! Du hast Theer auf dein Wams bekommen!«

Der Vogt wurde zornig und drohte mit den Worten:

»Du wirst schon noch einmal deine Beine anstrengen müssen, Andras Bäive!«

Für diesmal jedoch trennten sie sich.

Im nächsten Frühjahre wanderte Andras mit seinen Renthieren nach einem Fjord auf der Westseite von Vadsö, der Bieccavuodna oder Persfjord heißt. Dem Vogt war dies bekannt und als Andras wohlbehalten nach dem Persfjord gekommen war, machte der Vogt sich zu einem Stalo, nahm seinen Sohn und seinen Hund mit sich und ruderte fort nach dem Persfjord.

Als der Vogt in den Fjord hineinkam, sah er Andras in der Nähe der See spazieren gehen. Da verwandelte sich der Vogt in ein Schiffs-Wrakstück und als Andras dies gegen den Strand hinein treiben sah, ging er ganz zur See hinab, um genauer zu untersuchen, was es sei. Aber während er hier stand und das Wrakstück betrachtete, das dem Strande immer näher kam, wurde er plötzlich von einer ganz eigenen Furcht befallen, die immer mehr zunahm, so daß er endlich, so schnell er konnte, vom Strande fortlief. In dem Augenblicke aber, als er zu laufen begann, ergellte ein Pfiff, wie nur ein Stalo zu pfeifen pflegt. Andras sah nun ein, daß es der Vadsövogt sein müsse, der sich zum Stalo gemacht hätte und ihn verfolge. Es fiel ihm nun auch ein, daß der Vogt ihm gedroht, »du wirst schon noch einmal deine Beine anstrengen müssen, Andras Bäive!«

Andras, der in der Zauberkunst ebenfalls nicht unwissend war, wünschte sich nun die Füße eines wilden Renthierstieres. Er bekam dieselben auch und mit ihnen lief er ein gutes Stück, bis er stehen blieb, um sich nach dem Stalo umzusehen. Aber als er stehen blieb, hörte er den Stalo ziemlich weit vor sich pfeifen und zwar gerade in der Richtung, wohin er lief.[156]

Nun wünschte sich Andras die Füße eines wilden Renthierkalbes; denn wenn ein wildes Renthierkalb in dem Alter ist, daß es zum ersten Male die Haare zu verlieren beginnt, ist es so flink im Laufen, daß kein Thier ohne Flügel dasselbe einholen kann. So bekam er denn die Füße eines wilden Renthierkalbes und lief damit ein großes Stück weiter. Als er wieder stehen blieb, um sich nach dem Stalo umzusehen, pfiff dieser weit hinter ihm.

Nun lief Andras nach einer Gegend, wo er wußte, daß sich zwei kleinere Seen mit einem schmalen Sunde dazwischen befanden. Mitten im Sunde war ein Stein; da aber das Wasser ganz still floß und der Stein etwas unter dem Wasser lag, konnte ihn niemand sehen. Andras jedoch wußte genau, wo er sich befand, lief dahin, sprang hinaus auf den Stein und von diesem hinüber auf die andere Seite des Sundes. Dann lief er noch ein Stück, bis er mitten vor den einen der beiden Seen gekommen war. Hier begann er dann zu juchzen und zu rufen, damit der Stalo hören sollte, wo er war. Der Stalo hörte es auch und lief dem Laute nach. Als er zu dem entgegengesetzten Ufer kam, gerade dem Andras gegenüber, rief dieser ihm zu:

»Hüpfe nun auch du hier herüber, wie ich es gethan habe!«

»Ich kann nicht da hinüber hüpfen!« antwortete der Stalo.

»Pfui, schäme dich!« rief Andras, »du getraust dich nicht da herüber zu hüpfen, was doch jeder Schwächling von einem Lappen zusammenbringt!«

Da wurde der Stalo zornig und sprang zu, plumpste aber mitten in den See hinein. Nun wollte Andras ihn todtschießen, während er an's Land schwamm. In der alten Zeit gebrauchten die Lappen Bogen und die Pfeilspitze bestand aus einem Lummenschnabel. Als Andras das erste Mal schoß, schnellte sich Stalo so hoch empor, daß der Pfeil zwischen seinen Füßen hindurchflog. Hierauf zielte Andras mitten auf die Stirne und schoß zum zweiten Male; aber Stalo sprang wieder so hoch, daß der Pfeil zwischen den[157] Füßen hindurchgieng. Das dritte Mal wählte Andras den obersten Rand der Hirnschale zum Ziele und traf den Stalo in den Unterleib. Dieser konnte noch bis an's Ufer schwimmen, hatte aber doch seinen Rest bekommen und sterbend sagte er zu Andras:

»Du mußt mir versprechen, daß du mich geziemend begraben wirst, und wenn du das gethan hast, kannst du dich nach dem Persfjord zu meinem Boote begeben und nehmen, was mir gehört; den Hund kannst du erschlagen, meinen Sohn aber sollst du nicht tödten, Andras!«

Andras begrub den Stalo, wie dieser es begehrt hatte, und erschlug den Hund. Denn ein Stalohund ist von solcher Art, daß, wenn derselbe das Blut seines Herrn zu lecken bekommt, der Stalo wieder lebendig wird. Deshalb hat auch ein Stalo immer seinen Hund mit sich. Andras nahm zuerst all das Gut, welches sich im Boote vorfand, entfernte die Ruder daraus und stieß dann das Boot mit dem Knaben in's Meer hinaus, so daß es ganz und gar dem Winde überlassen war. Hierauf lief er wieder heim und als er in die Hütte kam, warf er sich auf sein Lager und rief:

»So, es hätte nicht besser ausgehen können!«

Andras hatte einen Bruder; als er eingeschlafen war, ging nun dieser Bruder hinaus, nahm ein Holzscheit und schlug damit stark an die Wand, gerade dort, wo Andra's Kopf lag. Andras fuhr im Schlafe auf und rief:

»Ah, ich weiß schon, was es ist!«

Er dachte nämlich, daß der Stalo wieder im Anzuge wäre; gleichzeitig aber rief der Bruder draußen:

»Nun weiß ich es auch!«

»Pah«, antwortete Andras, »wenn du weißt, wie es zusammenhängt, so mußt du wohl die Hälfte von dem bekommen, was ich heute erworben habe.«

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 154-158.
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