XXXIX. Stalo-Hochzeit.

[163] (Aus Ofoten.)


Ein Stalo kam einmal an einen Ort, wo ein Lappe sein Zelt aufgeschlagen hatte. Der Lappe hatte eine Tochter, und als Stalo dieselbe erblickte, gefiel sie ihm so gut, daß er fragte, ob sie seine Schwiegertochter werden wolle; er hätte einen erwachsenen Sohn, der jetzt heiraten sollte.

Das Mädchen antwortete nichts, der Vater durfte aber nicht »Nein« sagen; er mußte versprechen, daß die Tochter Stalo's Schwiegertochter werden solle. Hierauf einigten sie sich, wann die Hochzeit stattfinden sollte, und Stalo zog wieder seiner Wege.

Als die festgesetzte Zeit herankam, ließ der Lappe dem Stalo, der eine Tagreise weit hinter einem Berge wohnte, sagen, daß er mit Weib und Sohn zur Hochzeit kommen möge. Der Lappe hatte seine beiden Söhne mit Renthieren abgeschickt, um die Stalofamilie zu holen, und ihnen aufgetragen, den Weg nördlich um den Berg oder auf der »Nachtseite« desselben zu nehmen, dem Stalo jedoch, wenn er sie frage, welchen Weg sie genommen hätten, zu sagen, daß sie auf der »Sonnenseite« gekommen seien.

Der Stalo träumte in derselben Nacht, daß, wenn diejenigen, die ihn zur Hochzeit abholten, auf der Nachtseite des Berges[164] kämen, dies ein Unglück bedeute. Als daher die Söhne des Lappen auf Stalo's Frage, welchen Weg sie genommen hätten, beide antworteten: »Auf der Sonnenseite!« war Stalo sehr vergnügt und empfing sie auf das Freundlichste. Hierauf machten sie sich: er, seine Nanna und sein Sohn, der jetzt heiraten sollte, bereit, um den Lappen zu folgen. Sie nahmen auch Speisen für das Hochzeitsmahl mit sich und die ganze Gesellschaft nahm den Weg über die Sonnenseite des Berges.

Unterdessen hatte der Lappe mit seinen Leuten auf einem See ganz in der Nähe seiner Hütte ein Loch in's Eis gehauen, die Oeffnung aber wieder sorgfältig mit Schnee überdeckt. Auch hatten sie mehrere große Holzknüppel zurecht gelegt und diese ebenfalls rings um das Loch unter dem Schnee verborgen.

Nun kam also der Stalo mit Weib und Sohn in Gesellschaft der beiden Söhne des Lappen angefahren und die Hochzeit nahm ihren Anfang. Es wurden zwei Renthiere geschlachtet und zwei Kessel an's Feuer gegeben. Als das Fleisch lange genug gekocht hatte, nahm der älteste Sohn des Lappen den einen Kessel vom Feuer, trug ihn in's Boasso hin, setzte sich und nahm denselben auf die Kniee.

Als Stalo dieses Wagstück von Seite des Sohnes des Lappen sah, wollte er, daß sein eigener Sohn sich nicht weniger abgehärtet zeigen sollte, und sagte deshalb zu ihm:

»Nimm nun du den anderen Kessel vom Feuer und setze dich damit, wie es der Lappenbursch gethan hat!«

Der Sohn des Stalo war jedoch nicht an solche Dinge gewohnt wie der Sohn des Lappen. Als er den vollen Kessel vom Feuer genommen hatte und sich damit im Boasso niedersetzte, schüttete er eine ziemliche Menge kochenden Wassers auf sich, so daß es über Brust und Magen, ja bis auf den Unterleib hinab rann. Stalo, der dies sah, fragte:

»Verbranntest du dich, mein Junge?«[165]

»Ah, es ist nicht so schlimm!« antwortete der Sohn.

Hierauf begann man zu speisen; aber der Sohn des Stalo war nicht im Stande, etwas zu essen. Er hatte sich ärger verbrannt, als man glaubte. Er verließ die Gesellschaft, begab sich in die Speisekammer des Lappen, legte sich hier nieder und jammerte. Die Braut folgte ihm und setzte sich an seine Seite.

Da er nicht wieder zurück kam, begann Stalo ängstlich zu werden und sagte:

»Vielleicht hat der Junge sich doch stark verbrannt!«

Hierauf ging er selbst nach der Speisekammer, um zu hören, wie es mit dem Sohne stünde.

»Na, wie steht's denn mit dem Burschen?« fragte er das Lappenmädchen, das in der Thüröffnung saß.

»Ah, er schläft jetzt!« antwortete sie.

Hieraus erkannte ihr Vater, der ebenfalls mitgekommen war, daß es mit dem Burschen vorbei war; Stalo hingegen schöpfte keinen Verdacht. Als sie nun gegessen und getrunken hatten, fragten sie Stalo, ob er nicht Lust hätte, mit ihnen auf das Eis hinabzugehen, um sich mit verschiedenen Spielen zu unterhalten, wie solche bei den Lappen in Gebrauch seien. Stalo hatte nichts dagegen einzuwenden.

Nach einer Weile brachten sie Stalo dazu, das Spiel zu spielen, welches die Lappen unter sich »stalostallat«, d.h. Stalo oder Blindekuh spielen nennen. Einem von der Gesellschaft wird eine Lappenmütze über die Ohren herabgezogen, so daß er nichts sehen kann. Hierauf springt man im Kreise um denselben herum und zupft ihn an den Kleidern. Er wieder sucht zu ergreifen, wen er kann. So kam auch einmal die Reihe an Stalo, Blindekuh zu sein. Als er den Ersten erhascht hatte, fuhr er ihm mit der Hand streichelnd über das Gesicht herab und sagte:[166]

»Simme-sammas1, du wirst morgen mein Frühstück sein!«

Hierauf erwischte er einen Zweiten:

»Simme-sammas, dich werde ich morgen zum Mittagsmahl haben!«

Es gelang ihm, noch einen Dritten zu ergreifen.

»Simme-sammas,« sagte Stalo wieder, »jetzt hab' ich auch Einen für das Nachtmahl bekommen!«

Hierauf liefen sie wieder herum, riefen, lachten und unterhielten sich. Stalo sprang ihnen nach, lief aber dabei schnurgerade in das Loch im Eise. Im selben Augenblicke schwangen die Lappen auch schon die Knüppel, um auf Stalo's Kopf loszuschlagen, so stark sie konnten. Stalo schrie und rief nach seiner »Nanna«, daß sie ihm zu Hilfe käme.

Während dies aber auf dem Eise vorging, saßen die Lappenweiber oben im Zelte und beschäftigten das Staloweib auf eine andere Art. Sie hatten dasselbe dahingebracht, daß es seinen Kopf in den Schooß eines Lappenweibes legte, und während nun dieses der Alten Läuse suchte, lösten die anderen ihr die langen Haarflechten auf und banden die Haarbüschel an den Zeltstangen fest. Hierauf stellten sie sich, als bewunderten sie in hohem Grade all' die verschiedenen Dinge, welche die Stalofrau an ihrem Gürtel hängen hatte, und darunter fanden sie auch ihr »ruovdebocce« oder eisernes Rohr, womit sie den Leuten Blut und Leben aussaugt. Sie lösten dasselbe heimlich vom Gürtel los und steckten es in's Feuer, so daß es glühend heiß wurde.

Plötzlich hörte die Stalofrau die Stimme ihres Mannes vom Eise unten und fragte die Lappenweiber:

»Hissogos dobbe læ vai hasso? – Was gibt es, Spaß oder Schlägerei?«[167]

»Hisso! Es ist nur Spaß!« antworteten die Lappenweiber.

Hierauf legte sie sich wieder in den Schooß des Lappenweibes und ließ sich von demselben ihren Kopf weiter lausen. Aber plötzlich hörte sie wieder ganz deutlich, daß Stalo rief:

»Nanna, Nanna, buvte ruovdebocce! Liebste, Liebste, komm' mit dem eisernen Rohr!«

Nun konnte sie nicht länger im Zweifel sein. Stalo mußte sich in Lebensgefahr befinden. Entsetzt hierüber sprang sie auf und bemerkte in ihrem Schrecken nicht einmal, daß sie sich die Haarbüschel ausriß, welche an die Zeltstangen befestigt waren. Sie schlug einen ungeheuren Lärm und suchte überall ihr eisernes Rohr, das unter den anderen Gegenständen an ihrem Gürtel hätte hängen sollen. Es war verschwunden.

»Wo ist mein Eisenrohr? Wer hat mir mein Eisenrohr genommen?« fragte sie die Weiber.

Die Weiber zeigten nach dem Feuer und sagten:

»Dort liegt es im Feuer!«

Die Alte stürzte auf das Feuer zu, ergriff das glühende Eisenrohr und führte es an den Mund; aber statt Menschenblutes sog sie Asche, Feuer und Gluth in sich, so daß ihre Eingeweide verbrannten und sie todt zu Boden stürzte. Zur selben Zeit zerschmetterten die Männer Stalo's Kopf unten auf dem Eise. So endete diese Hochzeit.

1

Ein Ausdruck des Wohlbehagens, der auf deutsch nicht wiedergegeben werden kann.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 163-168.
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