XVI. Die Hexe und Jes.

[71] (Aus dem schwedischen Lappmarken.)


Ein alter Lappe hatte sich einmal auf der Jagd dermaßen verirrt, daß er nicht wieder nach Hause fand. Endlich kam er zu einer kleinen Hütte auf einer Lichtung im Walde. Er ging hinein, um da die Nacht über zu bleiben, machte Feuer und fing an, in einem kleinen Kessel, den er mit sich führte, etwas von seiner Jagdbeute zu kochen. Plötzlich trat eine Hexe herein und fragte:

»Wie heißest du?«

»Ich heiße Jes (Selbst),« antwortete der Lappe, nahm aber in demselben Augenblick einen Schöpflöffel voll kochenden Wassers und goß ihn der Hexe in die Fratze. Da fing sie an jämmerlich zu schreien und zu heulen und rief aus:

»Jes muo boldi, Jes muo boldi! Selbst mich verbrannte, Selbst mich verbrannte!«

»Hast du dich selbst verbrannt, so mußt du selbst dafür leiden!« antwortete es von dem nächsten Berge, wo sich die Genossen des Trollweibes befanden, so daß für dieses Mal der Lappe mit heiler Haut davon kam, obwohl sie beim Fortgehen sagte:

»Selbst kannte mich und Selbst verbrannte mich und Selbst soll bis zum nächsten Jahre schlafen!«[72]

Nach der Mahlzeit legte der Lappe sich zur Ruhe; als er aber des Morgens aufwachte und in seinen Speisesack griff, fand er ihn voll Schimmel und Fäulniß und verdorbener Speisereste. Er konnte nicht begreifen, wie das zugegangen; als er aber weiterhin Leute traf, so erfuhr er, daß er ein ganzes Jahr fortgewesen war.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 71-73.
Lizenz:
Kategorien: