XX. Der Riese, dessen Leben in einem Hühnerei verborgen war.

[80] (Aus Utsjok.)


Eine Frau hatte einen Mann, der sieben Jahre lang mit einem Riesen in Fehde lag. Dieser fand nämlich Wohlgefallen an der Frau und wollte den Mann um's Leben bringen, um letztere zum Weibe zu nehmen. Nach sieben Jahren gelang es ihm endlich, seinen Zweck zu erreichen; der Getödtete hatte jedoch einen Sohn, welcher, herangewachsen, daran dachte, sich an dem Riesen zu rächen, der seinen Vater getödtet und seine Mutter zur Frau genommen hatte. Es war aber dem jungen Menschen nicht möglich, dem Riesen mit Feuer oder Schwert an's Leben zu kommen, Alles was er that und versuchte, half nichts; es schien gerade, als ob sich in dem Riesen kein Leben befände.

»Liebe Mutter,« sagte eines Tages der Sohn zur Frau, »du weißt wohl nicht, wo der Riese sein Leben verborgen?«

Die Mutter wußte es nicht, versprach aber, den Riesen auszuforschen, und da dieser eines Tages sich bei guter Laune befand, fragte sie ihn unter Anderem auch, wo er denn sein Leben hätte?

»Warum fragst du mich das?« antwortete der Riese.[81]

»Ja,« meinte die Frau, »wenn du oder ich einmal in Noth oder Gefahr kommen, so ist es tröstlich zu wissen, daß wenigstens dein Leben wohl bewahrt ist.«

Der Riese, der keinen Unrath merkte, erzählte nun der Frau von seinem Leben und sagte:

»Draußen auf einem brennenden Meere ist eine Insel, auf der Insel ist eine Tonne, in der Tonne ein Schaf, in dem Schaf eine Henne, in der Henne ein Ei und in dem Ei steckt mein Leben!«

Den Tag darauf kam der Sohn wieder zur Mutter, die zu ihm sagte:

»Jetzt, lieber Sohn, habe ich Kunde vom Leben des Riesen erhalten; er hat mir gesagt, daß es sich weit draußen von hier befindet,« und darauf theilte sie ihm mit, was sie von dem Riesen erfahren.

Da sprach der Sohn:

»So muß ich mir Gehilfen miethen, mit denen ich über das brennende Meer fahren kann.«

Er miethete sich also einen Bären, einen Wolf, einen Habicht und einen Seetaucher (colymbus glacialis) und machte sich in einem Boote auf den Weg.

Er setzte sich in die Mitte des Fahrzeuges unter einem eisernen Zelte, und den Habicht sowie den Tauchvogel hatte er dort gleichfalls bei sich, damit sie nicht verbrennen sollten; den Bären und den Wolf aber ließ er rudern. Daher kommt es, daß der Bär schwarzbraune Haare und der Wolf schwarzbraune Flecken hat. Denn Beide haben eine Fahrt über das brennende Meer gemacht, dessen Wogen wie Feuerflammen in die Höhe schlugen.

So gelangten sie zu der Insel, wo das Leben des Riesen sein sollte. Nachdem sie die Tonne gefunden, schlug der Bär ihr mit der Tatze den Boden ein, und ein Schaf sprang hervor, welches jedoch der Wolf einholte, am Hinterschenkel packte und in Stücke[82] riß. Aus dem Schafe flog eine Henne, auf welche der Habicht sich stürzte, worauf er sie mit seinen Klauen zerriß. In der Henne war ein Ei, welches in's Meer fiel und versank, weshalb der Seetaucher ausflog und dem Ei nachtauchte. Das erste Mal blieb er geraume Zeit fort; da er es aber nicht länger unter dem Wasser aushielt, ohne zu athmen, so kam er wieder auf die Oberfläche, um Luft zu schöpfen. Dann tauchte er wiederum unter, blieb länger fort als das erste Mal, fand aber gleichwohl das Ei nicht. Zum dritten Mal endlich fand er es auf dem Grunde des Meeres, brachte es auf die Oberfläche empor und übergab es dem jungen Menschen, der sich sehr darüber freute.

Alsbald zündete er auf dem Ufer ein großes Feuer an, legte, als es gehörig in Brand gekommen war, das Ei mitten hinein und ruderte unverzüglich wieder über das Meer zurück. Sobald er an's Land kam, eilte er geraden Weges zu dem Gehöfte des Riesen und sah nun, daß dieser eben jetzt gerade so verbrannte, wie das Ei auf der Insel.

Die Mutter war nicht minder froh als der Sohn, daß sie dem Riesenungeheuer den Garaus gemacht hatten. Noch aber war ein wenig Leben in dem Riesen, und da er ihre Freude sah, brach er in die Worte aus:

»Ich Thor, der ich mich habe verleiten lassen, dem alten bösen Weibe mein Leben zu verrathen!« und zugleich ergriff er das eiserne Rohr, womit er den Menschen das Blut auszusaugen pflegte. Die Frau hatte jedoch dasselbe mit dem einen Ende in die Glut des Herdes gesteckt, so daß er glühende Kohlen, Asche und Feuer einschluckte und inwendig verbrannte. Alsdann verlosch das Feuer und mit dem Feuer das Leben des Riesen.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 80-83.
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