XXIII. Der Riese, die Katze und der Junge.

[97] (Aus Alten.)


Ein junger Bursch war eines Tages auf der Rebhühnerjagd. Als er so dahinging, kam ihm ein Riesenknabe entgegengelaufen und hinter dem Riesenknaben eine gräulich große Katze. Der Riesenknabe sprang an dem Jungen vorbei und rief:

»Lieber Junge, schieß' die Katze!«

Die Katze, welche hinterdrein kam, rief:

»Lieber Junge, schieß' den Riesen!«

Der Riesenknabe schrie wieder:

»Lieber, guter Junge, schieß' die Katze!«

Der Junge that das Letztere und die Katze lag todt auf der Erde; der Riesenknabe aber war so außer sich, daß er gleichzeitig in Ohnmacht fiel. Der Junge machte sich daran, der Katze das Fell abzuziehen. Als er damit fertig war, kam der Riesenknabe wieder zur Besinnung.

»Wo ist die Katze?« fragte der Riesenknabe.

»Hier ist der Balg!« antwortete der Junge.

Der Riesenknabe nahm den Balg in die Hand und roch an demselben.

»Ruolla be laege! – Ja ganz richtig, eine Zauberkatze ist es!«[98]

»Kann schon sein!« sagte der Junge.

Hierauf steckte der Riesenknabe den Balg in die eine Westentasche und den Jungen in die andere und ging sodann wieder heim nach dem Riesenhofe. Auf dem Wege sagte er zu dem Jungen:

»Der Vater wird dich schon dafür bezahlen, daß du mir das Leben gerettet hast. Er wird dir ein vergoldetes Pferd und eine ganz jämmerliche Mähre anbieten. Du kannst dir dann von den beiden Pferden nehmen, welches du willst; nimm jedoch nicht das vergoldete Pferd, sondern nimm die schlechte Mähre, mit ihr wird dir am Besten gedient sein! Er wird dir ferner eine goldene und eine hölzerne Dose anbieten; wähle jedoch die hölzerne! Noch zwei Dinge wird er dir anbieten, nämlich eine goldene und eine beinerne Flöte; wähle die letztere! Nun hast du Bescheid erhalten und weißt, was du thun sollst, wenn du nach dem Hofe meines Vaters kommst!«

So wanderten sie dahin, bis sie zu dem Orte kamen, wo der Riese wohnte. Der alte Riese nahm sogleich den Balg, roch daran und sagte, wie der Sohn gesagt hatte:

»Ruolla be laege! – Eine Zauberkatze ist es!«

Er wollte nun den Jungen belohnen, der seinem Sohne das Leben gerettet hatte. Es traf so ein, wie der Riesensohn es vorher gesagt hatte. Er konnte sich drei Dinge auswählen.

Der Junge wählte das schlechte Pferd, die schlechte Dose und die schlechte Flöte und mit diesen drei Dingen zog er nun nach dem Königshofe.

Der König brauchte gerade einen Holzträger und der Junge erhielt sogleich Dienst. Am nächsten Tage befahl ihm der König in den Wald zu gehen und ein Fuder trockenes Holz herbeizuschaffen. Der König hatte aber eine einzige Tochter. Es traf sich nun so, daß sie gerade im selben Augenblicke am Fenster stand und in den Hof hinausblickte, als der König dem Jungen diesen Auftrag gab; da dieser bemerkte, daß die Königstochter[99] ihre Augen auf ihn gerichtet habe, und der König bereits seines Weges gegangen war, holte er die Dose hervor und öffnete sie.

»Was verlangst du?« fragte die Dose.

»Daß meine Axt zu einem Pferde werden möge!« sagte der Junge so laut, daß die Königstochter es hörte. Sie fand diesen Wunsch sehr sonderbar und brach in lautes Lachen aus. Darüber wurde der Junge ärgerlich, holte seine Dose wieder hervor und öffnete sie.

»Was verlangst du?«

»Daß die Königstochter ein Kind bekomme!« sagte der Junge und von diesem Augenblicke an war dieselbe schwanger.

Als der Junge aus dem Walde kam, wurde das Pferd wieder zur Axt und er spaltete Holz.

Es dauerte nicht lange, so wurde dem König hinterbracht, daß seine Tochter schwanger sei. Hierüber wurde derselbe sehr aufgebracht und sein Aerger stieg noch mehr, als seine Tochter selbst gar nicht angeben konnte, wer der Vater des Kindes sei. Als das Kind geboren war, versammelte er alle vornehmen Herren aus dem ganzen Königreiche um sich im Königshofe und ließ das Kind zu jedem Einzelnen hintragen, um zu sehen, wen es anlächeln würde. Derjenige, den es anlächelte, mußte der Vater sein. Aber das Kind weinte nur immer und lächelte keinen Einzigen von den vornehmen Herren an.

Der König befand sich in der größten Verlegenheit. Endlich wurde das Kind auch zu dem Holzträger gebracht und es lächelte denselben sogleich an. War der König schon früher sehr erzürnt, so wurde er es jetzt noch mehr, als er glauben mußte, daß seine Tochter mit einem erbärmlichen Jungen zu thun gehabt habe. Er befahl daher, daß die Tochter und der Bursch zusammen in eine Tonne gesteckt und in's Meer geworfen werden sollten.

Die Tonne war so eingerichtet, daß sie in der Mitte durch eine hölzerne Wand in zwei Räume abgetheilt wurde. In[100] den einen Raum wurde der Bursch gesteckt, in den anderen die Königstochter. Dieser gab man ein Stück Leber mit als Proviant, der Bursch aber erhielt nichts.

Die Tonne wurde in's Meer geworfen und trieb nun in Wind und Sturm auf demselben umher. Endlich wurde der Bursch hungrig; er öffnete die Dose, erhielt Speise und begann zu essen. Die Königstochter hörte es, wie der Junge speiste, konnte sich aber nicht erklären, von woher er Speise erhalten habe, da ihm die Leute des Königs nicht das Geringste mitgegeben hatten. Auch sie wurde bald hungrig, war aber gleichwohl nicht im Stande, etwas von der Leber zu verzehren. Da bat sie den Burschen, daß er ihr etwas von seinem Essen geben möchte.

»Wie sollte ich mit dir theilen können,« sagte der Junge, »selbst wenn ich Speise hätte, so lange eine starke Bretterwand zwischen uns ist? Dein Vater gab dir ja Speise mit; kannst du sie denn nicht essen? Doch – das ist gleichgiltig; wenn du mir versprechen willst mein Weib zu werden, so kann ich vielleicht dir und mir helfen!« sagte der Bursch.

Die Königstochter versprach es; sie beseitigten die Bretterwand und der Bursch öffnete die Dose.

»Was verlangst du?«

»Speise für uns Beide!« sagte der Bursch und damit war nun der Noth abgeholfen.

Es war natürlich sehr gute Speise, das kann man sich ja denken; denn für die Dose war es gleichgiltig, ob sie theuere oder schlechte Kost herbeischaffte.

Der Bursch zog neuerdings die Dose hervor und öffnete sie.

»Was verlangst du?«

»Einen Hof, so groß wie ein Königshof,« sagte der Bursch, »Diener und Dienerinnen, Hausgeräth und Alles, was gut ist!«[101]

Nun wollten sie Hochzeit halten. Der Bursch schickte seine Einladung an den König und alle vornehmen Herren, die ringsherum wohnten. Sie kamen auch alle zur Hochzeit, speisten und tranken, tanzten und spielten.

Eines Tages ging der Bursch spazieren und hatte seine Dose in der Gästestube vergessen. Als er zurückkam, war die Dose weg. Ein Zauberweib war aus dem Meeresgrunde heraufgekommen und hatte sie genommen. Die Hochzeitsgäste wußten von Nichts, als bis sie und der Hof und Alles plötzlich auf dem Meeresboden standen.

Der Bursch war hierüber sehr betrübt und wußte Anfangs nicht, was er beginnen sollte; dann fiel ihm aber ein, daß er ja noch eines von den drei Dingen besitze, welche der Riese ihm gegeben hatte. Er holte also die Flöte hervor, setzte sie an den Mund und begann zu blasen. Der Riese hörte es und stützte sich auf den Ellbogen. Der Bursch blies zum zweiten Male. Der Riese hörte es noch deutlicher und sagte zu sich selbst:

»Was mag's wohl mit dem Burschen sein?«

Der Bursch blies zum dritten Male. Da sprang der Riese ganz auf und rief:

»Wahrhaftig, der Bursch ist in Gefahr!«

Er schickte seinen Hund und seine Katze fort und befahl der Katze, dem Burschen zu sagen, er solle, sobald der Hund anfange an einem Platze im Kreise herumzugehen, die Katze fortschicken, um zu holen, was er verloren habe. Die Katze setzte sich auf den Rücken des Hundes und der Bursch auf den Rücken der Katze und so zogen sie fort über Land und Meer.

Endlich begann der Hund im Kreise zu gehen. Der Bursch schickte die Katze fort auf den Meeresgrund. Hier lag der Hof. Die Katze lauerte auf und erschnappte die Dose, so daß es Niemand bemerkte. Als die Zauberweiber den Abgang der Dose bemerkten, setzten sie wohl in Haufen der Katze nach; da[102] diese aber bereits einen großen Vorsprung gewonnen hatte, half es ihnen nichts.

Der Bursch wartete und wartete; die Katze blieb lange aus; aber endlich kam sie doch mit der Dose im Munde. Der Bursch war darüber sehr erfreut; er setzte sich wieder auf den Rücken der Katze und die Katze wieder auf den Rücken des Hundes. Als sie wieder an's Land kamen, öffnete der Bursch die Dose.

»Was verlangst du?«

»Ich wünsche, daß der Hof ganz so, wie er früher war, mit der Braut und den Hochzeitsgästen und allem Sonstigen wieder auf seinem Platze stehe!«

Und so geschah es auch.

Hierauf schickte der Bursch nach dem Vater der Königstochter und man kann sich wohl denken, daß der König ganz verwundert war, als er seine Tochter wieder in Glanz und Herrlichkeit fand. Er hatte dies am wenigsten erwartet, da er sie sammt dem Burschen hatte in die Tonne einschließen und in's Meer werfen lassen. Aber Mancher hat schon ein besonderes Glück.

Quelle:
Poestion, J. C.: Lappländische Märchen, Volkssagen, Räthsel und Sprichwörter. Wien: Verlag von Carl Gerolds Sohn, 1886, S. 97-103.
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