12. Vom Königssohn und seinen Thieren. (3)

[396] Es war einmal ein König, der hatte einen Sohn und eine Tochter. Sie wohnten mitten in Wäldern hinterm Meer und hatten noch nie die Welt gesehn. Wie der Sohn und die Tochter zu Jahren gekommen waren, zogen sie aus und gingen durch die Wälder die Welt zu suchen. Sie kamen aus dem Wald heraus, und da sprach der Prinz ›Siehst du, liebe Schwester, das Spanlicht dort?‹ ›Ja, ich seh's.‹ ›Da will ich doch einmal näher zu gehn und schaun, wer da wohnt; setz dich unterdes unter den Baum da.‹ Und der Prinz liess seine Schwester im Feld unter dem Baum warten und ging mit gezognem Säbel auf das Haus zu. Es war ein Räuberhaus, und er sah neun Räuber darin, die waren grade beim Abendessen.[396] Der Prinz pochte mit seinem Säbel wider die Thür. Da sprach der Räuberhauptmann zu seinen Leuten ›Seht doch einmal nach, wer da pocht.‹ Einer von den Räubern ging hinaus, und da hieb ihm der Prinz mit seinem Säbel den Kopf ab. Wie der Räuber nun nicht zurückkam, da wollten die andern nachsehn, wo er bliebe, und nur der Hauptmann blieb im Haus zurück. Die Räuber traten heraus, und da hieb der Prinz auch sie sammt und sonders nieder. Sprach jetzt der Hauptmann bei sich ›Was mag das nur sein, dass meine Leute nicht wie derkommen?‹ und er ging jetzt selbst hinaus. Der Prinz hieb auf ihn ein, und der Räuber fiel hin; aber des Prinzen Säbel war schon so von Blut überlaufen, dass der Hieb, den er dem Hauptmann versetzte, nur ein Stück in den Hals gegangen war. Darauf ging der Prinz in das Haus hinein und schaute sich darin um: da waren neun Stuben, neun Betten, neun Tische und neun Löffel, Gabeln und Messer. Er durchschritt alle Stuben, und es war keine lebende Seele zu finden. Jetzt rief er seine Schwester herbei und sprach zu ihr ›Hier, Schwester, wollen wir wohnen bleiben.‹ Und sie richteten sich ein. Die Räuber aber brachten sie sämmtlich in einen Keller, und der Räuberhauptmann kam zu oberst zu liegen.

Danach ging der Prinz in die Wälder jagen. Da fing er einen Löwen, den nahm er mit nach Haus, liess sich einen Zwinger bauen und that den Löwen hinein. Alsdann ging er wieder in den Wald, da fing er einen Bären, und wie er noch weiter ging, fing er auch einen Eber. Die nahm er mit heim, und er setzte auch sie in den Zwinger und erzählte darauf seiner Schwester, wie er jetzt wieder zwei Thiere, einen Bären und einen Eber, aus dem Wald mitgebracht habe, und er bat sie um einen Imbiss. Danach sprach er ›Liebe Schwester, ich will nun nochmals in den Wald gehn, vielleicht fang ich noch die schnellsten Thiere.‹

Während aber der Prinz wieder in den Wald ging, ging seine Schwester in den Keller. Und da fing der Räuberhauptmann, der noch halb am Leben war, zu reden an und sagte ›Ach, Fräulein, mach mich wieder gesund, ich will dich dafür auch mit Schätzen überhäufen.‹ ›Aber wo werd ich Arzneien für dich finden?‹ fragte das Fräulein, und der Räuber sprach ›Geh in das neunte Zimmer; dort findest du eine Ruthe, und unter der Thürschwelle ist ein Stein, und da schwippe nur mit der Ruthe ein[397] wenig, dann öffnet sich der Stein, und du findest neun Fläschchen: in den Fläschchen sind Arzneien, lebendes, altes, junges, gesundes, schönes, schnelles, starkes [u.s.w.] Wasser. Wenn du mir dann mit dem lebenden und dem gesunden Wasser die wunde Seite des Halses bestreichst, genes' ich von Schmerz und Wunde. Und wenn du mich darauf mit dem jungen und dem schönen Wasser bestreichst, so werd' ich jung und schön sein. Und dann wollen wir uns heiraten. Deinen Bruder aber musst du umbringen helfen.‹ ›Aber wie werden wir meinen Bruder umbringen können?‹ fragte sie, und er antwortete ›Wenn er aus dem Wald heimkommt, wird er dich um Essen oder Trinken bitten; dann sprich zu ihm »Bruder, wenn ich dir die Finger deiner Hände hinter dem Rücken mit zehn Seidenfäden zweimal umwickelte und zusammenbände, würdest du die Fäden zerreissen können?« Und wenn er sich dann binden lässt, so ruf mich nur herbei.‹

Die Prinzessin that, was sie der Räuber hiess. Sie heilte ihn, und er war jetzt ein junger schöner Mann. Als aber der Prinz heimkam, bracht' er einen Fuchs und einen Hasen mit und setzte sie in seinen Thierzwinger. Dann sprach er zur Schwester ›Schwesterchen, gib mir doch was zu essen, ich hab Hunger.‹ Und sie sagte ›Setz dich, Bruder, da auf den Stuhl, da hast du was zu essen.‹ Ueber ein Weilchen sprach sie ›Hör mal, Bruder, wenn ich zehn Seidenfäden nähme und dir damit die Hände auf dem Rücken doppelt zusammenbände, würdest du das abreissen können?‹ ›Na bind sie mal zusammen!‹ antwortete er; er dachte aber, sie spasse nur. Sie band ihm denn die Finger hinten zusammen und sprach darauf ›Nun zieh, Bruder!‹ Er zog, aber vergeblich. Da rief die Prinzessin ihrem Freund zu ›Komm her, ich gebe dir zu lieb meinen Bruder hin!‹ Der Räuberhauptmann trat ein und wollte ihn umbringen. Aber der Prinz sprach ›Geduldet euch eine kleine Weile, lasst mich nur noch hingehn und von meinen Thieren Abschied nehmen.‹ Das erlaubten sie ihm denn auch, und wie er hinging und schluchzend und weinend seinen Thieren was zum Abschied blies, da sprach der Fuchs und der Hase ›Was bläst denn unser Prinz so wehmütig?‹ Und jetzt merkten die Thiere, dass es ihm ans Leben ging. Der Löwe sprang heran und riss die Seidenschnur entzwei. Der Eber aber rannte mit schräggesenktem[398] Kopf gegen den Räuber, und der bekam einen solchen Schreck, dass ihm der Säbel, den er schon gezogen hatte, aus der Hand fiel. Flink hob der Prinz den Säbel auf und hieb dem Räuber den Kopf ab. Alsdann sprach er zu seiner Schwester ›Schwester, ich hab dich immer wie meine Schwester behandelt: wir wanderten zusammen durch die Wälder, fuhren zusammen übers Meer, und nirgends hab ich dich im Stich gelassen, und jetzt behandelst du mich so feindselig! Dafür büsse nun!‹ Und er liess eine Kette schmieden und kaufte einen Kessel, der fasste so zehn Scheffel. Danach schmiedete er die Schwester in seinem Zimmer an die Wand, schlang ihr die Kette um den Leib und stellte den Kessel vor sie hin. Und alle Fenster wurden zugemacht und Rauch in das Zimmer gelassen. Und dann sprach der Prinz zu ihr ›Nicht eher sollst du wieder meine Schwester sein und nicht eher werd ich dein Bruder wieder sein, als bis du diesen Kessel voll Thränen geweint hast und diese Kette an deinem Leib sich zu nichte gerieben hat!‹ Damit verliess er sie. Seinen Thieren aber hängte er allen zum Dank eine goldne Kette um.

Einst kam der Prinz mit seinen Thieren ans Meer. Da sah er ein Schiff auf das Land zukommen, in dem Schiff sass eine Königstochter; die war in einem fremden Land zu Besuch gewesen und war grade auf der Heimreise. Am Meeresufer aber stand ein Reisewagen, und der Kutscher hatte auf die Königstochter gewartet, die sollte er nach Haus fahren. Die Prinzessin stieg nun aus dem Schiff und setzte sich in die Kutsche. Sie waren aber noch nicht weit gefahren, da mussten sie über eine Brücke, und da lauerten drei Drachen und wollten sie nicht vorbei lassen. Einer von den Drachen sprach zu der Königstochter ›Nur wenn du mir versprichst meine Liebste werden zu wollen, lassen wir euch vorüber!‹ Aber der Prinz und seine Thiere, die nicht weit von der Brücke waren, hatten das gehört, und sie fielen über die drei Drachen her, tödteten sie, rissen ihnen die Zungen aus, und der Prinz steckte die Zungen in einen Schnappsack, und den Schnappsack hängte er über den Rücken. Drauf wandt' er sich zur Prinzessin und sagte ›Versprich mir, dass du meine Frau werden willst, ich habe dir das Leben gerettet.‹ Das Fräulein antwortete ›Ja, ich will deine Frau werden. Setz dich mit in meine Kutsche, und deine Thiere kannst du an die Kutsche festbinden und mitnehmen.‹[399] So fuhren sie denn zusammen ab, der Prinz aber schlief nach einer Weile in der Kutsche ein. Da fing der Kutscher mit der Prinzessin ein Gespräch an und sagte ›Wenn du mir nicht gelobst meine Frau werden zu wollen und wenn du zu Haus nicht sagst, dass ich dich von den Drachen befreit habe, so bring ich dich um.‹ ›Aber wie kann ich dir das versprechen?‹ erwiederte sie, ›dieser Prinz ist es doch, der mich gerettet hat!‹ Der Kutscher aber sprach ›Wir tödten den Prinzen und werfen ihn aus dem Wagen, und die Thiere binden wir los und lassen sie laufen, und dann fahren wir heim aufs Schloss.‹ Das thaten sie denn auch und fuhren alsdann heim. Wie sie zum König und der Königin kamen, frugen die ›Nun, Tochter, wie ist dirs in dem fremden Land gegangen? Was weisst du neues zu erzählen?‹ ›Ach, denkt euch‹, erwiederte sie, ›was uns unterwegs für ein Unfall passiert ist! Wir stiessen auf drei Drachen, die sperrten uns den Weg, da hat mein Kutscher mich gerettet, und da hab ich mich ihm verlobt.‹ Da sprach der König und die Königin ›Na wenn er auch ein armer niedriger Mann ist, aber dich gerettet hat und du dich mit ihm schon verlobt hast, so sei's!‹ Und da wurde die Hochzeit gerichtet, und viele Könige kamen zu Gast.

Der Prinz aber war da liegen geblieben, wo ihn der Kutscher und die Königstochter umgebracht hatten. Seine Thiere jedoch schafften Rat. Der Hase und der Fuchs liefen nach dem Hause, wo des Prinzen Schwester mit der Kette angeschmiedet war, liefen in das neunte Zimmer und fanden die Ruthe und unter der Schwelle den Stein. Sie schwippten mit der Ruthe ein bischen, und da öffnete sich der Stein, und sie fanden die neun Fläschchen mit den Heilwassern. Die nahmen sie mit, bestrichen den Prinz mit dem Lebenswasser und dem Gesundheitswasser, und da stand der Prinz auf und sprach ›Ach wie hab ich gut geschlafen!‹ Der Löwe aber sagte ›Schau nur, wo du dich schlafen gelegt hast und wo du jetzt aufgestanden bist! In der Kutsche schliefst du ein, und jetzt lagst du neben der Landstrasse im Gras!‹ Und sie erzählten ihm alles. Drauf sagte der Prinz ›Kommt, meine Thiere, gehn wir jetzt nach dem Schloss zu meiner Prinzessin!‹ Und sie zogen nach dem Schloss. Wie sie hinkamen, sollte schon zur Trauung nach der Kirche gefahren werden, und die Königstochter und der Kutscher waren grade im Gespräch mit einander. Und etliche[400] Könige sagten ›Eine so reiche Prinzessin soll die Frau eines so armen Menschen werden!‹ Aber andre, die das hörten, sprachen wieder ›Warum denn nicht, da er ihr doch das Leben gerettet hat!‹ Der Prinz aber kam grade dazu, wie sie so redeten, er trat heran und sprach ›Ihr Herrn und Könige, wenn der Kutscher sie gerettet hat, so weise er auch seine Wahrzeichen vor!‹ Die Herren sagten ›Was für Wahrzeichen sollt er denn von den Drachen haben?‹ Da holte der Prinz die Zungen hervor, legte sie über den Tisch und sprach ›Was für ein Wahrzeichen man von Drachen hat? Wer die Prinzessin befreit hat, der hat Wahrzeichen, und wer sie nicht befreit hat, der hat auch keine Wahrzeichen! Seht her, was für ein Wahrzeichen man von Drachen haben kann!‹ Da sahen denn alle Könige, dass das wahr war, dass er sie von den Drachen errettet hatte.‹ Und sie riefen dem Kutscher, der schon zur Abfahrt nach der Kirche bereit dastand, zu ›Geh weg von ihr, denn ihr rechter Liebster ist erschienen, der ihr das Leben gerettet hat!‹ Und da ging der Kutscher hinaus und schoss sich vor Aerger auf dem Schlosshof todt. Der Prinz aber setzte sich mit der Königstochter in die Hochzeitskutsche, und sie wurden getraut, und beim Hochzeitsschmaus da sass der Prinz zwischen seiner Gemahlin und dem König, und der sprach ›Jetzt bist du mein lieber Schwiegersohn und hast meine Tochter, wie sie dir gelobt hatte, zur Frau. So nimm denn auch die Hälfte von allem, was ich habe, und lebe so wie ich.‹

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 396-401.
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