16. Von dem alten Soldaten, der die drei Königstöchter befreite. (40)

[407] Ein König hatte drei Töchter, und jede von ihnen hatte im Garten ein Blumenbeet. Eines Tags nun gingen sie in den Garten nach ihren Blumen schauen, da kam ein Drache und verschlang sie alle drei. Danach sprach der König ›Die drei, die mir meine Töchter wiederfinden, die sollen sie zur Frau haben.‹ Da zogen drei Generäle aus sie zu suchen, und der König gab jedem vierhundert Rubel mit. Sie kamen in eine Schenke, und der Schenkwirt fragte ›Wohin geht eure Reise?‹ Sie antworteten ›Wir sind ausgezogen des Königs Töchter zu suchen.‹ Drauf sprach der Schenkwirt ›Wir wollen uns doch setzen und ein Kartenspielchen machen! Und da setzten sich die drei Generäle mit dem Wirt ans Spiel. Der Wirt aber gewann ihnen all ihr Geld ab und was sie auf dem[407] Leib hatten und warf sie dann in einen Keller, und da lagen sie nun.

Ueber einige Zeit, als die drei Generäle immer nicht zurückkamen, sandte der König einen alten Soldat aus, und gab auch ihm vierhundert Rubel mit. Der Soldat kam in dieselbe Schenke, und der Schenkwirt forderte auch ihn zum Kartenspiel auf, und sie setzten sich und spielten. Der Schenkwirt ging aber während des Spiels einmal hinaus aus der Stube, und da sagte seine Tochter zu dem alten Soldaten ›Setz dich auf meines Vaters Stuhl, dann siehst du beim Spielen alle Karten meines Vaters und gewinnst.‹ Da wechselte denn auch der Soldat seinen Platz, und als der Schenkwirt zurückkam, sagte er ›Lass mich auf meinen Stuhl!‹ Aber der Soldat antwortete ›Auf diesem Stuhl kann auch ich einmal sitzen‹, und blieb sitzen. Sie spielten weiter, und der Soldat gewann und spielte alle drei Generäle frei, und mehr wollte er von dem Schenkwirt nicht. Da sagte der Wirt ›Weil du so genügsam und gut gegen mich bist, so will ich dir auch sagen, dass du die drei Königstöchter finden wirst.‹ Und er gab ihm vier lange Eisenketten und führte ihn in den Wald zu einem Brunnen, und dann sagte er zu ihm ›Jetzt lass dich in diesen Brunnen hinab.‹ Der Soldat machte sich so ein Korbgeflecht zurecht, an das befestigte er die vier Ketten, dann setzte er sich in den Korb und liess sich in den Brunnen hinunter. Die drei Generäle waren aber mit zu dem Brunnen gegangen, und sie blieben, als sich der Soldat hinabliess, oben beim Brunnenloch stehn. Der Soldat war nun drunten, und da erblickte er in einiger Entfernung ein Schloss, und rings um das Schloss war ein grosses Wasser. Er machte sich ein Floss zurecht und fuhr übers Wasser. Und im Schloss fand er gleich im ersten Zimmer die älteste Königstochter und einen zwölfköpfigen Drachen. Die Prinzessin fragte ihn erschrocken ›Zu was bist du hergekommen? Dich wird der Drache verschlingen!‹ Der Soldat aber antwortete ›Ich fürchte mich nicht.‹ Bald darauf sprang der Drache auf ihn los, und der Kampf begann; der Soldat hieb mit seinem Säbel auf den Drachen ein und mit eins, zwei, drei Hieben hieb er ihm alle zwölf Köpfe herunter. Darauf ging er in das zweite Zimmer und fand da die zweite Königstochter und einen Drachen mit neun Köpfen, und er hieb auch dem alle Köpfe ab. Alsdann ging er weiter ins dritte[408] Zimmer und fand darin die dritte Königstochter und einen Drachen mit sechs Köpfen, und auch dem machte er den Garaus. Darauf verliess der Soldat mit den Prinzessinnen das Drachenschloss, setzte sie auf das Floss und fuhr sie über das Wasser. Die Prinzessinnen hatten aber ihre Kleider mitzunehmen vergessen, und da kehrte der Soldat noch einmal um, packte die Kleider der Prinzessinen zusammen und steckte sie in seinen Schnappsack. Dann zog er erst auch noch aus allen Drachenköpfen die Zungen heraus und steckte auch die in den Sack. So kam er wieder übers Wasser zurück, und sie gingen dann nach der Stelle, wo der Korb mit den Ketten war. Der Soldat setzte nun zuerst eine von den Prinzessinnen in den Korb, und die Generäle zogen sie in die Höhe, und ebenso dann auch die zweite und die dritte Prinzessin. Jetzt war der Soldat noch allein übrig, und dachte, hättest du dich nur lieber zuerst hineingesetzt! Er ahnte nichts gutes und legte statt seiner Steine in den Korb. Die Generäle oben zogen und zogen, und wie sie den Korb ein gutes Stück heraufgezogen hatten, da liessen sie los, und Korb und Steine schlugen prasselnd unten auf. Da dachten die oben nun, der Soldat sei todt, und die Generäle sagten zu den Prinzessinnen ›Hütet euch zu Hause dem König zu sagen, wer euch gerettet hat!‹ Die Prinzessinnen gelobten auch, es dem König nicht sagen zu wollen, und die Generäle fuhren mit ihnen nach dem Schloss zurück. Dort war jetzt grosse Freude, und es wurde Verlobung gefeiert. Und man berief Schneider, die sollten die Hochzeitskleider für die Prinzessinnen nähen. Aber wer weiss wie das kam? keines von den Kleidern wollte passen, und kein Schneider konnte ein Hochzeitskleid für die Prinzessinnen zu Stande bringen.

Der alte Soldat nun sass unten im Brunnen und weinte. Da kam ein grosser Vogel hernieder geflogen und sprach ›Setz dich auf mich, ich will dich hinauftragen.‹ Und trug ihn hinauf. Oben aber sprach der Vogel ›Ich bin der Schenkwirt und hab dich heraufgetragen, weil du ehrlich gegen mich gewesen bist.‹ Drauf kehrte der Soldat in die Stadt zurück, und er fragte die Leute ›Nun, was gibts neues bei euch?‹ ›Neues genug: des Königs Töchter sind wieder da, und die drei Generäle, die sie gefunden haben, sollen ihre Männer werden. Aber merkwürdig! kein Mensch bringt die Hochzeitskleider für die Prinzessinnen zu Stande.‹ ›So[409] will ich sie ihnen nähen‹, sagte der Soldat. Darauf versetzten die Leute, man hätte schon die besten Schneider kommen lassen und keiner hätt es fertig gebracht, da werde er wol auch nichts zu Stande bringen. Allein der Soldat blieb dabei, er werde die Kleider schaffen, und er ging zum König und sprach zu ihm ›Lieber König, gebt mir zwei Tage und zwei Nächte Zeit, so sollen die Hochzeitskleider fertig sein.‹ Dem König war der Vorschlag recht, und er gab dem Soldaten ein Zimmer als Werkstätte. Und wie nun die zwei Tage um waren, da nahm der Soldat die Kleider der Prinzessinnen aus seinem Schnappsack heraus und hängte sie an die Wand. Und da kamen die Prinzessinnen an die Thür und guckten durchs Schlüsselloch und sahen an der Wand ihre Kleider hängen. Voll Freude liefen sie zum König und riefen ›Vater, unser Retter ist angekommen!‹, und erzählten ihm, der alte Soldat wär es. Der König ging zum Soldaten und fragte ihn ›Bist du es, der meine Töchter befreit hat?‹ ›Ja, ich bin es‹, antwortete er, und da liess der König die drei Generäle herbeirufen und fragte ›Habt ihr meine Töchter befreit?‹ Die Generäle antworteten ›Ja.‹ Aber der alte Soldat sprach ›Wenn ihr sie befreit habt, so weist eure Wahrzeichen vor!‹ Da erschraken sie und wussten nicht, was sie machen sollten. Der Soldat aber zog die sämmtlichen Zungen aus dem Schnappsack hervor, wies sie dem König und sprach ›Ich hab diese Generäle vom Tod errettet, und sie haben mich zum Dank dafür ums Leben bringen wollen!‹ und erzählte alles. Da erschrak der König sehr, und er wurde auf die Generäle so zornig, dass er ihnen allen dreien den Kopf abhieb; ›Das habt ihr für eure Lügen!‹ sagte er. Der Soldat aber blieb bei dem König in dem Schloss und ass und trank nach Herzenslust, und der König sprach ›So lange du lebst, sollst du bei mir wohnen bleiben.‹

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 407-410.
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