19. Von der Edelmannstochter, die Soldat wurde. (30)

[420] Ein Edelmann hatte neun Töchter und keinen Sohn. Er musste einen Soldaten zum Heer stellen, aber er hatte keinen; und wenn er keinen stellte, gings ihm schlimm. Das machte ihm nun vielen Kummer, und wie er einmal wieder seufzend und weinend auf seinem Hof umherging, da fragt' ihn eine seiner Töchter ›Lieber[420] Vater, weshalb bis du so traurig?‹ Der Vater antwortete ›Wie sollt ich nicht trauig sein? Sieh, ich muss einen Soldaten stellen und habe keinen.‹ ›So lass mich unter die Soldaten gehn‹, sagte das Mädchen. Da lachte sie der Vater aus und sagte, Mädchen nähme man nicht unter die Soldaten. Aber sie bat so inständig, dass er doch endlich nachgab, und da zog ihr der Vater Männerkleider an, schnitt ihr das Haar kurz und schickte sie hin, und sie war ein gar schmucker Soldat. Da sie auch ganz anstellig bei allem war, lernte sie rasch was der Soldat zu lernen hat, und wenn das Heer aufmarschierte, kam sie dicht neben den König zu stehen. So wurde sie nun, weil sie ihren Dienst so gut versah, nach einiger Zeit Offizier und stieg von einer Würde zur andern, bis sie General ward. Der König aber hatte eine Tochter, wie die den General zu sehn bekam, verliebte sie sich in ihn, und sie fragte den Vater, ob sie ihn heiraten dürfe. Dem war's recht, und da wurde denn auch Hochzeit gemacht. Aber in der ersten Nacht wurde die Königstochter inne, was für einen Gemahl sie hatte, und sie mochte den jetzt gar nicht mehr. Sie klagte ihrem Vater ihr Leid und sagte ihm, dass sie mit dem Mann nicht zusammen leben wolle.

Der König hatte aber einen guten Bekannten, der auch König war, und wenn einer von seinen Leuten etwas verbrochen hatte, so schickte er ihn mit einem Brief zu dem Bekannten, und der brachte ihn dann um. So schickte er jetzt auch seinen Schwiegersohn dahin. ›Geh hin‹, sprach er zu ihm, ›du sollst dir bei dem König deine Mitgift holen.‹ Der Schwiegersohn machte sich denn auf den Weg, und als er durch einen Wald kam, sah er einen Menschen von einem Baumwipfel zum andern springen. ›Was springst du da auf den Bäumen herum? Steig herunter!‹ sprach er. Der Mensch stieg auch herunter und fragte ihn ›Wohin gehst du?‹ Des Königs Eidam antwortete ›Ich gehe in das und das Land mir meine Mitgift zu holen.‹ Drauf sagte der Mensch ›Man wird dich dort umbringen; aber wir wollen zusammen hingehn, ich will dir beistehn.‹ Und sie gingen zusammen. Weiter in dem Walde sahen sie einen Menschen, der umfasste Eichbäume, riss sie aus und trug sie, wie sie da waren, mit den Wurzeln und mit den Ästen, auf einen Haufen zu sammen. Der Mensch fragte ›Wohin geht ihr?‹ Und des Königs Schwiegersohn antwortete[421] ›Ich gehe nach dem und dem Land mir meine Mitgift zu holen.‹ Da sprach der Baumausreisser ›Man wird dich dort umbringen; aber ich will auch mit dir gehn und dir beistehn.‹ Und er ging mit. Im Weitergehn sahen sie hinter einem Baum einen Schützen auf einen Hasen anlegen. Der Schütze that dieselbe Frage wie die beiden andern, und er sagte, er wolle auch mit ihnen ziehn. Und danach sagte er, sie sollten alle einmal ein bischen weggehn, da machte er mit dem Stock ein kleines Loch in die Erde, legte sein Ohr daran und horchte, was der König, zu dem sie hinwollten, grade spräche; es waren aber bis zu dem König noch dreihundert Meilen. Und er hörte, wie der König sagte ›Ich werde ihn ins Feuer werfen oder von wilden Thieren zerreissen lassen.‹ Sie zogen nun alle zusammen weiter und kamen zu dem König. Der König fuhr gleich auf den General los, aber dessen Gesellen traten dazwischen, und es wurde ausgemacht, es solle erst ein Wettlauf zwischen dem Läufer des Königs und einem von ihnen gemacht werden; und gewännen sie, so müsste der König den General ziehn lassen. Der König stellte einen Läufer und der General stellte den, der auf den Baumwipfeln herumgesprungen war. Die beiden Läufer wurden nun an einem Meer, das viele Meilen entfernt war, aufgestellt, und sobald sie liefen, häufte der, der die Eichbäume getragen hatte, einen ganzen Berg vor ihnen auf. Des Königs Läufer kletterte mit Müh und Not auf den Berg, da sah ihn so viele Meilen weit der Schütze, der mit am andern Ende geblieben war, und er schoss ihn todt. Der andre aber kam jetzt am Ziel an, und da fragte ihn der König ›Wo ist mein Mann?‹ ›Der ist zurückgeblieben‹, antwortetete der Baumspringer, ›weil er nicht flink genug war.‹

Nun musste der König sie heimziehn lassen. Unterwegs kamen sie an ein Häuschen, und sie fanden da auf einem Tisch alles mögliche zu essen und zu trinken. Sie assen sich satt, und dann wussten sie nicht, was sie anfangen sollten, und weil in dem Häuschen niemand war, stieg des Königs Schwiegersohn auf den Tisch und k ...te darauf. Danach zogen sie weiter. Wie nun aber die Hexe, der das Häuschen gehörte, nach Haus kam und die Bescheerung sah, that sie einen Fluch und sprach ›Ist's ein Mann gewesen, so werde er zum Weib, und war's ein Weib, so werde sie zum Mann!‹ Und da fühlte des Königs Schwiegersohn, der noch[422] unterwegs war, wie ihm was wuchs, und er freute sich. Und wie er nach Haus zu seiner Frau kam, da war er jetzt wirklich ihr Mann, und sie lobte ihn, dass er ein tüchtiger Mann wäre. Und sie liebten einander und leben heutigen Tags noch, wenn sie nicht gestorben sind.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 420-423.
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