34. Wie ein Mädchen gegen den König das Spiel gewann. (44)

[471] Ein König hatte ein Rätsel, das lautete: was ist einem das liebste? was ist das geschwindeste? und was ist das fetteste? Und er bot 6000 Rubel, wer das Rätsel riete. Er berief allerhand Senatoren zu sich, sie sollten's raten, aber keiner bracht' es heraus. Nun war da ein armer Mann, dessen Tochter war ein kluges Mädchen. Die sprach zu ihrem Vater ›Geh hin zum König, Vater, und sag dem König, was einem das liebste, was das geschwindeste und was das fetteste ist: die Erde ist das fetteste, der Gedanke das geschwindeste, und die Gesundheit ist einem das liebste.‹ Der König fragte ›Wer hat dir das herausgebracht, Alter?‹ ›Meine Tochter hat's geraten‹, antwortete er. Der König aber dachte jetzt darauf, dass ihm die 6000 Rubel blieben, und er sprach zu dem Alten ›Nun soll mir deine Tochter von einer Flachsschebe hundert Halbstück Leinwand spinnen.‹ Weinend ging der Alte nach Haus, es seiner Tochter zu sagen. Die Tochter aber sprach ›Weine doch nicht, Vater, du stellst dir Gott weiss was vor! Der König hat dir den Auftrag für mich gegeben, und da brauchst du doch jetzt[471] nicht in einem fort zu weinen! Komm, hol mir dort aus der Ecke den Kehrbesen. Wir nehmen ihn auseinander, brechen die Reiser in kleine Stücke, und du gehst damit zum König und sagst ihm, er solle mir davon eine Werkstatt erbauen, in der ich die Leinwand weben könne.‹ Der König sah sich die Holzstückchen an: daraus eine Werkstatt zu bauen war nicht möglich. Und da sprach der Alte zu ihm ›So ist's auch nicht möglich, Herr König, aus deiner einen Flachsschebe so viel Leinwand zu machen!‹ Da liess der König Eier absieden, sprach zu dem Alten ›Bring die Eier deiner Tochter, Alterchen: sie soll mir Hühnchen damit ausbrüten.‹ Der Alte ging heim und weinte. Seine Tochter aber sprach ›Was weinst du, Vater? Ich will schon thun, was der König gesagt hat!‹ Und sie nahm Gerste, schüttete sie in den Ofen, dass sie verdorrte, und schickte damit den Alten zum König, dem sollte er sagen ›Gnädiger König, säe doch diese Gerste, und wenn die Gerste so weit reif ist, mach mir Grütze davon, dass die Hühnchen was zu fressen haben.‹ Der König sagte ›O, die Närrin! Dazu kann man doch keine gedörrte Gerste brauchen!‹ Und da sprach der Alte ›Aus abgesottnen Eiern, Herr König, kann auch keine Henne Hühnchen ausbrüten!‹ Aber der König sprach jetzt ›Sag doch deiner Tochter, sie solle zu mir kommen, aber weder zu Wagen, noch zu Pferd, noch zu Fuss, und solle weder Kleider anhaben, noch nackt sein, und solle mir etwas mitbringen, was sie weder hat noch auch nicht hat.‹ Da ging das Mädchen her und fing sich ein Häschen und eine Taube, warf sich ein Maschennetz um, wie es die Fischer brauchen, setzte sich auf einen Ziegenbock und ritt zum König hin. Wie der König das Mädchen so herankommen sah, liess er alle seine Hunde los, damit sie das Mädchen in Stücke rissen und ihm sein Geld bliebe. Das Mädchen sah, wie die Hunde des Königs auf sie los kamen, und da liess sie das Häschen laufen, und alle Hunde setzten dem nach. Und sie kam zum König hin und war weder zu Pferd, noch zu Fuss, noch zu Wagen, war weder nackend, noch hatte sie keine Kleider an. Und wie sie jetzt dem König die Taube hinreichte, da entschlüpfte die und flog davon und da bewies sie dem König, dass sie ihm was mitgebracht hatte, was sie weder hatte noch auch nicht hatte. Und der König musste die 6000 Rubel herausgeben und hatte gegen sie das Spiel verloren.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 471-472.
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