36. Von dem jungen Burschen, der keine Furcht hatte. (9)

[476] Es war ein Vater, der hatte einen Sohn, und der Sohn hatte noch nie Furcht gehabt. Da gab ihn der Vater zum Pfarrer und dachte, der könnte ihm vielleicht das Fürchten beibringen. Der Pfarrer behielt ihn bei sich, und er schickte ihn jede Nacht um die zwölfte Stunde in die Stadt Bier zu holen. Und er steckte seine Magd in weisse Kleider und sagte ihr, sie solle sich ins Hofthor[476] stellen, und wenn er mit dem Bier zurückkomme, ihn nicht durchlassen. Die Magd stellt sich ins Hofthor, und als der Junge aus der Stadt zurückkommt, sieh da steht im Thor eine weisse Gestalt. Er geht dicht heran und spricht ›Was stehst du hier? Scher dich weg und lass mich ins Haus gehn!‹ Wie ihn aber die Magd nicht vorbeilassen will, sagt er ›Scher dich, sonst schlag ich dir den Krug in den Nacken, dass du genug hast!‹ Da bekam das Mädchen Angst und machte sich fort. Der Junge aber kam hinein zum Pfarrer, und der Pfarrer fragte ›Nun, was hast du auf dem Heimweg gesehn?‹ Er antwortete ›Ich habe weiter nichts gesehn, nur hier im Hofthor stand ein weisser Kerl, dem wollt ich mit dem Bierkrug eins in den Nacken versetzen, und da machte er, dass er wegkam. Den nächsten Tag schickte der Pfarrer den Jungen wieder fort und liess das Mädchen wieder weisse Kleider anziehn und befahl ihm sich ins Thor zu stellen und diessmal nicht fortzulaufen. Wie nun der Junge heimkommt, sieh, da steht wieder einer im Thor. »Du stehst schon wieder hier?« rief er, scher dich fort, sonst schlag ich dir den Krug in den Nacken, dass du genug hast!‹ Aber die Magd wich nicht, und da schlug er zu und schlug sie todt. Und er ging hinein zum Pfarrer, und der Pfarrer fragte ihn ›Wo hast du den Krug mit Bier gelassen?‹ Er antwortete ›Draussen im Thor sah ich wieder den weissen Kerl stehn, da hab ich ihm eins mit dem Krug in den Nacken versetzt, dabei ist der Krug kaput gegangen, und den weissen Kerl hab ich todt geschlagen.‹ Der Pfarrer erschrak. Er ging hin und begrub die Magd in aller Stille.

Ein ander Mal schickte er den Jungen am Abend nach der Kapelle auf dem Kirchhof, da sollte er die Nacht über bleiben. Der Junge nahm sich zwei Stühle, eine Flasche Schnaps, ein Kartenspiel und ein Licht mit und setzte sich, wie er in der Kapelle war, auf den einen Stuhl. Es war schon in der Nacht, da hörte er, dass da was hinter dem Altar scharrte; das war ein Todter. Und der Junge sagte ›Komm doch zu mir, wir wollen ein Spielchen machen und Schnaps trinken.‹ Der Todte kam heran, sie spielten zusammen, und der Todte verlor das Spiel. Nun schlug's zwölf, und der Todte verschwand. Der Junge aber schlief auf seinem Stuhl ein und schlief bis zum Morgen, da stand er auf und ging heim. Am nächsten Abend schickte der Pfarrer den[477] Jungen wieder in die Kapelle, und der nahm diessmal noch einen Stuhl mit und setzte sich wieder auf den einen Stuhl hin. Wieder hörte er was hinter dem Altar scharren, und er sagte ›Komm doch zu mir, wir wollen ein Spielchen machen und Schnaps trinken!‹ Da kamen zwei Todte herbei, und sie spielten. Aber die beiden Todten verloren, und wie es zwölf schlug, verschwanden sie. Der Junge schlief wieder ein und ging am Morgen nach Haus. Am nächsten Abend nahm er sich vier Stühle mit, setzte sich hin, und wie der da sass, hörte er wieder was hinter dem Altar scharren. Er sagte ›Komm doch zu mir, wir wollen ein Spielchen machen und Schnaps trinken!‹ Drei Todte kamen, und sie hatten eine gute Weile gespielt, da schaute der Junge nach seiner Uhr, und es war bald so weit, dass die Todten verschwinden mussten. Da riss er den dreien schwupp die Hüte vom Kopf und sagte ›Nun zahl du mir für die drei Nächte, du für die zwei und du für die eine Nacht.‹ Und der eine Todte sagte ›Dort auf dem Kirchhof liegt ein Beutelchen voll Geld, das sollst du für die drei Nächte haben.‹ Der zweite ›Dort unter dem Kreuz steht ein Kesselchen voll Geld, das sollst du für die zwei Nächte haben.‹ Und der dritte ›Dort liegt ein Knochen1 auf dem Kirchhof, den magst du dir nehmen, für die eine Nacht hast du an dem genug; wenn dir irgend was schreckliches vor Augen kommt, da brauchst du nur mit dem Knochen so zu schlenkern, und das Schreckniss lässt dich in Ruhe.‹ Darauf sprach der Junge zu ihnen ›So geht doch hin und holt mir die Sachen selbst herbei! Eher kriegt ihr eure Hüte nicht.‹ Da gingen sie hin, und der erste brachte das Geldbeutelchen, der zweite das Kesselchen voll Geld und der dritte den Knochen, und da gab ihnen der Junge ihre Hüte wieder, und sie verschwanden. Drauf schlief er auf seinem Stuhl ein. Am andern Morgen aber, als er noch ruhig schlief, kam der Pfarrer und wollte sehn, was er mache. Neben dem Jungen stand sein Kesselchen voll Geld, und da wollte der Pfarrer sich seine Taschen mit dem Geld füllen. Aber der Junge wurde wach und rief ›Hand weg! das ist mein Geld!‹ Und da musste der Pfarrer abtrollen.

Als der Pfarrer sah, dass dem Jungen das Fürchten nicht beizubringen[478] war, schickte er ihn zu seinem Vater zurück: er hätte keine Mittel mehr ihn es zu lehren, der Vater solle mit ihm machen, was er wolle. Der Junge kam jetzt heim zum Vater und schenkte dem das Kesselchen voll Geld, das Geldbeutelchen aber und den Knochen behielt er für sich. Er ging nun einmal in einen Wald und fand da am Abend ein Häuschen und ging hinein. In dem Häuschen stand ein Ofen, da machte er sich Feuer an, blieb dabei sitzen und schürte es. Ueber ein Weilchen wurde ihm ein Sarg in die Stube hereingeworfen, und der Junge machte die Sargbretter klein und heizte damit ein, den Todten aber, der ganz steif war, stellte er ans Feuer. Wie der Todte jetzt warm wurde, fiel er um. Sprach der Junge zu ihm ›Was bleibst du nicht stehn, wenn ich dich hingestellt habe?‹ Und er stellte den Todten wieder auf, der fiel aber wieder um. Der Junge sagte wieder ›Was bleibst du nicht stehn, wenn ich dich hingestellt habe?‹ Und er stellte ihn abermals auf, und abermals sank der Todte um. Jetzt gab er ihm eins hinter die Ohren: ›Was bleibst du nicht stehn, wenn ich dich hingestellt habe?‹

Am nächsten Abend kam der Bursche in ein andres Häuschen, dort stieg er auf den Ofen und wollte da die Nacht schlafen. Es kam aber eine ganze Teufelshochzeit herein und fing an zu tanzen. Und er sah ein Mädchen dabei, das war sehr schön, und er wollte sich das Mädchen wegfangen. Am andern Abend legte er sich wieder auf den Ofen, und wieder kam die Teufelshochzeit herein. Jetzt fing er sich das schöne Mädchen weg, und als die Teufel sagten ›Gib uns das schöne Mädchen heraus! wir müssen, tanzen!‹, antwortete er ›Ihr habt ja Mädchen genug und könnt tanzen‹, und gab das Mädchen nicht heraus. Da Hessen die Teufel von allen Seiten Würmer über ihn kom men, er schlenkerte aber den Knochen, und alle Würmer machten, dass sie fortkamen. Das Mädchen aber sprach zu ihm ›Gib mich auch morgen und übermorgen Nacht den Teufeln nicht heraus, so wird alles gut werden.‹ Am andern Abend, als wieder die Teufelshochzeit hereinkam, fing er sich wieder das Mädchen und behielt sie für sich. Die Teufel sprachen ›Gib uns das Mädchen heraus!‹ Er aber erwiederte ›Ihr habt ja Mädchen genug und könnt tanzen.‹ Und wieder liessen sie die Würmer über ihn kommen, er schlenkerte jedoch den Knochen, und alle Würmer verschwanden. Und das[479] Mädchen sprach zu ihm ›Noch eine Nacht behalte mich bei dir!‹ Am nächsten Abend fing er sie sich wieder und gab sie den Teufeln nicht her. Die Teufel sagten ›Gib uns das Mädchen heraus! wir müssen tanzen!‹ Und er antwortete ›Ihr habt ja Mädchen genug und könnt tanzen!‹ So hatte er sie jetzt drei Nächte hindurch den Teufeln abgenommen, da war sie erlöst, und er heiratete sie. Und es war ein grosser Wald dort, der verwandelte sich in ein Heer. Der Todte aber, der in dem Sarg hereingeworfen worden war, das war ein König. Und sie lebten alle herrlich und in Freuden und leben jetzt noch, wenn sie nicht gestorben sind.

1

Im Original maútkaulis, ein Compositum, dessen erster Bestandtheil mir unklar ist.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 476-480.
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