46. Von der heiligen Margareta. (47)

[504] Es war eine Jungfrau, die hiess Margareta, und sie war gottesfürchtig und besuchte die Kranken und Armen. Ihr Bruder war Herzog, und sie hatten eine böse Stiefmutter. Wie nun einmal der Herzog in andre Länder auszog, liess er seiner Schwester all sein Hab und Gut zurück, der Stiefmutter aber sagte er, sie könne sichs mit Essen und Trinken wol sein lassen, nur solle sie sich nicht weiter um sein Hauswesen bekümmern. Es dauerte aber nicht lange, da schrieb die böse Stiefmutter an den Herzog einen Brief, darin stand ›Mein Sohn, ich muss dir schreiben, deine Schwester führt ein ruchloses Leben und hat sich jetzt mit Hauptleuten und Generälen eingelassen.‹ Der Bruder glaubte das nicht und schrieb wieder, es solle alles beim alten bleiben. Aber die böse Stiefmutter wollte Margareta durchaus verderben und schrieb wieder einen Brief an den Herzog, sie könne in diesem Haus nicht leben und müsse fort, weil seine Schwester wieder Ruchlosigkeiten begangen habe. Aber der Herzog schrieb wiederum, es solle beim alten bleiben. Da schrieb die böse Stiefmutter zum dritten Mal einen Brief, sie werde aber nun ganz gewiss das Haus verlassen, Margareta laufe mit Soldaten herum und habe ihre Jungfernschaft verloren. Da befahl der Herzog, sie sollten Margareten die Arme bis zu den Ellenbogen abhacken und sie in die Wildniss ausstossen. Und das geschah. Margareta ging durch die Wälder und kam in eines andern Königs Land. Sie trat in die Gärten des Königs ein und fand da ein Beet mit Gurken, von diesen ass sie, indem sie sie mit dem Mund abpflückte. Die Gärtner des Königs aber sahen, was da alles niedergetreten war, sie gingen zum Prinzen und sagten ihm ›Wir haben da merkwürdige Gangspuren gefunden, es hat jemand im Garten einen abscheulichen Schaden angerichtet.‹ Der Prinz befahl, man solle den Übelthäter ihm lebendig vorführen. Und die Gärtner fanden die heilige Margareta in dem Garten, nahmen sie fest und führten sie zum Prinzen. Der Prinz aber verliebte sich gleich in Margareta, und er sah gar nicht, dass sie keine Hände hatte. Er liess ein Bad herrichten und Margareta baden. Und dann wurde Hochzeit gefeiert.

Über ein Jahr fuhr der Prinz in andre Länder. Die heilige Margareta aber gebar ein Söhnlein, das war ein gar schönes Kind,[505] rechts und links von ihm stand ein Stern und hinter dem Kopf ein Schein von Mondlicht. Da schrieb die böse Stiefmutter einen Brief an den Prinzen ›Komm hurtig zu Fuss oder zu Wagen heim! Deine Frau hat ein Thier geboren; es ist kein Hund, auch kein Bär, auch kein Wolf – wir können's dir nicht sagen.‹ Der Prinz schrieb wieder, man solle ihr nichts thun, es solle alles beim alten gelassen werden. Jetzt schrieb die Stiefmutter zum zweiten Mal einen Brief an ihn: ›Ich kann's nicht mehr ansehn: alles spotte über mich, dass wir so eine als deine Frau ins Haus genommen hätten.‹ Der Prinz befahl wieder, es solle alles wie bisher bleiben, bis er heimkomme. Aber die Stiefmutter schrieb zum dritten Mal einen Brief: ›Ich kehre nun deinem Haus und dem Ärger, den man darin hat, den Rücken!‹ Der Prinz befahl jetzt, man solle Margareten weiter kein Leid zufügen, sondern ihr nur mit einem Handtuch das Kind an die Brust binden und sie dann ihrer Wege gehn heissen. Da wurde Margaretens Leidenskrone noch schwerer als früher. Denn sie konnte nichts von der Erde aufnehmen und kein Wasser trinken. Sie wandelte durch den Wald hin, und es dürstete sie sehr. So kam sie an einen schönen Birkenstand, und wie sie hineinging, um zu sehn, was drinnen wäre, fand sie einen schönen Brunnen, der war eingefasst, und da konnte sie nach Herzenslust trinken. Wie sie sich aber über den Brunnenkranz beugte und von dem Wasser trinken wollte, riss das Handtuch entzwei, und das Kindchen fiel in den Brunnen. Margareta fasste mit ihren Armstümpfen zu, und sieh, da hatte sie auf einmal ihre ganzen Arme wieder. Aber sie konnte sich darüber nicht freuen, sie weinte sehr, weil ihr Söhnchen ertrunken war. Sie ging wieder in den Wald, und sie war lange so vor sich hin gegangen, da dachte sie, du willst doch noch einmal nach der Stelle gehn, wo du dein Kind ertränkt hast, und zusehn! Und wie sie hinkam, da sass dem Brunnen gegenüber die Mutter Gottes und hielt ihr Söhnlein. Als das seine Mutter erblickte, sprach es ›Komm her, liebe Mutter, ich bin dein Söhnlein und bin ein grosser Schriftgelehrter geworden. Und jetzt wollen wir gehn, Mutter, uns Nahrung zu suchen, wollen Wurzeln graben und uns damit nähren!‹ Und sie hatten denn auch bald ihre Taschen mit Wurzeln gefüllt.

Jetzt kamen sie aus dem Wald aufs freie Feld. Da kam's Margareten vor, als sähe sie ihres Bruders, des Herzogs, Palast.[506] ›Mein Sohn‹, sprach sie, ›ich sehe meines Bruders, deines Oheims, Palast. Wollen wir nicht hineingehn?‹ ›Nein, liebe Mutter, ich fürchte, der Oheim tödtet uns beide.‹ ›Fürchte dich davor nicht, mein Kind, er wird uns nicht mehr kennen: er hat mich damals ohne Hände ausgestossen, jetzt hab ich meine Hände wieder, da wird mich niemand erkennen.‹ Da ging denn die heilige Margareta mit ihrem Söhnlein in den Palast des Herzogs. Dort aber wurde grade ein grosses Fest gefeiert. Der Herzog, der König, die böse Stiefmutter und viele Herren standen auf dem Balkon. Die heilige Margareta trat näher und bat, man solle sie doch eine Geschichte erzählen lassen, die Geschichte von dem Leben der heiligen Margareta. Da merkte die Stiefmutter, dass Margareta wieder heimgekommen war, und sie sagte ›Fort mit dir, zerlumptes, nichtsnutziges Weib! Hier das sind Fürsten und Edelleute, und es wird hier ein grosser Reichstag abgehalten: passt es sich für dich, so hier zu erscheinen?‹ Aber die heilige Margareta kehrte sich zu dem Herzog und bat ihn ›Lasst mich in ein Zimmer ein, dass ich euch die ganze Geschichte erzählen kann!‹ Und der Herzog führte sie in den Palast und liess sie sich an einen Tisch setzen. Man brachte ihr Speise und Trank in Fülle, aber sie wollte davon nichts annehmen, sie holte aus ihrer Tasche alle Arten Wurzeln hervor, schüttete sie vor sich auf den Tisch hin und sprach ›Seht, zwölf Jahre hindurch ist das meine Nahrung gewesen!‹

Und dann begann sie ihre Geschichte: ›Es war einmal ein Herzog, der hatte eine Schwester, die sehr gottesfürchtig war und alle Kranke und Arme besuchte. Als nun der Herzog einmal in andre Länder abgerufen wurde, sandte ihm seine böse Stiefmutter einen Brief, worin stand, dass seine Schwester ruchlos geworden sei und sich mit Soldaten eingelassen habe. Da gebot der Herzog, man solle seiner Schwester die Arme bis zu den Ellenbogen abhacken, sie in den Wald führen und dort ihrer Wege gehn heissen. Sie kam nun in die Gärten eines Königs und ass von den Gurken, die sie dort fand, und zertrat dabei die Beete. Die Gärtner fanden die niedergetretnen Stellen und sagten dem Prinzen, es habe Gott weiss was für ein Vogel im Garten grossen Schaden angerichtet. Der Prinz befahl das Thier lebendig vorzuführen, und da fand man in dem Garten die heilige Margareta.‹ Wie der Herzog den Namen hörte, dachte er, ich hatte eine Schwester mit diesem Namen, das[507] muss die wol sein! Und so dachte auch die Stiefmutter, die erschrak sehr, und sie dachte, jetzt geht mir's am Ende ans Leben! Des Herzogs Schwester aber fuhr fort zu erzählen: ›Die heilige Margareta wurde des Prinzen Frau. Der Prinz aber ritt einst in ein fremdes Land aus. Und da gebar sie, wie er fort war, ein gar schönes Knäblein: rechts und links von ihm stand ein Stern und hinter dem Kopf ein Schein von Mondlicht; davon wurde der ganze Palast hell. Aber danach schrieb der Prinz an die Stiefmutter, man solle seine Frau hinausführen, ihr das Kind an die Brust festbinden und sie ausstossen.‹ (Da merkte der Prinz, dass es seine Frau war.) ›Und die heilige Margareta litt Durst, und sie kam an einen schönen kleinen Birkenstand, darin war ein Brunnen mit einer Einfassung, und da konnte sie nach Herzenslust trinken. Aber wie sie trinken wollte, riss ihr die Binde auf der Schulter entzwei, und ihr Söhnlein fiel ins Wasser. Sie streckte die Armstummel nach dem Kind aus, und wie sie das so mit aller Gewalt that, bekam sie ihre ganzen Arme wieder. Aber sie freute sich dessen nicht, sie weinte um ihr Söhnlein. Sie ging weiter, kehrte aber bald darauf zurück, um noch einmal zuzusehn. Da sass ihr Söhnlein da, und die Mutter Gottes gab ihm weise Lehren. Da freute sich Margareta sehr, und sie ging mit ihrem Kind weiter. Über eine Weile sagte sie »Komm, Kind, wir wollen jetzt aus dem Wald herausgehn, ich sehe dort meines Bruders, des Herzogs, Palast.« »Nein, Mutter, wir wollen da wegbleiben, man wird uns tödten!« »Komm nur und hab keine Furcht!« Wir gingen darauf zum Palast und fanden dort eine grosse Versammlung von Fürsten und Senatoren. Und erkennst du nun, Bruder, dass ich deine Schwester bin?‹

Der Herzog hatte alles verstanden und war voller Freude, dass die heilige Margareta nach so viel Bussqualen nach Haus zurückgekehrt war. Er lief auf das Kind zu, küsste es herzlich und tröstete Margareta. Dann aber gebot er seinen Dienern eine Grube zu graben, Ziegelsteine hineinzuwerfen, einen Ofen herzurichten und dann tüchtig einzuheizen und die Stiefmutter hineinzuwerfen; dass die Hexe darin zu Asche verbrenne. So geschah es, und der Herzog lebte fortan mit der heiligen Margareta herrlich und in Freuden.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 504-508.
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