8. Von den drei Königssöhnen. (11)

[375] Es war einmal ein König, der hatte drei Söhne: zwei waren gescheit, und der dritte, der jüngste, war einfältig. Und einst fiel der König in eine schwere Krankheit, und er wusste von einem Vogel: wenn er dessen Stimme zu hören und ihn zu sehn bekam, so ward er wieder gesund. Und da wollte er, dass jemand auszöge und ihm den Vogel holte.

Eines Tags ritt der älteste Königssohn fort den Vogel zu holen. Er war schon eine gute Strecke geritten, da kam er an eine Schenke. Er hörte, wie drinnen etliche vergnügt beim Kartenspiel sassen, und da ging er hinein in die Schenke und fand in der Stube drei Leute sitzen, und die sagten zu ihm, er solle doch mitspielen. Er setzte sich also zu ihnen, spielte und verspielte all sein Geld und seine Kleider, und dann schickten ihn die Männer an einen Ofen, und er musste Feuer schüren. Er war aber in die Hölle geraten.

Der König wartete immer, dass sein Sohn wiederkäme, aber er kam nicht. Da bat der zweite Sohn den Vater, dass er ihn[375] ausziehn lasse den Vogel zu holen. Der Vater aber sprach zu ihm ›Dein Bruder ist verschwunden, auch du wirst mir nicht wiederkommen.‹ Aber endlich liess er ihn doch ziehn. Der Jüngling setzte sich auf sein Pferd und ritt von dannen. Und auch er kam an die Schenke, ging hinein und setzte sich zu den Spielern und spielte mit. Und das Spiel währte eine Weile, da hatte auch der sein Geld, seine Kleider und sein Pferd verspielt, und sie schickten ihn zu seinem Bruder, und da musste er wie der Feuer schüren.

Nun bat der Dümmling den Vater, er solle ihn nach dem Vogel ausziehn lassen. Aber der König sagte ›Deine zwei Brüder sind nicht wiedergekommen, da wirst du Dummbart mir erst recht nicht wiederkommen.‹ Allein der Prinz bat so inständig, dass er am Ende doch nachgab, er gab ihm aber nur hundert Rubel mit auf die Reise. Der Prinz ritt fort und kam an die Schenke. Da hörte er, wie in der Schenke etliche vergnügt beim Kartenspiel sassen, aber er ging nicht hinein, sondern ritt weiter. Eine gute Weile war er immer durch Wald geritten, da kam er an eine grosse Fichte, und auf der Spitze der Fichte brannte ein Spanlichtchen. Er klopfte mit einem Stecken ein bischen an die Fichte, da that sich eine Thür auf, und aus der Fichte wurde ein Haus. Und er ging in das Haus, da war ein altes Männchen drin, und er fragte das Männchen ›Wo muss ich jetzt hinausreiten, und wo ist das Vögelchen?‹ Das Männchen antwortete ›Reit diesen Weg da, da kommst du ans Meer, und wenn es Mittag um zwölf ist, bildet sich auf dem Wasser eine diamantne Brücke, und jenseits der Brücke ist ein grosses Schloss. Wenn du dann über die Brücke in das Schloss gehst, findest du dort das Vögelchen. Aber du darfst ja nicht länger als eine Stunde in dem Schloss bleiben.‹ Der Prinz ritt, wie ihm das Männchen gesagt hatte, und kam ans Meer, und da bildete sich auch vor seinen Augen die Brücke, und er ging über die Brücke in das Schloss. In einem Zimmer da lag eine Jungfrau im Bett und schlief, und er legte sich zu ihr ins Bett. Und danach fand er das Vögelchen und nahm es weg, und fand auch noch auf einem Fenster eine kleine Semmel und eine Flasche Wein und einen Säbel an der Wand, und die nahm er auch weg. Wie er jetzt auf die Uhr sah, da fehlte nicht mehr viel, dass die Brücke wieder verschwinden musste, und da ging er nach dem Ufer zurück. Kaum hatte er den Fuss ans Ufer gesetzt, da[376] sank auch schon die Diamantbrücke klirr klirr klirr ins Wasser hinunter. Danach ritt er seinen Weg weiter und kam zu einem König und sprach bei ihm ein. Der König aber hatte kein Brod zu essen, und er bat ihn, er solle ihm doch die kleine Semmel geben, er werde ihm die Semmel nach drei Jahren wieder schicken und dazu drei Regimenter Soldaten. Am nächsten Morgen ritt der Prinz weiter und kam zu einem andern König. Der König hatte keinen Wein zu trinken, und da bat er ihn, er solle ihm doch die Flasche Wein geben: ›nach drei Jahren‹, sagte er, ›werd ich dir die nämliche Flasche zurückschicken und dazu drei Regimenter Soldaten.‹ Da liess der Prinz dem König die Flasche Wein und zog weiter und kam wieder zu einem König. Der König war von seinen Feinden grade besiegt worden, und am nächsten Tag, glaubten die Leute, würden die Feinde ihm auch das bischen Land, das er noch hatte, abnehmen. Und da bat der König den Prinzen, er solle ihm doch den Säbel geben, auf dass er sich gegen die Feinde wehren könne, und er gab ihm den Säbel. Mit dem Säbel hieb der König gleich auf einen Hieb das halbe Heer der Feinde zusammen. Und dann sprach er zum Prinzen ›In drei Jahren sollst du den Säbel wiederhaben und dazu drei Regimenter Soldaten.‹ Darauf machte sich der Prinz auf den Heimweg, und das Vögelchen sang unterwegs immer auf seinem Kopf. Sein Weg führte ihn wieder an der Schenke vorbei, und jetzt ging er in die Schenke, setzte sich hin und spielte mit den Männern Karten, und er gewann, und da mussten sie ihm seine Brüder und ihre Pferde wieder herausgeben. Danach ritten sie alle drei von dannen zu ihrem Vater. Aber die zwei ältesten Brüder waren voll Neid und Hass auf den Dümmling und sagten ›Wenn wir das Vögelchen nicht heimbringen, werden wir die dummen sein und er der kluge.‹ Und nahmen ihm das Vögelchen ab und steckten ihn unter etliche Baumstubben, die da lagen. Und nachdem sie das gethan hatten, ritten sie heim zum Vater und brachten ihm das Vögelchen. Aber das Vögelchen sang nicht, und der König konnte immer nicht gesund werden.

Einst kam nun des Wegs ein alter Mann und sah da unter den Baumstubben einen Menschen liegen. Er holte ihn unter den Stubben hervor und sprach ›Wie nur ein Mensch sich lebendig so unter Baumstubben verkriechen kann!‹ Der Dümmling aber ging[377] heim zum König, und da machten sie ihn zum Futtermeister. Und er blieb das drei Jahre.

Jetzt ritt das Fräulein, das in dem Schloss auf dem Meere wohnte, aus und wollte den aufsuchen, der bei ihr gewesen war, und sie nahm ihr Kind, das sie bekommen hatte, mit. Sie kam zu einem König und fand da ihre Semmel, und da fragte sie den König ›Wer hat hier die Semmel hergebracht? die ist mein.‹ Der König antwortete ›Es war der Sohn von dem und dem König hier, der hat mir die Semmel auf drei Jahre dagelassen‹, und fragte das Fraulein ›Woher bist du und wohin geht deine Reise?‹ Sie antwortete ›Meine Reise geht zu demselben König, denn sein Sohn ist mein Gatte.‹ Da sprach der König ›So nimm ihm diese Semmel mit‹, und er gab ihr auch noch die drei Regimenter Soldaten mit. Sie ritt nun weiter und kam zu einem andern König und fand bei ihm ihre Flasche Wein. Sie sagte ›Das ist meine Flasche! Woher hast du die?‹ Der König erzählte es ihr und fragte ›Wo geht deine Reise hin und woher bist du?‹ Sie antwortete aber, dass sie zu demselben König wolle, dessen Sohn die Flasche dagelassen hatte, und da sagte er ›So nimm ihm die Flasche mit‹, und gab ihr auch die drei Regimenter. Nun hatte sie schon sechs Regimenter bei sich, und sie kam wieder zu einem König, und fand bei ihm ihren Säbel und fragte den König ›Wie bist du zu diesem Säbel gekommen? das ist mein Säbel.‹ Der König antwortete ›Der und der Prinz ist hier gewesen, der hat mir den Säbel auf drei Jahre dagelassen.‹ Und er gab ihr den Säbel und drei Regimenter mit. Danach ritt sie mit dem ganzen Heer weiter zu dem König, zu dem sie hin wollte, und schickte einen Boten in das Schloss, ihr Bräutigam solle zu ihr kommen1. Da kam der älteste Sohn des Königs, und das Kind sprach ›Das ist nicht mein Papa.‹ Danach liess sie sagen, der andre Sohn solle kommen, und wie der zweite Sohn geritten kam, sagte das Kind wieder ›Das ist nicht mein Papa.‹ Sie liess abermals sagen, der andre solle kommen. Und jetzt kam der Dümmling auf einem elenden Gäulchen zu dem Fräulein geritten, und das Kind rief ›Das ist mein Papa!‹ Und[378] da ging der Prinz mit dem Fräulein zum König, und wie der Dummbart das Zimmer betrat, wo das Vögelchen war, alsobald fing das Vögelchen an zu singen, und der König sprang gesund aus dem Bett und sprach ›Dieser mein jüngster Sohn ist es, der das Vögelchen gefunden hat!‹ Und er zankte seine zwei ältesten gehörig aus, den Dümmling aber belobte er, und dann richtete er die Hochzeit aus, und der Dümmling lebte fortan mit seiner Frau herrlich und in Freuden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.

1

Statt dieses Satzes steht im Original: ›Danach ritt sie weiter zu dem König. Sie kam ans Meer, spannte die Diamantbrücke über das Meer und ging mit ihrem ganzen Heer hinüber. Und sie sandte einen Boten, ihr Bräutigam solle zu ihr kommen.‹

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 375-379.
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