[562] 19. Von der Edelmannstochter, die Soldat wurde (S. 420).

Hier hat eine Combination von zwei Erzählungen stattgefunden. Der erste Theil ist das Märchen vom Mädchen als Soldat, das seine Umgebung über sein Geschlecht täuscht (Mädchen im Kriege); vgl. Grimm 67; Hahn, Anm. zu 101 S. 313; Köhler, Anm. zu Gonzenbach 17; Liebrecht, zur Volkskunde, S. 217, zu Jeannaraki 288; der zweite Theil gehört zu demselben Kreise wie Grimm 71: der Held siegt im Wettlauf (bei Grimm über die Königstochter, im litauischen Märchen über des Königs Läufer) und vollbringt andere, sich daran schliessende, scheinbar unmögliche Aufgaben, mit Hülfe mehrerer, mit wunderbaren Eigenschaften ausgerüsteter Gefährten; vgl. Anm. zu 71, III, S. 121, wo in der »Historie des pommerschen Fräuleins Kunigunde u.s.w.«, ähnlich wie in unserm Märchen, die als Mann verkleidete Heldin gefährliche Aufträge erhält, die ihren Untergang herbeiführen sollen. Ueber Menschen mit wunderbaren Eigenschaften, vgl. Benfey, »Das Märchen von den ›Menschen mit den wunderbaren Eigenschaften‹, seine Quelle und seine Verbreitung« Ausland 1858, No. 41–45. Ueber den, durch den Fluch der Hexe, herbeigeführten Geschlechtswechsel, vergl. Benfey, Pantschatantra I, § 9, C. 41 ff. (S. 50: Idâ, Manu's Tochter, wird durch der Götter Gunst zum Mann und durch Siva's Fluch wieder zum Weib); Liebrecht, Zur Volkskunde, Schottischer Aberglaube, 9, S. 362 u. Nachtrag, S. 507. Wie in unserm Märchen, lässt, Hahn 58, die Königstochter, unzufrieden mit ihrem, durch den Fluch der Neraïde zum Weibe gewordenen Gemahl, demselben durch ihren Vater gefährliche Aufgaben stellen. Durch den Fluch des Mohren wird der Held wieder zum Mann, worauf er zur Prinzessin zurückkehrt und glücklich mit ihr lebt. Zum ersten Theile gehören von slavischen Versionen, die grossrussischen Märchen, Chud. II, 60, S. 81 u. Af. I, 7, S. 53; vgl. Anm. dazu S. 135; das kleinrussische Märchen Trudy I, 25, S. 92; die grossrussische Byline von Stavr Godinovič und drei kroatische Lieder aus der Sammlung: Hrvatske nar. pjesme, što se pjevaju po Istri i kvarnerskih otocih, preštampane iz »Naše Sloge.« UTrstu, Amati, 1879, No. 8, 11 und 17.

Chud. 60, fällt bei einem Aufgebot das Loos auf einen Alten, er muss Soldat werden. Die älteste Tochter will, trotz Abrathens, statt seiner gehn. Doch als sie auf dem Weg ist, kommt ihr entgegen ein Hase: sie erschrickt und kehrt um. Die zweite, die jetzt geht, kommt gleichfalls, durch einen Wolf erschreckt, heim. Der dritten begegnet ein Bär (Hase, Wolf, Bär, war der Vater, der die drei Mädchen abschrecken wollte); sie schiesst ihm eine Fusszehe ab, steckt sie in die Tasche, geht unter die Soldaten, und dient einige Jahre, ohne[562] dass ihr Geschlecht erkannt wird. Einst, im Quartier, stellt ein Soldat, aufmerksam gemacht durch die Wirthin, Proben an, um herauszubringen, ob sein Kamerad ein Frauenzimmer sei: Sie schlafen auf (frisch gemähtem) Heu, welches, wenn ein Mann darauf gelegen hat grün bleibt, bei einer Frau dunkler wird (почернѣетъ) (vgl. Hahn I, 10, S. 116). Sie wendet ganz früh das Heu um. Nun geht er mit ihr baden: sie schickt ihn aber weg, die vergessene Seife zu holen. Als er wieder kommt, ist sie fertig. Die Soldaten werden verabschiedet, das Mädchen geht zu ihren Eltern und findet, dass ihrem Vater ein Finger (Zehe) fehlt. Sie erzählt ihre Erlebnisse, aber ihr Kamerad ist ihr, in eine Katze verwandelt, nachgeschlichen, hört alles, miaut, bis sie ihn ins Zimmer lässt, ergreift sie, setzt sie sich auf den Rücken und trägt sie fort. Sie kommen über einen Fluss, da wirft sie ihren Ring hinein und sagt, nicht eher wolle sie ihn ihren Mann nennen und seine Mutter ihre Schwiegermutter, als bis ihr Ring von Gras überwachsen ist. Er führt sie zu seiner Mutter, die sie durch gefährliche Aufgaben verderben will. Sie soll Wölfe scheeren, Bären melken, bei einer Hexe eine Todtenhand (бердо) holen; ihr Mann hilft ihr dabei. Endlich schickt sie die Mutter, mit ihrem Mann angeln: dabei fischt sie ihren mit Gras bewachsenen Ring heraus und von nun an leben beide glücklich miteinander. – In der kleinrussischen Variante zu dem obigen Märchen, geht die Tochter eines Kosaken für ihren alten Vater in den Krieg, wo sie sich durch Tapferkeit auszeichnet. Ein Offizier wettet mit einem andern, sie sei ein Mädchen: er wolle sie durch seine Tauben stehlen lassen und den Beweis liefern. Als der Krieg zu Ende ist und das Mädchen wieder zu Hause ist, stehlen die Tauben des Offiziers sie eines Nachts aus dem Garten, wo sie im Sommer schläft, mit dem Bett und fliegen mit ihr fort. Als sie aufwacht, fliegen sie über dem Meer, auf ihre Frage erzählen ihr die Tauben, wer sie habe stehlen lassen u.s.w. und sie wirft ihren Ring ins Meer und beschliesst nicht eher mit Schwiegereltern und Mann zu sprechen, als bis sie den Ring wieder sehen werde. Die Tauben tragen sie zu dem Offizier, dessen Freund sich jetzt überzeugt, dass er die Wette verloren hat. Sie heirathet den Offizier, bleibt aber stumm, was man auch anfängt, sie zum Sprechen zu bringen. Sie wird zu den Todten geschickt, eine Todenhand zu holen, findet dann ihren Ring in einem Hecht wieder und fängt an zu sprechen; als aber ihr Mann zu ihr »Täubchen« sagt, verwandelt sie sich in eine Taube und fliegt nach Haus. Er setzt eine unsichtbarmachende Mütze auf, geht ihr nach und kommt in eine Schenke, wo sie mit mehreren Frauen sitzt und eben sagt, sie wünsche sich nichts weiter, als ihren Mann zu sehen zu bekommen und würde sofort mit ihm gehen. Er giebt sich zu erkennen und bleibt mit ihr in ihrem Dorf. – Af. I, 7, will der Car Barchat, der eines Tages auf der Jagd einem Jüngling begegnet und von seinem Diener erfährt, es sei kein Jüngling, sondern Vasilisa die Tochter des Popen Vasilij, die sich so kleide und betrage wie ein Mann, sich darüber Klarheit verschaffen, ladet sie dreimal ein und stellt mit ihr, auf den Rath einer alten Frau, drei Proben an. Das erste Mal führt er sie nach Tisch in ein Zimmer, wo ein Stickrahmen steht. Statt danach zu greifen, verhöhnt sie den Caren, weil er solchen[563] Frauenzimmertand in seinem Palast habe. Das zweite Mal sind Edelsteine in der ihr vorgesetzten Grütze: sie spuckt Grütze und Edelsteine unter den Tisch und hält sich darüber auf, dass bei dem Caren solcher Mädchenschnickschnack sogar ins Essen gelegt würde. Das dritte Mal lässt der Car ein Bad bereiten. Die Alte hat ihm gesagt, ein Mädchen würde nicht mit ihm zusammen ins Bad gehen. Sie geht mit Freuden auf den Vorschlag ein, während sich aber der Car im Vorgemach auszieht, hat sie schon fertiggebadet. Sie schreibt nun einen Brief, den die Diener dem Caren erst geben sollen, wenn er aus dem Bade kommt, und worin sie ihn verspottet, dass er sich von ihr überlisten liess: sie sei nicht Vasilij Vasil'evič, sondern Vasilisa Vasil'evna. – Im kroat. Liede 8, S. 25, soll der alte Vidović einen Sohn in den Krieg schicken. Die jüngste von seinen neun Töchtern geht, trotz aller Vorstellungen, unter die Soldaten. Des Caren Diener schöpfen Verdacht; der Car lässt sie dreimal prüfen. Sie wählt von Ringen und Waffen die letztern, sie beschlägt Pferde, und schwimmt endlich über die trübe Donau (mutni Dunaj), während die Männer am Rande bleiben. Sie dient neun Jahre unerkannt und kehrt dann heim. In der Variante, 17, S. 45, sucht der Königssohn über das Geschlecht der Romanija, die für ihren Vater Dunčić Ivan, Soldat wurde, ins Klare zu kommen. Ihr Auftreten sei männlich, ihr Aussehen weiblich: die Brust voll, wie bei einem Mädchen. Sein Vater räth ihm, mit ihr in einen Kaufladen zu gehen: sie wählt einen Säbel; dann mit ihr über die Donau zu schwimmen: als der Prinz hinkommt, ist sie mitten im Fluss, als er in der Mitte ist, ist sie drüben und entblösst ihre weisse Brust: »Jetzt sieh mich an Königssohn, du Teufelsbrut, ob ich ein Jüngling bin, oder ein Mädchen.« Darauf reitet sie heim. – Das dritte kroatische Lied, 11, erzählt, wie der Held Aršić Stipan mit 29 andern in Carigrad (Konstantinopel) gefangen sitzt. Seine Frau verweigert die Zahlung des Lösegeldes, zieht Männerkleider an, fordert den Caren zum Kampf, haut ihm den Kopf ab, befreit die Gefangenen, nimmt Stipan zu sich aufs Pferd und reitet mit ihm, der sie nicht erkannt heim. Unterwegs fragt sie ihn, ob er wohl seinen Rappen, seine Mütze mit den Federn und seine Frau erkennen würde. Als er sagt, wenn er alles dreies sähe, würde er es erkennen, hält sie ihm vor, er reite mit seiner Frau und auf seinem Ross, ohne beide zu erkennen. – Nah verwandt mit dem letzten Lied ist die Byline von Stavr Godinovič, vgl. Rybnikov, I, S. 243 ff., II, S. 100; Hilferding, No. 7, 21, 109, 140, 151, 169. Hier wird Stavr, der sich rühmte, eine so schlaue Frau zu haben, dass sie alle, selbst den Fürsten Vladimir, hinters Licht führen könne, für diese Frechheit ins Gefängniss geworfen. Seine Frau kommt in Männerkleidern, als kriegdrohender Gesandter, an Vladimir's Hof und verlangt die Nichte des Fürsten zur Frau. Die weigert sich, denn sie hat das Geschlecht des Gesandten durchschaut. Vladimir stellt nun Proben an: er beobachtet die Eindrücke, die der Gesandte in seinem Bett hinterlassen hat; er lässt ihn ritterliche Künste zeigen; schliesslich soll er mit ihm baden. Als alle diese Proben bestanden sind, muss Zabava, die Nichte, ihn heirathen. Beim Hochzeitsmahle bittet der Gesandte, man solle Stavr Gusti spielen lassen. Stavr wird geholt und der Gesandte, fragt ob er sich seiner nicht erinnere. Als Stavr es verneint,[564] bittet der Fremde, Vladimir möchte Stavr mit ihm ziehen lassen: er wolle ihm sein Gefolge zeigen. Als die beiden allein sind, zieht der Gesandte Frauenkleider an und giebt sich Stavr zu erkennen. Er erzählt nun seiner Frau, weshalb er gefangen gehalten worden sei, sie verkleidet sich noch einmal, geht mit ihm an den Hof zurück und fragt Vladimir, warum er Stavr habe einsperren lassen. Als er ihr den Grund sagt, fragt sie ihn was er sich dabei gedacht habe, als er seine Tochter (Nichte) an Stavr's Gemahlin verheirathete. Da erkennt Vladimir beschämt, dass Stavr's Prahlerei nicht leer gewesen sei. – Schliesslich gehört hierher das der Sušil'schen Sammlung entnommene mährische Lied bei Wenzig S. 228, wo die jüngste von drei Töchtern für den Vater als Husar in den Krieg zieht, die Feinde schlägt, die Tochter des Kaisers heirathen soll, sich zu erkennen giebt und des Kaisers einzigen Sohn zum Lohn erhält. – Die Erzählungen von Menschen mit wunderbaren Eigenschaften, zu denen der zweite Theil unseres Märchens, eine, wenn auch etwas magere, Variante liefert, sind im slavischen Märchenschatze reichlich vertreten. Ich muss mich hier darauf beschränken, einige Märchen anzuführen, in denen vom Wettlauf die Rede ist. So gehört hierher, Chud. I, 38, S. 119: Die Königstochter läuft nach Wasser an einen Brunnen, wer sie überholt, bekommt sie zur Frau, der Besiegte verliert den Kopf. Die Gefährten sind Dubynja, der Eichen ausreisst (v. dub, Eiche) ein Schütze, der auf die Stirn einer meilenweit entfernten Fliege zielt, einer, der seinen Kopf verbunden hat, weil sonst seine Haare Frost erzeugen, einer sitzt auf einem Baum hält sich das eine Nasenloch zu und treibt mit dem andern eine 1000 Verst entfernte Windmühle, einer, der das Gras wachsen hört und ein Läufer, (der aber anfangs gar nicht erwähnt wird und erst beim Wettlauf auftritt), Trudy I, 69, S. 268, sollen die Wettlaufenden, Wasser von einem drei Verst entfernten Brunnen holen, der kunstreichen Gesellen sind neun, ein Musikant, ein Läufer, ein Fernseher, einer, der bewirken kann, dass Schnee fällt, einer, der Hitze unfühlbar macht, ein Scharfschütz, einer, der Berge umwälzt (Верныгора), einer, der Bäume ausreisst (Верныдубъ) und einer der Gewässer austrocknen kann (Вернывода). Rad. I, S. 215, will ein Schuster (die dem deutschen Schneider entsprechende čechisch-mährische Märchenfigur) mit einer Königstochter um die Wette laufen. Die Aufgabe ist, aus einer entfernten Stadt, in einer Flasche, Wein zu holen, der Preis, soviel Geld, als der Sieger fortragen kann, die Gehülfen, ein Riese (ohr), ein Bläser (mleč, Mahlgast), der eine Mühle in Gang setzt, ein Scharfschütz, ein Horcher und ein Läufer. Valj. 33, S. 214, erhält die Königstochter, sowie der Läufer, je einen Becher; wer denselben zuerst an einem Brunnen füllt, ist Sieger. Der Preis ist die Königstochter, Gehülfen sind vier, ein Läufer (der ein Bein abgeschraubt hat, um nicht zu schnell zu laufen, ein Bläser (bewegt sieben Windmühlen), ein Scharfschütz, (Jäger, jager) und ein Starker (gorostas). Zum Schluss führe ich noch Vuk. 24, S. 103 an, in dem die Gehülfen fehlen; der Wettlauf geht vor sich zwischen einem wunderbaren (von den Vilen aus Schnee gebildeten und vom Winde belebten) Mädchen und den Bewerbern zu Pferde. An die Hindernisse,[565] die im litauischen Märchen dem Läufer des Königs bereitet werden, erinnert der Wald, den die Jungfrau, durch ein ausgerissenes und hinter sich geworfenes Haar, entstehen lässt und die reissenden Ströme, die aus einer Thräne entstehen, die sie vergiesst. Ein Königssohn, der ihr schliesslich allein folgt, schwimmt ihr mit dem Pferd nach und beschwört sie dreimal im Namen Gottes, stehen zu bleiben. Sie gehorcht und wird von ihm hinter sich aufs Pferd gesetzt, entkommt ihm aber später.

Quelle:
Leskien, August/Brugman, K.: Litauische Volkslieder und Märchen. Straßburg: Karl J. Trübner, 1882, S. 562-566.
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