[501] 1043. Das Kreuz in der Kreuzkapelle zu Grevenmacher.

Die östlich von Grevenmacher auf einer Anhöhe gelegene Kreuzkapelle wurde vor mehr als hundert Jahren erbaut und soll, der Sage nach, die Veranlassung der Errichtung derselben folgende gewesen sein.

Das noch heute auf dem Hauptaltar der Kapelle befindliche Kreuz ist aus Stein, fast zwei Meter hoch, hat Balken, die bis zwei Dezimeter im Gevierte haben, und trägt ein Christusbild in natürlicher Größe. Dieses Kreuz kam einst trotz seiner großen Schwere die Mosel stromabwärts geschwommen. Staunend lief alles Volk an das Moselufer und sah sich das Wunder an. Wie staunte man aber erst, als das Kreuz, gegenüber der Pfarrkirche angelangt, stehen blieb und zwar aufrecht, mit einem Arm auf den östlich von der Stadt gelegenen Berg hinzeigend. Dies alles schien den Zuschauern von wundervoller Bedeutung, und man beschloß, das Kreuz ans Ufer zu schaffen und in feierlicher Prozession in die Pfarrkirche zu tragen.[501] Aber dasselbe fortzuschaffen, war unmöglich, und niemand wußte Rat. Da trat ein Mann, der frömmste der Gemeinde, hervor und bot sich an, das schwere Kreuz allein zur Kirche zu tragen. Er lud es auf, und zur größten Verwunderung aller Anwesenden trug er es mit sichtlicher Leichtigkeit in die Kirche. Unter feierlichen Gesängen und frommen Gebeten stellte man es neben dem Altar auf. Aber sieh! am folgenden Morgen stand es hinter der Türe, mit dem Arme wieder nach dem Berge zeigend. Dies wiederholte sich während mehreren Tagen, und man deutete es dahin, das Kreuz wolle auf dem Berg errichtet sein. Nachdem man es feierlich dort hinaufgetragen und aufgepflanzt hatte, beschloß man sofort den Bau einer Kapelle zur Aufnahme des geheimnisvollen Kreuzes. Nach einigen Monaten stand schon die Kapelle da, von den Einwohnern der Stadt an Sonn- und freien Arbeitstagen unentgeltlich erbaut. Sie erhielt den Namen Kreuzkapelle, und der ganze Berg wurde seither Kreuzerberg genannt. Alljährlich strömten zahlreiche Pilger dorthin zur Verehrung des Kreuzes; in den letzten fünfundzwanzig Jahren jedoch hat diese Wallfahrt bedeutend abgenommen, und nur mehr an den Feiertagen der Fastenzeit kommen Fremde, um auf dem Kreuzerberg zu beten.


Lehrer Wagner zu Grevenmacher

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 501-502.
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