[103] 247. Der Sterchesgêscht zu Luxemburg.

[103] A. An der Triertorschleuse, welche gemeinhin Sterchen (Sternchen) genannt wird, ging sonst nächtlich ein furchtbares Gespenst um. Dasselbe hatte es besonders auf Betrunkene abgesehen, weil, sagt man, der Geist bei Lebzeiten selbst dem Trunke ergeben war. Er setzte sich gewöhnlich dem Trunkenen auf den Nacken, warf ihn zu Boden und prügelte ihn durch, verwandelte sich in einen Stier, in einen Wolf, in einen Hund, in eine Katze, in einen Hasen, in ein Ferkel usw.; ja, man will ihn sogar einst als leeres Faß gesehen haben.

Einem Betrunkenen gab der Geist einmal ein Ferkel, nachdem er denselben durchgeprügelt hatte. Als der Beschenkte aber das Tier besehen wollte, fand er ein Aas.


B. Im Neuenweg, hinter der Schloßbrücke, hauste in einem Felsen der Sterchesgêscht, der vielen Leuten eine höllische Angst einjagte. Einst erschien er einem Manne, ungeheuer groß, mit einer Keule in der Hand. Entsetzt floh der Mann nach Hause, doch hielt es ihm sein ganzes Leben nach.

Bei Festlichkeiten in der Stadt sprang der Geist mitten zwischen die Kutschenpferde, so daß diese sich bäumten und manch Unheil in den Straßen anrichteten.


C. Der Sterchesgêscht hielt in Gestalt eines Riesen die Glocken in der Münsterkirche an, wenn die Münsterherren läuten wollten.

Er legte sich vom Trierer Tor bis auf die Brücke auf den Boden, so daß die Leute nicht in ihre Häuser kamen.

Ein Mann von der Rham ging einst abends an die Alzet, um Wasser zu schöpfen. Da sah er ein Faß heranschwimmen, welches er mit seinem Eimer heranzuziehen suchte. Jetzt, er will es schon greifen, fühlt er sich plötzlich von den ungeheuer langen Armen des Sterchesgêschtes ergriffen, der ihn auf einen Vorsprung des gegenüberliegenden Felsens (Bock) setzt, wo der Unglückliche sich die ganze Nacht ruhig zu verhalten gezwungen ist; denn die geringste Bewegung hätte ihn von der Höhe hinabgestürzt. Erst am anderen Morgen gelang es, vermittelst Stricken den Mann aus seiner mißlichen Lage zu befreien.

Weiter kam der Sterchesgêscht in Gestalt eines Ferkels, das abends auf dem Sterchen umherlief, ohne daß jemand seiner habhaft werden konnte. Da stellten sich die Leute so auf, daß das Ferkel nicht entweichen konnte. Es gelang auch jemand, dasselbe mit der Schürze zu erhaschen. Als er aber mit dem vermeintlichen Ferkel nach Hause kam, fand er in der Schürze einen Haufen Pferdemist.


D. Drei Weibern erschien einst der Sterchesgêscht in Gestalt eines grauen Katers auf der Pfaffenthaler Brücke. Das eine der Weiber zog schnell[104] einen Schuh vom Fuß und warf damit nach dem Kater. Der Schuh fiel in die Alzet, morgens aber fand man denselben beim Stadttor wieder.

Ein andermal hatte sich der Geist in Gestalt eines schwarzen Hundes quer über dieselbe Brücke gelegt; er war so lang, daß der Kopf des Untieres die eine Seitenmauer berührte, während sein Schwanz bis zur anderen reichte. Ein Taglöhner, namens Lechner, der gegen Mitternacht von der Arbeit heimkehrte, sah das Ungetüm ihm den Weg versperren. Große Angst befiel den Arbeiter, doch faßte er Mut und setzte über die weniger gefährliche Stelle, nämlich über den Schwanz des Tieres, mit einem Satz hinüber. Allein kaum war er über den Hund hinweg und im schnellen Laufe nach Hause begriffen, als er über seiner rechten Schulter, dicht neben seinem Kopfe, die Schnauze des Ungeheuers erblickte. Halbtot vor Angst entsprang Lechner in das erste beste Haus, wo er in einer Spinnstube noch Licht bemerkte. Aber auch dorthin begleitete ihn das Untier, die Schnauze immer dicht an des Arbeiters Kopf.

In Gestalt eines Ferkels ging der Geist einst am Ufer der Alzet um. Eine Obsthändlerin, die krumme Antoinette, fing das Tier ein und tat es in ihre Schürze. Zu Hause angekommen, hieß sie ihre Schwester die Tür schließen und öffnete die Schürze, da fand sich in derselben statt des Ferkels nichts als Pferdekot vor.


Anonymes Manuskript der archäologischen Gesellschaft

Quelle:
Gredt, Nikolaus: Sagenschatz des Luxemburger Landes 1. Neudruck Esch-Alzette: Kremer-Muller & Cie, 1963, S. 103-105.
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