104. Die Götter verlassen die Stadt Belgis.

[157] Vaernewyck, Historie van Belgis. II, Fol. 51.


Im Jahre der Welt 5132 kuren die Belgier Geomer zu einem Könige, und dieser sandte auf Anrathen der Stadt 25000 fechtkräftiger Mannen an den Rhein, um dort den Uebergang der Sassen zu verhüten. In diesen Zeiten gingen die Trierer, Tungrer, Menapier, Rhetier und andere über und folgten den Hercinern. Als der König solches vernahm, achtete er es geringe, wenn sie nur den jährlichen Tribut an Belgis zahlten. Die Fürsten und Herzoge riethen, sie darzu zu zwingen; aber die Priester riethen das Gegentheil, welches dem Könige besser behagte. Darum drangen die Herren am Abende der Diana in das Zelt des Königes, der mit der Gemeinde unter dem blauen Himmel in Zelten wohnte, und schlugen ihn mit seinen Kindern todt, und kuren am andern Tage Taynard zum Könige. Der oberste Priester und die Seinen wahrten in der Nacht den Tempel von Bel (?), und als sie von dem Vorgefallenen hörten, schlossen sie die Burg, die Wolfspforte und das Castellthor. Da befocht der neue König das Schloß und ließ es ersteigen, und die Priester alle tödten, ausgenommen den Oberpriester; diesem wollte die Gemeinde das Leben bewahren, um Antwort von den Göttern empfangen zu können. Da richtete der Oberpriester Fragen an die Götter über das, was geschehen sollte, und Bel antwortete: Alle Götter verfluchten Belgis und es würde untergehen und seine Feinde würden des Unterganges sich freuen. Der eine sprach: »Die Weisheit von Belgis soll in Dunkelheit sich wandeln und die Freude in Druck.« Der andere sprach: »Belgis soll werden gleich einem Felde, man wird es ackern, seine Thürme werden fallen[158] und seine Fundamente entwurzelt werden«, und so sprach jeder das Seine. Als die Antwort der Götter dem Könige hinterbracht wurde, rief das Volk: »Schlagt den falschen Propheten todt!« Da hätten sie gerne zehn Herzöge gerettet, welche Räther des verstorbenen Königes waren; aber sie konnten es nicht. Der Priester wurde in acht Stücke geschnitten und in jeden Tempel eins gesandt, den Göttern zum Trotze, weil sie die Stadt verlassen hatten.

In dieser Zeit gab es viele innere Streitigkeiten. Die zehn Herzöge versahen sich mit Volk in ihren Burgen und befestigten sie; und als der König sie in einer Nacht angriff, glaubend, sie wären nicht auf ihrer Hut, da wehrten sie sich so muthig, daß binnen drei Tagen von beiden Seiten fünfzehntausend blieben. Der dritte Theil der Stadt ging in Feuer unter. Die Herzöge entkamen jedoch und zogen in die nächsten Städte, wo ein jeglicher sich als König aufwarf. Als der König dieß vernahm, sandte er zum Tempel des Mars, um dort ein Orakel zu holen, aber Mars gab keine Antwort. Darob erzürnte der König und suchte Mittel, die Stadt und den Tempel mit den Priestern zu verbrennen und den Tempelschatz zu rauben. Das wurden die Priester gewahr und begaben sich mit ihrem Gotte und ihrem Schatze unter den Schutz der Nervier, und bauten daselbst einen Tempel, welcher noch Tempel des Mars heißt (famars? Disburg?), und dieß ist nun ein Flecken zwischen Dornik und Ryssel. Der König nahm die Stadt und den Tempel von Mars ein, und dieser wurde verbrannt, aber die Priester, welche noch zeitig genug geflüchtet waren, entkamen. Da wollte der König dafür Rache an den Nerviern suchen; diese verbanden sich aber mit ihren Nachbarn, um dem Könige Widerstand zu leisten.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 157-159.
Lizenz:
Kategorien: