[173] 117. Der Ritter mit dem Schwan.

Historie van de wonderlyke Avonturen van den Ridder met de Zwaen, genaemt Helias. Gent, van Pamele. Antwerpen, J. Thys.


In dem Königreiche Lillefort, welches in Flandern lag, lebte vor alten Zeiten ein König, der war Pirion geheißen und hatte ein böses Weib zur Frau, und das hieß Matabruna. Diese schenkte ihm einen Sohn, den er Oriant nannte, und der wurde nach des Vaters Tode zum Könige von Lillefort gekrönt.

Es geschah aber zu einer Zeit, daß König Oriant mit seinen Herren zur Jagd ritt und daselbst einen Hirsch sah. Diesen verfolgte er lange; zuletzt kam der Hirsch an einen Bach und sprang da hinein, und war also frei vor dem Könige. Als Oriant dieß sah, kehrte er um und kam an eine Quelle, wo er von seinem Pferde stieg und unter einem Baume saß, um auszuruhen. Indem er nun da saß, kam eine schöne und edle Magd mit vier Dienerinnen und einem Ritter und zwei Knechten, und die sprach zu Oriant, der seine Hunde bei sich hatte: »Herr, warum jaget ihr in meiner Herrlichkeit und wer hat euch Urlaub dazu gegeben? Ich habe wohl gesehen,[173] wie der Hirsch, den ihr verfolgtet, euch entging und ins Wasser sprang. Hättet ihr ihn aber auch gefangen, er wäre nicht euer gewesen, und ich will, daß ihr euch von hier entfernet.«

Als Herr Oriant die schöne Beatrix so weislich sprechen hörte, gedachte er, sie zu seiner Frau zu nehmen, und sprach sanfter Weise: »Schöne Jungfrau, ich thäte nicht gerne wider euren Willen; aber ich mag hier wohl jagen, denn ich bin Oriant, König von Lillefort, und alles hier herum ist mir zu Dienst verpflichtet.« Als der Ritter Samari solche Rede hörte, sprang er von seinem Pferde, fiel auf die Kniee nieder und grüßte den König und sprach: »Herr König, vergebet meiner Herrin, was sie gegen euch gefehlt, denn sie kannte euch nicht und sieht nun ihren Fehler wohl ein.« – »Es ist schon vergeben«, antwortete der König, »aber sie muß es büßen.« Und darauf wendete er sich zu ihr und sprach: »Schöne Jungfrau, wollet ihr meine Braut sein, so will ich euch krönen als Königin von Lillefort.« Und als er das beschworen hatte und mit Eiden befestigt, da führte er die schöne Beatrix mit sich nach seinem Pallast, und daselbst wurde die Heirath mit großer Pracht und Freude gefeiert.

Als Matabruna davon gehört hatte, daß Oriant die fremde Jungfrau, die er auf der Jagd angetroffen, zur Frau nehmen wollte, da ging sie zu ihm hin mit grimmem Muthe. Oriant aber lachte, als er sie kommen sah, und sprach: »Freuet euch, denn ich habe die schönste Frau gefunden, die je auf Erden lebte!« Matabruna antwortete erzürnt: »Lieber Sohn, ihr macht mir großen Verdruß, daß ihr, der ihr die mächtigste Frau der Welt zur Ehe haben könntet, ein einfaches Mädchen heirathet.« Aber Oriant bestand darauf, und die böse Mutter schien auch zufrieden, wiewohl sie im Herzen viel Arges gegen Beatrix sann.[174]

Als Oriant nun schon eine Zeitlang sich der Liebe der schönen Beatrix erfreut hatte, wurde diese schwanger. Zur selben Zeit fiel der Feind in das Land Lillefort ein, und der König mußte mit seinen Rittern zu Felde ziehen. Er ließ darum seine Mutter rufen und befahl der die schöne Beatrix an, daß sie Sorge für dieselbe trüge, welches sie auch gelobte, und dann nahm er mit vielen Thränen von seinem Gemahel Abschied.

Kaum aber war der König fort, als Matabruna schon begann, ihre bösen Rathschläge ins Werk zu setzen. Sie ließ die Wehmutter rufen und sich von der schwören, nichts zu sagen von dem, was sie ihr mittheilen wolle. Und als die Wehmutter solches gethan hatte, da sprach sie: »Ihr wißt wohl, welch ein Schade dem Lande durch meines Sohnes Heirath erwachsen ist, darum möchte ich ihn seiner Frau abwendig machen, welches sehr wohl geht, da diese jetzt schwanger ist.« Darauf antwortete die Wehmutter: »Dünkt es euch gut, so will ich das Kind tödten.« – »Das ist mir nicht genug«, entgegnete Matabruna, »Beatrix ist sehr dick, darum wird sie wohl Zwillinge gebären, und ihr sollet dieselben weg thun und ihr zwei junge Hunde dafür zeigen. Ich will alsdann die Kinder einem geben, der sie fortbringen soll, daß man nichts mehr von ihnen hört.« Deß war die Wehmutter zufrieden und versprach, also zu thun.

Als die Zeit nun erfüllt war, daß Beatrix gebären sollte, da hielten die argen Weiber zwei junge Hunde bereit. Statt der zwei Kinder, welche sie erwartet hatten, gebar Beatrix auf einmal sieben, sechs Söhne und eine Tochter, und die trugen alle silberne Ketten um den Hals zum Beweise der Edelheit der Mutter. Das störte Matabruna jedoch nicht; sie nahm vielmehr, wie sie früher schon abgesprochen, sieben junge Hunde und ließ diese an die Stelle der Kinder legen, und die Wehmutter schrie[175] mit lauter Stimme: »O Königin, was ist mit euch geschehen! Ihr habt sieben junge Hunde geboren!« Da kam auch Matabruna zugelaufen und that sehr erschrocken und sprach: »Thuet die Thiere weg und begrabet sie, damit der König in seiner Ehre bleibe und daß keiner davon spreche.« Beatrix lag während dem ganz schwach da und ohne Sinnen; als sie aber wieder aufwachte, da trat Matabruna zu ihr und verwies ihr mit harten Worten, daß sie die sieben Hunde geboren habe. Und als Beatrix dieselben sehen wollte, brachte man sie ihr, und sie war aus ganzem Herzen betrübt, weil sie glaubte, daß nun der König ihr seine Liebe entziehen und sie tödten würde. Die Wehmutter tröstete sie mit heuchlerischen Worten und sprach, der König solle nichts davon wissen; doch Beatrix ließ sich nicht trösten und meinte sterben zu müssen vor Jammer und Leid.

Matabruna rief inzwischen ihren Diener zu sich, welcher Markus hieß, und sprach: »Freund, ihr sollt mir einen Dienst thun, aber ihr müsset das heimlich halten. Die Königin hat sechs Söhne und eine Tochter geboren, und die tragen alle silberne Ketten um ihren Hals zum Zeichen, daß sie dereinst große Diebe und Mörder werden. Darum muß man sie tödten, damit sie dem König später keine Schande bringen, und das sollet ihr nun thun, denn die Königin meint, sie habe sieben junge Hunde geboren.« Markus versprach, ihren Willen zu vollziehen, nahm die sieben Kinder in seinen Mantel, saß zu Pferde und ritt in den Wald. Dort stieg er ab von dem Pferde und legte die Kinder auf den Mantel. Als er aber sah, wie sie so schön waren, durchdrang ihn inniges Mitleiden und er beschloß, sie leben zu lassen, und umarmte und küßte sie mit vielen Thränen und ritt wieder gen Lillefort, wo er Matabrunen sagte, er habe die Kinder getödtet, und diese war gar[176] froh darüber und beschloß nun, auch an dem Tod der Frau Beatrix zu wirken.

Als die Kinder nun jämmerlich weinend in dem Walde lagen, da hörte das ein alter Mann, der nahebei wohnte, und als der zu ihnen kam und sie so verlassen da liegen sah, da sprangen ihm die hellen Thränen aus den Augen, und er wickelte sie in seinen Mantel und nahm sie mit in seine Hütte. Daselbst angekommen, wollte er sie wärmen und speisen nach seiner Macht, aber das war nicht nöthig, denn Gott sandte eine weiße Geiß in die Hütte, welche sich mit ihren Zitzen zu den Kindern wandte und sie daran saugen ließ, und das dauerte also lange, bis die Kinder groß waren und mit der Geiß in den Busch liefen. Da machte ihnen Helias Kleider von Blättern und zog ihnen diese an, damit sie ihre Scham bedeckten.

König Oriant hatte inzwischen all seine Feinde besiegt und zog nach Hause, denn er trug großes Verlangen, zu wissen, wie es mit seiner lieben Frau stände. Als Matabruna hörte, daß er kommen werde, eilte sie ihm entgegen, und als sie bei ihm war, da begann sie zu weinen und sprach: »Ach lieber Sohn, ich bin gar froh, daß ihr wieder hier seid, aber mein Herz ist voll Druck über eure Frau.« Darob erschrak der König zum höchsten und fragte, was ihr denn begegnet, ob Beatrix todt sei, und anderes, und Matabruna erwiederte: »Nein, sie ist nicht todt, aber der Vorfall mit ihr ist so schändlich, daß ich es nicht sagen mag.« Da drang der König in sie und wollte es wissen, und Matabruna erzählte, daß Beatrix sieben junger Hunde genesen wäre, und nahm die Wehmutter zur Zeugin. Das betrübte Oriant über die Maßen, und er ging mit einem Ritter allein in eine Kammer und weinte bitterlich, bis er von all dem Kummer und Leid abgemattet in Schlaf fiel. Und die edle Frau[177] Beatrix war in einer andern Kammer und nicht minder betrübt; und es kam ein Schildknappe zu ihr und sagte ihr, wie der König gekommen sei und Matabruna ihm alles gesagt habe.

Am andern Tage versammelte König Oriant seinen Rath, Geistliche und Weltliche, und er sprach: »Ich habe euch hierhin kommen lassen, um zu wissen, was ich mit meiner Königin thun soll«; und alsdann trug er allen die ganze Sache vor. Da erhob sich ein weiser Mann und wandte sich zum Könige mit diesen Worten: »Herr König! Auf euren Wunsch will ich euch im Namen all dieser Herren antworten und euch sagen, was uns gut dünkt. Ihr sollet die Königin nicht tödten, sondern sie bewahren an einem ehrlichen Orte und Gott das Gericht überlassen. Der wird die Wahrheit offenbar machen.« Dieser Rath tröstete den König gar sehr, denn er liebte Beatrix aus ganzem Herzen; und er befolgte ihn auch, obgleich ein böser Ritter noch aufgestanden war und auf die Verbrennung der Königin angetragen hatte. Und Beatrix wurde von zwei Rittern in eine Kammer geführt und daselbst ehrlich bedient.

Der alte Mann trug noch immer treue Sorge für die Kinder; vor allem gefiel ihm einer von den Knaben, den er auch nach seinem Namen Helias nannte. Es geschah aber zu einer Zeit, daß ein Jäger Matabruna's, der Savari hieß, in den Wald kam und die Kinder mit ihren silbernen Ketten um den Hals fand, als sie gerade Aepfel zu ihrem Brote aßen. Und der Jäger fand groß Gefallen an den Kindern und folgte ihnen in die Hütte, um zu wissen, wer sie wären. Als der alte Mann den Jäger sah, fürchtete er, den Kindern möge ein Leides geschehen, aber der Jäger sprach, da habe er nicht daran gedacht, und da erzählte ihm der alte Mann, wie er die Kinder gefunden und aufgezogen habe.[178]

Darob war der Jäger höchlich erstaunt, und als er nach Hause kam, erzählte er Matabrunen alles. Diese böse Frau erkannte alsbald, daß das die Kinder Oriants waren, darum befahl sie dem Jäger und drohte ihm, wenn er die Kinder nicht alsbald tödten werde, dann wolle sie ihn selber tödten. Erschrocken sprach der Jäger, er wolle es thun, worauf Matabruna wieder ruhig wurde und nun zu dem ging, der die Kinder in den Wald getragen hatte, und dem ließ sie beide Augen ausstechen.

Der Jäger Savari nahm noch sieben Männer zu sich und zog mit ihnen aus, um die Kinder zu tödten. Auf dem Wege kamen sie in ein Dorf, wo eine große Menge Volkes versammelt war. Da fragte der Jäger, was das zu bedeuten habe, und er bekam die Antwort, es werde eben eine Frau verbrannt, weil sie ihr Kind ermordet hätte. Das ging Savari zu Herzen und er sprach zu seinen Gesellen: »Sehet da einen Spiegel für uns; diese Frau wird verbrannt, weil sie ein Kind getödtet, und wir sollen sieben tödten.« Und die andern sprachen: »Nein, wir wollen sie nicht tödten, sondern ihnen nur ihre Ketten abthun und diese zu Matabruna bringen, als ein Zeichen des Todes der Kinder.« Alsdann gingen sie in den Wald und kamen an die Hütte, aber da fanden sie nur sechs Kinder, denn der alte Mann hatte das siebente mit sich in das Dorf genommen, um Brot zu holen, und die Kinder schrieen jämmerlich vor Furcht und Angst. Da sprach aber Savari: »Seid stille, liebe Kinder, wir wollen euch nichts zu Leide thun«, und er nahm ihnen die Ketten von dem Halse; aber das war kaum geschehen, als die Kinder in weiße Schwäne verwandelt wurden und in die Luft flogen und wunderbar wehmüthig riefen und schrieen. Darob erschrak Savari mit seinen Gesellen dermaßen, daß sie in Ohnmacht fielen, und als sie sich wieder erholten, bebten sie noch vor[179] Schrecken und sprachen: »Laßt uns schnell von hier gehen, denn wir haben schon zu lange verzogen; die sechs Ketten wollen wir Matabruna bringen und sagen, wir hätten die siebente verloren.«

Als sie aber Matabrunen nur sechs Ketten brachten, wurde diese gar zornig und war auch nicht eher zu frieden, als bis sie sich erboten, ihr den Werth der siebenten zu bezahlen, welches sie auch thaten. Dann sandte das arge Weib die Ketten zu einem Goldschmiede, damit der einen Pokal daraus mache. Als der Goldschmied eine Kette ins Feuer gelegt hatte, um zu probiren, ob es gut Silber wäre, wurde sie so schwer, daß sie mehr wog, als alle die andern Ketten zusammen. Darum gab er die übrigen seiner Frau in Verwahr und machte aus der einen zwei silberne Becher, und brachte einen Matabrunen und hielt den andern für sich.

Inzwischen war der alte Mann mit Helias nach Hause gekommen, und sie hatten die sechs Kinder gesucht und konnten sie nicht finden. Am andern Morgen kam Helias an den Weiher, wo sie als Schwäne schwammen, und er verwunderte sich sehr, daß die Schwäne auf ihn zukamen, und gab ihnen Brot, und sie fraßen das und ließen sich von ihm streicheln. Und also that er alle Tage fortan, und kam nicht in den Busch, ohne an den Weiher zu gehen.

Gott erhörte aber das Gebet der armen Mutter Beatrix und ließ dem alten Manne verkünden, daß die sechs Knaben und das Mädchen König Oriants Kinder wären, und auch, wie sechs der Kinder verwandelt worden. Da rief der Mann alsbald Helias zu sich und erzählte ihm alles, und Helias nahm Urlaub von ihm, und befahl ihm, der Schwäne nur sorglich zu pflegen; dann ging er zu dem Könige, gekleidet in Blätter, mit bloßen Füßen und barhaupts und einen Stock in der[180] Hand tragend, um seiner lieben Mutter Recht und Unschuld zu vertheidigen.

Die Feinde der unglückseligen Beatrix hatten dem Könige inzwischen zugeredet, daß er ein Urtheil über sie fällen und sie hinrichten lassen solle. Und eines Tages wurde Beatrix aus ihrem Gefängnisse geholt und vor Oriant geführt, damit sie sich in seiner Gegenwart vertheidigen könne; denn ein falscher Ritter hatte auf Matabrunens Anstiften neue Klagen gegen sie erhoben. Als Beatrix nun in den Saal kam, da grüßte sie den König demüthig und fiel auf ihre Kniee und bat so flehentlich um Gnade, daß ein jeder, und besonders der König, tiefes Mitleiden mit ihr trug. Da fragte Oriant den falschen Ritter, weß er sie beschuldige, und der Ritter sprach, sie habe ihm Gift geben wollen, um damit den König und Matabruna zu tödten. Da erhob sich der König und sprach: »Frau, ihr werdet hier schwer beschuldigt; was sagt ihr dazu? Sprecht die Wahrheit, und seid ihr schuldig, ihr sollt eines schandvollen Todes sterben, wenn niemand euer Recht schirmt.« Beatrix fiel aber auf ihre Kniee nieder und sprach: »Lieber Herr, ich weiß, daß ich niemand finde, der solches thut; jedoch schwöre ich euch und all den Herren, daß ich solches nie gedacht habe, so wahr wie Gott allmächtig ist; ich überlasse dem auch die Rache über meine Feinde.«

Wie nun das Todesurtheil gesprochen werden sollte, kam eben der junge Helias mit seinem Stocke in des Königes Hof, und ein Mann trat ihm entgegen und fragte ihn, was er wolle. »Ich suche den falschen Ritter Markus«, sprach Helias. »Das bin ich«, antwortete der Mann spottend, und Helias erhob seinen Stock und schlug ihn todt. Da kam ein anderer Diener und wollte ihn fassen, aber Helias wehrte sich und rief: »Lasset mich, denn ich ruhe nicht, bis ich den falschen Ritter[181] Markus getödtet, der meine Mutter mit Unrecht beschuldigt.« Als das einer der Knechte hörte, flüsterte er Helias zu, daß Markus eben im Saale sei und Beatrix um vieles anklage, daß man solches aber nicht von der Königin glaube, weil sie eine gar liebe Frau sei. Und als Helias den Mann so sprechen hörte, umarmte er ihn, und der Knecht führte ihn in den Saal, wo manch bedrücktes Herz um Beatrix seufzte. Und Helias trat in dem Saale vor den König, der ihn alsbald fragte, was er suche. »Ich suche Markus«, sprach Helias. Da wies man ihm den falschen Ritter und er sprang auf denselben zu und rief: »Du falscher Verräther, ich fordere dich zum Kampfe und du sollst es mit mir zu thun haben«; und mit den Worten gab er ihm einen solchen Schlag mit der Faust, daß Markus zur Erde stürzte, und Helias hätte ihm den Hals abgeschnitten, wären nicht die anderen Ritter hinzugeeilt und hätten die beiden getrennt. Und als der König das sah, sprach er zu Helias: »Wer macht dich so kühn in meiner Gegenwart?« Darauf antwortete der Jüngling: »Herr, ich bin hierhin gekommen, um euch die Wahrheit zu sagen von allem, was vorgegangen ist.« – »Thue das«, antwortete der König, und Helias fuhr fort: »Meine liebe Mutter, nun höret auf, zu jammern und zu weinen, denn ich will euch wieder zu Freuden helfen.« Als der König diese Worte hörte, war er sehr erstaunt; und Helias wandte sich nun auch zu ihm und sprach: »Herr, ihr sollet wissen, daß es einzig eure Mutter Matabruna ist, die meiner Mutter so großes Leid angethan.« Und alsdann erzählte er dem Könige alles von Anfang bis zu Ende, und erbot sich auch, als Gefangener am Hofe zu bleiben, bis die Wahrheit davon durch Zeugen bekräftigt sein würde. Da verwunderte sich der König noch mehr und fragte Beatrix: »Sagt mir, was denket ihr[182] davon?« Und Beatrix antwortete: »Herr, davon weiß ich nichts; denn als ich gebar, war ich voll Pein und wußte von nichts. Hat eure Mutter wohl oder übel gethan, das wird sich finden; ich gebe es in Gottes und dieses Jünglings Hände, für meine Ehre zu streiten, und bitte euch, ihm zu geben, was er zum Kampfe nöthig hat.«

Darnach wurde die Königin in eine schöne Kammer geführt und der König begab sich zu seiner Mutter Matabruna, der er alles erzählte. Sie veränderte ihre Farbe, als sie das hörte, meinte jedoch ihre Falschheit noch mit glatten Worten bedecken zu können; aber der König achtete nicht darauf und ging weg und gebot, Markus gefangen zu nehmen. Dann ließ er noch einen schönen Harnisch für Helias machen und zog darauf, wie zur Jagd, ging aber heimlich in den Wald zu dem alten Manne, um von diesem die Wahrheit der Aussagen des Jünglings zu hören. Der alte Mann erzählte ihm alles auf dieselbe Weise, und der König war sehr betrübt um des Unrechtes willen, welches er Beatrix angethan hatte.

Als er nun wieder nach Hause kam, setzte er die Königin auf der Stelle in Freiheit und ließ Matabruna dafür gefangen setzen und sie von vier Dienern bewachen. Dann ließ er Markus vor sich bringen, damit derselbe gegen Helias kämpfe; und Markus war gar bangen Muthes, als er in die Schranken ritt; doch wollte er das nicht blicken lassen und schrie Helias mit lauter Stimme zu: »Komm nur her, du thörichter Jüngling; es wird sich schon ausweisen, was du gegen mich vermagst.« Helias antwortete: »O, du falscher Verräther, ich bin froh, daß ich gegen dich streiten kann, um meine Mutter zu rächen und deren Ehre zu schirmen!« Und damit ritten sie gegen einander los und Helias stieß den falschen Ritter nebst seinem Pferde zu Boden, worüber[183] derselbe höchlich erstaunt war und sprach: »Ach, Jüngling, willst du dich also zeigen, dann sollst du die Kraft meines Armes fühlen.« Darauf entgegnete Helias: »Kommt nur wacker heran, ich fürchte euch nicht.« Wie nun Helias seine Lanze in etwa senkte, meinte Markus, ihn verrätherisch fassen zu können und verwundete ihn an einer Stelle, wo er nicht bedeckt war, so daß Blut floß. Das ganze Volk erschrak ob dieses Stiches, aber Gott verließ Helias nicht. Als der sein Blut fließen sah, wurde er vielmehr noch muthiger und rief Markus zu: »O, du falscher Verräther, war es dir nicht genug, meine Mutter zu verrathen? Willst du mich auch noch verrathen? Ich will's dir aber lohnen mit Gottes Hülfe!« Da ritten sie zum andern Male gegen einander und Helias stach ihm den Helm vom Haupte, nahm dann sein Schwert und schlug ihn so, daß er kein Glied mehr rühren mochte, und hieb ihm darauf den rechten Arm ab. Als der Verräther sich also überwunden sah, übergab er sich in Helias Hände und sprach: »O, Jüngling, du hast mich überwunden, ich übergebe mich, sage mir, wer du bist.« Da sagte Helias: »Ich bin König Oriants und der getreuen Königin Beatrix Sohn und muß euch todt sehen, ehe ich die Schranken verlasse.« Darauf entgegnete Markus: »Laß mich leben und nimm mich gefangen, damit ich alles bekenne und den Goldschmied holen lasse, der die Ketten hat.« Während er noch so sprach, kamen die Kampfrichter und erkannten Helias den Sieg zu. Der aber befahl ihnen, zur Stunde König Oriant rufen zu lassen und Beatrix und alle Herren, und als das geschehen war, da erzählte Markus alles, wie es sich zugetragen hatte, und als er geendet hatte, da umarmte der König seine liebe Frau und bat sie mit vielen Thränen um Vergebung. Darauf zogen sie alle nach dem Pallaste und dankten Gott für den Sieg des[184] Helias; der falsche Ritter wurde aber mit den Beinen an dem Galgen aufgehängt.

Nachdem dieß geschehen und noch große Feste und Turniere gehalten worden waren, ließ der König Matabrunens Goldschmied zu sich entbieten, um die Wahrheit zu erfahren über die silbernen Ketten. Da brachte der Goldschmied die fünf Ketten und den Becher, und erzählte dem Könige, wie es ihm mit der einen Kette gegangen; und als er damit geendet hatte, sprach der König: »Ihr sprecht als ein getreuer Mann, darum ist euch alles vergeben.« Und der König und die Königin nahmen die Ketten und küßten dieselben und klagten um ihre Kinder, daß sie in Schwäne verwandelt wären. Da kam Markus, dem Matabruna die Augen hatte ausstechen lassen, und Oriant fragte, woher er an die Blindheit gekommen wäre, und Markus sagte dem Könige von den Kindern, wie er sie in den Wald getragen hätte. Als Matabruna dieß alles erfuhr, da gab sie den Knechten, welche sie bewachen mußten, so viel zu trinken, daß sie in Schlaf fielen, und flüchtete alsdann auf ein festes Schloß, wo sie vor allen sicher zu sein gedachte. Die Knechte wurden aber hart gestraft.

Helias hatte erfahren, daß der König die fünf Ketten habe, und er ging zu ihm und bat um die Ketten und schwur, er wolle nicht risten noch rasten, bis er seine Brüder und seine Schwester wiedergefunden habe. Er hatte aber kaum diese Worte gesprochen, als man ihm meldete, daß sechs schöne weiße Schwäne aus dem Walde gekommen seien und sich in den Schloßgraben niedergesetzt hätten. Und Helias rief dem Könige und der Königin, und sie gingen an den Schloßgraben; als die Schwäne Helias sahen, schlugen sie vor Freude mit den Flügeln und er strich sie über ihre Federn. Da zeigte er ihnen die Ketten, und als sie diese sahen, drängten[185] sie sich alle vor ihn, und er hing fünf von den Schwänen jedem eine silberne Kette um den Hals, und zur Stunde wurden sie in menschliche Gestalt verwandelt und liefen zu ihren lieben Eltern, um sie zu küssen und zu herzen. Als der letzte Schwan aber sah, daß keine Kette mehr übrig war, da wurde er sehr betrübt und wollte sich vor Leidwesen alle Federn aus den Flügeln ziehen, und Helias weinte mit ihm und suchte ihn zu trösten und der Schwan beugte wie dankend seinen Kopf. Da war nun große Freude an dem Hofe, und König Oriant ließ all seine Ritter und Herren zusammenkommen und übertrug seinem Sohne Helias das Reich, und ließ ihm auch frei, welche Rache er an Matabruna nehmen wolle. Helias aber bestürmte das Schloß, wohin sie geflüchtet war, und nahm sie gefangen und ließ sie lebendig verbrennen.

Als Helias das Königreich Lillefort schon lange in Ruhe und Frieden regiert hatte, sah er eines Morgens am Fenster heraus und erblickte den Schwan, seinen Bruder, welcher ein Schifflein zog. Helias erkannte, daß dieß ein Zeichen von Gott war, und ließ sich seinen Harnisch und seinen silbernen Schild bringen und nahm Urlaub von seinen Eltern und Freunden und stieg in das Schiff. Darob war der Schwan gar erfreut und schlug mit den Flügeln und zog mit dem Schifflein fort, so daß sie in kurzer Zeit ferne von Lillefort waren.

Zu dieser Zeit hielt Kaiser Otto der Erste von Deutschland eine Reichsversammlung in der Stadt Nymwegen, und der Graf von Ardennen klagte daselbst gegen die Herzogin von Billoen, deren Erbe er unrechtfertig nehmen wollte, und sprach große Falschheit von ihr, wie sie ihren Mann vergiftet hätte und während derselbe drei Jahre über See gewesen, eine uneheliche Tochter geboren, wodurch das Land von Billoen nun an ihn, den Herzog[186] von Ardennen, verfallen sei. Der Kaiser sprach: »Frau, das sind schwere Klagen, und könnet ihr eure Unschuld nicht beweisen, so müsset ihr sterben.« Und der Herzog von Ardennen fuhr fort und sagte: »Herr Kaiser, zum Beweis der Wahrheit werfe ich meinen Handschuh hin und will mit jedem kämpfen, wer das auch sei.« Als der Kaiser das hörte, befahl er der Herzogin, sich einen Ritter zu suchen, der für sie kämpfe, und die gute Frau blickte nach allen Seiten um, aber sie fand niemand.

Da hörte man plötzlich helle Horntöne vom Rheine her klingen, und der Kaiser lief mit allen, die versammelt waren, an ein Fenster und sahen den Schwan mit dem Schifflein, in welchem Helias gewappnet stand, gleichwie einem guten Ritter gebührt. Und der Kaiser erstaunte höchlich, als der Schwan wieder mit dem Schifflein fortzog, nachdem Helias ausgestiegen war, und ließ den Ritter vor sich kommen. Auch die Herzogin hatte das alles gesehen und sie fühlte sich getröstet in ihrem Herzen und sprach zu ihrer Tochter: »Diese Nacht träumte mir, ich dinge gegen den Grafen und ich werde verurtheilt, um verbrannt zu werden. Da kam aber ein Schwan und brachte Wasser, das Feuer zu löschen, und aus dem Wasser sprang ein Fisch, vor dem jeder bebte; darum glaube ich, daß dieser Ritter mich erlösen soll.«

Als Helias vor den Kaiser kam, grüßte er ihn höflich, und der Kaiser that deßgleichen und fragte ihn alsdann, wer er sei und woher er käme, und Helias antwortete: »Ich bin ein armer Ritter und ziehe aus auf Abentheuer, und ich will euch treulich dienen, wenn ihr mein bedürft.« Darauf entgegnete der Kaiser also: »Seid ihr ein Ritter, der Abentheuer sucht, so habt ihr hier eins gefunden und könnet für die Ehre der Herzogin von Billoen streiten, welche schweren Fehles beschuldigt ist.« Da wandte Helias sich um und sah nach der[187] Herzogin, und sie schien ihm eine ehrbare Frau; als er aber ihre schöne Tochter erblickte, da wurde er von Liebe gegen dieselbe entzündet. Und er bat den Kaiser, mit der Herzogin allein sprechen zu können; das bewilligte der Kaiser gerne. Helias fragte sie, ob sie unschuldig oder schuldig sei, und die Herzogin antwortete mit fester Stimme: »Nein, ich bin unschuldig.« Da sprach Helias: »Frau, dann habet ihr einen Kämpfer gefunden, ich will eure Ehre schirmen.«

Da trat Helias, der Schwanritter, wieder vor den Kaiser und sagte: »Herr Kaiser, lasset nun den in die Schranken kommen, der diese Frau beschuldigt, um ihren Tod zu sehen, denn ich bin bereit, gegen ihn zu fechten.« Als er solches gesprochen hatte, kam der Graf und antwortete: »Freund, was wollet ihr? Ihr zeigt euch gar muthig für eine Sache, die euch nichts angeht.« Helias aber erwiederte: »Da liegt mein Handschuh, den ich euch liefere um der Ehre Gottes und dieser edeln Frau und meiner Ehre willen, und ihr sollt heute sehen, was ein Ritter von Abentheuern vermag.« Da nahm der Graf den Handschuh, und der Kaiser fragte, wann sie kämpfen wollten, und Helias begehrte es noch am selben Tage zu thun. Nun wurden die Schranken schnelle bereitet und Helias kam in seinem Panzer und mit dem silbernen Schilde, und der Graf mit nicht minder guten Waffen; der Kaiser mit seinen Herren und die Herzogin mit ihrer Tochter und eine zahllose Menge Volkes schauten zu. Die beiden edeln Frauen baten in ihrem Herzen zu Gott, daß er ihres Kämpen Waffen segnen wolle, und sie hatten groß Vertrauen, weil ihre Sache gerecht war.

So ritten die beiden Ritter gegen einander, daß ihre Lanzen brachen; da kämpften sie mit ihren guten Schwerten und Helias schlug also zu, daß der Graf sich nicht mehr seiner zu erwehren wußte und rief: »O, edler[188] Schwanritter, machet Friede mit mir, auf daß ich zu meinem Vorhaben komme, und ich gebe euch meine Tochter und das fruchtbare Land von Ardennen.« Solche Rede entrüstete Helias und er sprach: »Meinet ihr, ich sollte euch in eurem Verrathe nachfolgen? Lieber ließ ich mir Glied für Glied abschneiden; darum sprechet nicht mehr davon, denn ich schwöre euch, daß ich euch keine Gnade gebe, und euch zum Trotze der Herzogin Tochter eheliche.« Darob erzürnte der Graf und schlug Helias also auf den Arm, daß ihm das Schwert entfiel, aber Helias sprang schnell vom Pferde und faßte den Graf und brach ihm den Schild vom Halse und entriß ihm sein Schwert. Nun flehte der Graf um Gnade, aber Helias hörte nicht darauf, sondern nahm sein Schwert und schlug ihm den Hals ab.

Als Helias nun seinen Gegner überwunden hatte, trat er vor den Kaiser, der ihn herrlich empfing, und die Herzogin kam mit ihrer Tochter zu ihm und dankte und sprach: »Herr, ihr habt mir mein Land zurückgegeben, ich schenke es euch hinwiederum und meine Tochter dazu.« Deß war Helias sehr zufrieden, und am andern Tage ward die Hochzeit mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert. Als die Feste vierzehn Tage gedauert hatten, nahm der neue Herzog Urlaub von dem Kaiser und leistete ihm den Lehenseid und verzog mit seiner Frau nach Billoen, wo er bald ankam und mit großer Freude empfangen wurde, nachdem er sich unterwegs noch gegen die Freunde und Magen des Grafen ritterlich vertheidigt hatte. Kurz nachher wurde seine Frau schwanger, und als ihre Zeit kam, gebar sie eine Tochter, die er Ida hieß, und die wuchs auf in großer Tugend und wurde später Mutter des edeln Prinzen Gottfried und desselben Brüder Balduin und Eustachius.

Eines Tages ritt die Herzogin mit ihrem Manne[189] zum Spiele und sie fragte ihn, aus welchem Lande er wäre und welche Freunde und Magen er hätte. Er wollte ihr aber nicht antworten und gebot ihr, solche Frage nicht zu wiederholen, anders müsse er sich von ihr trennen. Da sprach sie nicht mehr, und beide lebten in großer Eintracht sechs Jahre lang.

Da begann die Herzogin langsam des Gebotes zu vergessen, und als sie eines Tages mit Helias allein war, sprach sie zu ihm: »Herr, ich möchte doch gerne wissen, welcher Abkunft ihr seid.« Helias betrübte sich sehr ob der Frage und rief in wehem Muthe: »Ich habe euch gesagt, daß ihr dieses nimmermehr erfahren würdet und nicht darum fragen solltet; nun muß ich euch verlassen, und morgen schon gehe ich nach Nymwegen und nehme Urlaub vom Kaiser.« Da weinte die Herzogin helle Thränen und sie rief ihre Tochter, damit diese mit ihr den Vater bitte, zu bleiben. Aber Helias sprach, das könne nicht sein, und versammelte seine Herren und befahl diesen die beiden Frauen, die Herzogin und ihre Tochter, nebst dem ganzen Lande von Billoen. Noch sprach er, als der Schwan schon kam und ein großes Geräusch machte, als ob er Helias riefe. Dieser nahm nochmals herzlichen Abschied von allen und stieg, von den Thränen der ganzen Einwohnerschaft gefolgt, in das Schifflein, welches der Schwan alsbald fortzog.

Die Herzogin und ihre Tochter eilten dem Schwanritter aber vor und kamen eher nach Nymwegen, als er. Dort erzählten sie dem Kaiser alles und baten ihn um Fürsprache und Beistand. Als sie noch sprachen, tönte Helias Horn vom Rheine her und bald darauf erschien er selbst in dem Saale des Kaisers. Wie sehr aber dieser auch bat, daß er doch bei der Herzogin bleiben und seine schöne Tochter nicht verlassen wolle, alles war vergebens. Helias bat nur um Schutz und Schirm für die beiden[190] Frauen und stieg, nachdem der Kaiser ihm solchen versichert, wieder in sein Schiff. Der Schwan schlug fröhlich mit den Flügeln, als er ihn sah, und bald waren beide in Lillefort.

König Oriant saß gerade mit der Königin und den fünf Kindern an der Tafel, als das Schifflein anlangte. Auf die frohen Horntöne, die Helias erschallen ließ, sprangen alle an die Fenster des Pallastes und, als sie die beiden Brüder schauten, hinunter, um dieselben zu empfangen und zu umarmen und zu küssen. Die Mutter fragte aber alsbald: »Wo bist du so lange gewesen, mein Sohn?« und Helias erwiederte: »Mutter, das will ich euch zu einer andern Zeit sagen.« Da fragte sie weiter: »Wo ist denn der Schwan, mein Sohn?« und Helias antwortete: »Er ist im Wasser geblieben.« Da sprach die Mutter: »Mir träumte diese Nacht, der Schwan käme wieder zu seiner menschlichen Gestalt, wenn man ihm die beiden Becher wiese.« Solches dünkte allen wohl, und als sie dem Schwane die Becher zeigten, welche der Goldschmied aus seiner Kette gemacht hatte, da verwandelte er sich zur Stunde wieder in einen Mann, und er wurde Esmeri genannt, und es war große Freude darob am ganzen Hofe.

Einige Zeit nachher versammelte Helias all seine Freunde und Magen und erzählte ihnen seine Abentheuer, und als er damit geendet hatte, sprach er: »Nun nehme ich Urlaub von euch allen, denn ich verlasse die Welt, um für meine Sünden zu büßen und für euch alle zu beten.« Darob weinte der ganze Hof; keiner wagte jedoch, ein Wort dagegen zu sprechen. Helias ging aber, einen Stock in der Hand, in eine Einsiedelei, welche sein Vater gestiftet hatte, und wurde daselbst von den Mönchen mit vieler Freude empfangen. Darnach ließ er ein schönes und großes Schloß in den Ardennen bauen,[191] welches dem von Billoen ganz gleich war, und er gab ihm auch denselben Namen. Dem Kloster schenkte er große Freiheiten und setzte dreißig Mönche ein, welche Tag und Nacht beten mußten, und lebte selbst allen Regeln des Klosters gemäß.

Die Herzogin von Billoen und ihre Tochter lebten aber noch immer in tiefem Leid und Betrübniß um Helias, denn alle Boten, welche sie ausgesandt hatten, um Nachrichten von ihm zu haben, waren zurückgekehrt und keiner hatte ihn gefunden. Da sandte die Herzogin endlich einen ihrer Diener, der Pucius hieß, nach Jerusalem, ob er Helias dort vielleicht fände. Pucius machte sich auf die Reise, aber in Jerusalem fand er keine Spur von Helias; er ging also von dort wieder weg, um nach Rom zu wandern. Auf diesem Zuge jedoch verirrte er sich mit einem Reisegefährten und kam in die Ardennen und zu dem Schlosse, welches Helias hatte bauen lassen. Da sprach Pucius: »Siehe, hier sind wir in meinem Lande, denn dieß Schloß sieht mir gerade so aus, wie das von Billoen.« Sie gingen zu einer Herberge in dem Dorfe, welches bei dem Schlosse lag, und fragten dort, wo sie wären, und sie erfuhren alles und auch, daß König Oriant und Beatrix ihre Burg zu Lillefort verlassen und Billoen bezogen hätten, um in der Nähe ihres lieben Sohnes Helias zu sein. Als Pucius solches vernahm, war er frohen Muthes und dankte Gott.

Am andern Morgen ging er in das Schloß Billoen, und da kamen ihm der König und die Königin mit ihren Kindern entgegen, und Esmeri erkannte seine Kleider und fragte, woher er käme. Pucius antwortete, er suche den Schwanritter, dessen Frau ihn ausgesandt habe. Darob war Esmeri erfreut und kündete solches dem Könige und der Königin, und Pucius mußte ihnen erzählen von der Herzogin, und er sagte ihnen auch, wie[192] deren Tochter Ida den Grafen von Bonen geheirathet habe. Nun wurde Pucius in das Schloß geführt und daselbst herrlich bewirthet. Am andern Tage führte Esmeri ihn zu Helias, den sie auf den Knieen im Gebete fanden. Als der Schwanritter Pucius erkannte, fiel er ihm um den Hals und küßte ihn und fragte, wie es um die Herzogin stehe und seine Tochter. Pucius erzählte ihm alles und empfing von Helias den Verlobungsring, den er der Herzogin bringen sollte zu einem Kennzeichen, und daneben große Gaben und Geschenke für die schöne Ida.

Pucius machte sich alsbald auf den Weg, nachdem er noch zuvor sich von König Oriant und Beatrix beurlaubt und von diesen gleichfalls köstliche Geschenke für seine Herrin empfangen hatte, und kam wenige Zeit nachher in Billoen an, als die Herzogin mit ihrer Tochter und deren Gemahl gerade an der Tafel saßen. Er bot der ersten den Ring und dann auch die Gaben und erzählte ihr sein ganzes Abentheuer. Darob war die Herzogin hoch erfreut und machte sich mit ihrer Tochter alsogleich auf die Reise; der Graf von Bonen aber blieb zu Hause mit seinen drei Söhnen Gottfried, Balduin und Eustachius.

Als die beiden Frauen an dem Schlosse Billoen ankamen, hörten sie, daß Helias krank zu Bette liege, und sie waren sehr betrübt darob. Helias aber ließ sie an sein Bette kommen, und sie weinten alle drei vor Freude, einander so unverhofft wiederzusehen. Wenige Tage hernach wurde Helias kränker und kränker, und am Ende verschlimmerte es sich also, daß er starb. Das that der Herzogin so weh, daß sie vor Leid auch krank wurde und bald ihrem Manne folgte. Ida wollte aber nicht länger da bleiben, wo sie so schwere Verluste erlitten hatte, und ging zu ihrem Manne zurück und kündete[193] diesem alles, und das ganze Volk war in großer Trauer während langer Zeit.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 173-194.
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