[247] 154. Sankt Paul zu Gammerage.

[247] Mündlich.

Schayes, Essai historique sur les moeurs, les usages et les tadit. des anciens Belges.


Nach der Plünderung der Stadt Geeraerdsbergen im Jahre 1382 blieben die Todten in solcher Menge auf dem Felde liegen und faulen, daß viele pestartige Krankheiten unter Menschen und Thieren entstanden. Besonders wüthete eine schreckliche Seuche unter den Schafen und anderem Hornvieh, welches auf den umliegenden Wiesen weidete.

Da erschien in Mitten all des Unglückes am Tage der Bekehrung Pauli ein Mann in dem Orte, dessen Haltung höchst würdig war, den aber niemand kannte. Er trug ein weißes Ueberkleid und ritt ein flinkes Roß. Durch das Dorf und dessen Umgebung reitend, vertheilte er an die Hirten und Viehhüter kleine weiße Küchelchen, um sie dem Viehe zu geben. Die Leute thaten das, und die Seuche verschwand.

Allgemeine Freude erfüllte die Gegend, aber keiner wußte, wem man die Rettung zu danken hatte. Endlich trat ein alter, frommer Hirte auf und sprach, daß der Unbekannte der Patron des Dorfes, Sankt Paul, gewesen sei. »Und«, fuhr er fort, »Billigkeit und Recht fordert von uns, daß wir dieser Gnade nicht vergessen, sondern ihrer ewig gedenken. Auch ist es mir gegeben, die Küchelchen zu machen, und ich werde sie dem überantworten, welcher nächstens den heiligen Paul vorstellen wird. Dieser mag es seinem Nachfolger mittheilen, und die Seuche wird uns nicht mehr schaden.«

So entstand ein jährliches Fest in Gammerage, und dieses wurde bis 1794 auf folgende Weise gefeiert.[248]

Am Tage der Bekehrung des heiligen Paulus ritt ein Mann, bekleidet mit einem weißen Gewande, durch die ganze Gegend und warf dem Volke kleine Küchelchen zu, indem er bei jedem sprach: »Salz, ich werfe dich mit der Hand, die Gott mir gegeben hat.« Die Landleute sammelten diese Küchelchen aufs sorgfältigste und gaben sie dem Viehe. Einige Tage vor dem Feste wurde von dem ganzen Dorfe in Gegenwart des Pfarrers das Recht neu befestigt, den heiligen Paul vorstellen zu dürfen. Derjenige, welchem dieß zu Theil fiel, der nämlich rund ritt, hatte nie Viehkrankheiten zu fürchten.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 247-249.
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