[267] 171. Unsere liebe Frau von Lebbeke.

Mündlich.

Prudenz van Duyse, Souvenirs de Lebbeke. Feuilleton der Emancipation.

Onse lieve Vrouwe van Lebbeke by Dendermonde. 11 Druk. Gent o.J.


Im Jahre 740 zu Zeiten des heidnischen Fürsten Magriptius kam Sankt Hilduard, Bischof von Thoul, nach Dendermonde, und warf dort die Götzenbilder nieder und baute, nachdem er den genannten Fürsten zum christlichen Glauben bekehrt hatte, die erste Kirche daselbst zur Ehre der Mutter Gottes. Lebbeke, welches eine halbe[267] Stunde von Dendermonde entfernt liegt, hatte damals noch keine Kirche, und die Einwohner mußten nach Dendermonde zum Gottesdienste kommen. Da dieß aber manchen alten und kranken Leuten schwer fiel, so erbaten sich die Lebbeker um 1108 die Erlaubniß von dem Bischofe von Cameryk, eine Kirche in ihrem Dorfe bauen und Marien weihen zu dürfen. Das wurde ihnen gewährt. Die zwölf vornehmsten Geschlechter von Lebbeke konnten sich jedoch nicht über die Stelle einigen, wo sie die Kirche hinsetzen sollten, denn jedes wollte sie zunächst seinem Hause haben. Doch kamen sie endlich überein, dieselbe an dem Heerwege zu bauen, und zwar an dem Orte, wo die Straße von Dendermonde nach Brüssel und von Aelst, Artois und Hennegau nach Antwerpen zusammenstoßen.

Der Acker, auf dem man die Kirche errichten wollte, gehörte einer Witwe und war von dieser just am selben Tage mit Flachs besäet worden. Darum bat die Frau, man möge mit dem Baue warten, bis der Flachs gereift sei, dann wolle sie den Acker gerne abstehen; und deß mußten die zwölf Geschlechter zufrieden sein, obwohl sie gar unzufrieden waren, so lange noch warten zu müssen. Die Mutter Gottes sah diesen frommen Eifer mit Wohlgefallen an und erschien in der folgenden Nacht der Witwe und sprach zu ihr: »Frauchen, stehe auf und gehe auf deinen Acker und ernte deinen Flachs, denn er ist reif.« Solches wiederholte Maria dreimal, und nach dem dritten Male stand die Witwe aus ihrem Bette auf und ging auf den Acker, wo sie den Flachs in der That ganz reif fand. Voller Freude lief sie zurück zu all ihren Nachbarn, und man zog den Flachs unter Dankgebet aus. Bis zum Jahre 1615 hat man noch einen Theil desselben in der Kirche von Lebbeke bewahrt; dann ist er durch die Unruhen und Kriege genommen[268] worden und verschwunden. Bis zum heutigen Tage aber kommen die Leute von weit und breit noch nach Lebbeke und opfern der Mutter Gottes dort ein Bündelchen Flachs und flehen sie an um Segen für ihre Felder.

So hatten die zwölf Geschlechter nun eine Stelle für ihre Kirche, aber es fehlte ihnen an Steinen zum Baue derselben. Da sprach ein Mann aus der Gemeinde: »Ich gebe euch meinen Acker und ihr möget darauf graben, und findet ihr Steine, so nehmet sie, so viel ihr deren wollt.« Alsbald gingen Werkleute zu dem Acker und gruben, und sie fanden Ueberfluß an Steinen. So war bald alles eingerichtet zum Beginne des Baues; da fand man eines Morgens einen seidenen Faden an der Baustelle, den hatte Maria in der Nacht gespannt, um anzuzeigen, wie lang und wie breit die Kirche werden solle. Zum Andenken an dieß Wunder trägt unsere liebe Frau von Lebbeke noch immer einen Seidenfaden an ihrem Scepter.

Schon waren die Fundamente gelegt und bereits ein gutes Stück Mauer über der Erde vollendet, als der böse Feind sich ins Mittel legte, um den Fortgang des Baues zu hemmen. Er flüsterte nämlich dem Manne, welchem der Acker gehörte, wo man die Steine grub, ins Ohr, er solle nicht all die Steine umsonst geben, sondern dieselben an die zwölf Geschlechter verkaufen und daraus schönes Geld ziehen und sich einen guten alten Tag verschaffen. Leider fand Satan nur ein allzu williges Ohr; der Mann widerrief das geleistete Versprechen, die Steine umsonst zu geben, und der Bau stockte mit einem Male. Um die Geschlechter recht zu höhnen, kam der Teufel selbst und brachte ihnen den letzten Stein, welchen sie noch umsonst bekamen.

Das wollte Gott aber nicht ungestraft lassen. Als der Mann noch nach Steinen graben ließ, fand er nicht[269] einen mehr. Da ging er in sich und übergab den Acker von neuem an die Geschlechter, und der alte Ueberfluß an Steinen trat wieder ein, und der Bau schritt rasch fort und war bald beendet.

Diese Geschichte hat ein Pfarrer von Lebbeke um 1656 aus alten Büchern und Urkunden, so wie nicht minder aus dem Munde des Volkes aufgezeichnet. Außerdem ist sie abgebildet auf siebzehn Bildern, welche die Kirche zieren; ein altes Gemälde in derselben zeigt sie gleichfalls. Auch führte die Rederykerskammer des Dorfes sie vor Zeiten alle Jahre zur Erbauung der Gläubigen in einem frommen Spiele auf.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 267-270.
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