61. Lohengrin und Elsa. – Lohengrin und Belaye.

[83] Nach altdeutschen Gedichten.


Vor vielen hundert Jahren lebte ein Herzog von Brabant und Limburg, der eine schöne Tochter hatte, welche Elsa hieß. Als dieser Herzog auf dem Todbette lag, befahl er Elsa an einen seiner Lehnsmänner, dessen Name Friedrich von Telramonde war und den man überall als einen wackern Helden kannte und ehrte, und vorzüglich deßwegen schätzte, weil er zu Stockholm in Schweden einen grimmen Drachen besiegt und dadurch schon allein sich einen herrlichen Namen erworben hatte. Friedrich[83] wurde aber bald stolz und übermüthig und wollte Elsa zu einer ehelichen Gemahlin haben, und log selbst, daß sie ihm ihr Wort gegeben hätte, ihm treu zu sein und zu bleiben. Doch Elsa strafte ihn Lügen und gab seinen Bewerbungen kein Gehör. Da erzürnte Friedrich heftig und wollte nun um so mehr sie zwingen, ihm ihre Hand zu geben, und klagte bei dem Kaiser Heinrich, genannt der Finkler oder der Vogelfänger, und erlangte von diesem den Beschluß, daß Elsa einen Kämpfer zu stellen habe, der in ehrlichem Kampfe es mit Friedrich aufnehme, damit also Gottes Stimme für sie oder für Friedrich entscheiden könne. Elsa aber wollte keinen Kämpfer sich suchen und wandte sich nur in heißem Gebete an Gott den Herrn, von dem sie allein Hülfe und Beistand erwartete.

Da läuteten eines Tages zu Montsalva bei dem Grale die Glocken, welches stets ein Zeichen war, daß irgend jemand schneller Hülfe bedürfe, und Lohengrin, der Sohn Parcivals, wurde zum Retter erkoren für den Bedrängten. Als das Pferd aber schon für den Ritter bereit stand und dieser den Fuß eben in den Bügel setzen wollte, da siehe, erschien ein Schwan auf dem Wasser, welcher ein Schifflein hinter sich herzog. Lohengrin sah dieß als ein Zeichen des Himmels an und befahl darum, sein Pferd wieder zu Stalle zu führen, indem er dem Schwane in dem Schifflein folgen wolle. Und also that er auch und befahl sich Gott dem Herrn, und nahm, in festem Vertrauen auf ihn, selbst keine Speise mit. Nachdem der Schwan ihn fünf Tage weit fortgefahren, da stach er seinen Schnabel in das Wasser und zog ein Fischlein hervor und theilte dieß mit Lohengrin, und also fuhren sie weiter. Aber jetzt müssen wir zu Elsa, der Tochter des Herzogs von Brabant und Limburg, zurückkehren.[84]

Elsa hatte unterdessen ihre Lehensleute zusammengerufen, denn ein Tag ging nach dem andern hin, ohne daß ihr ein Zeichen von Hülfe geworden wäre. Als diese aber alle versammelt waren, da kam der Schwan mit dem Schifflein die Schelde herauf geschwommen, und Lohengrin lag in dem Schifflein und schlief auf seinem Schilde. Als der Schwan auf das Ufer zu schwamm, erwachte Lohengrin, sprang am Lande aus dem Nachen und ward von Elsa mit vieler Freude und Jubel empfangen. Darauf trug man seinen Helm und seinen Schild und sein Schwert gleichfalls aus dem Schiffchen, und als dieß geschehen war, verschwand der Schwan und schwamm den Weg zurück, den er mit Lohengrin gekommen.

Als die ersten Freudebezeugungen vorüber waren, fragte Lohengrin die Herzogin, welches Leid ihr widerfahren sei, und erfuhr von ihr, wie Friedrich ihr nachstelle und sie fälschlich beim Kaiser angeklagt habe, und wie nun das Ganze durch ein Gottesgericht entschieden werden solle. Da sprach Lohengrin, daß er für sie streiten wolle, und Elsa ließ alsbald all ihre Verwandten und ihre Untersassen zusammenrufen, und sie kamen alle nach Saarbrücken und vereinigten sich dort und zogen von da nach Mainz. Der Kaiser, welcher zu Frankfurt am Main Hof hielt, kam auch dahin, und es wurde der Tag zum Kampfe bestimmt und die Schranken errichtet. Nachdem beide Kämpfer die Gerechtigkeit ihrer Sache betheuert hatten, begann der Streit, aber Lohengrin, den der Gral gesandt, behielt den Sieg und Friedrich von Telramonde fiel und gestand, daß er die Herzogin Elsa fälschlich angeklagt habe, und zur Strafe dafür wurde er, wie das Sitte und Gebrauch war, mit dem Beile vom Leben zum Tode gebracht. Zum Danke bekam Lohengrin die Hand der schönen Elsa von Brabant, und ihre Heirath[85] wurde prächtig gefeiert. Zugleich aber bat Lohengrin seine Gemahlin, daß sie nimmer wagen solle, ihn zu fragen, woher er stamme und wie er heiße, indem er sonst nicht länger bei ihr bleiben dürfe.

Lange Zeit lebte Lohengrin und Elsa in Frieden und Glück, und er war ein weiser und gerechter Fürst in dem Lande Brabant und Limburg. Einmal aber geschah es, daß er auf einem Turniere den Herzog von Cleve gefährlich am Arme verwundete. Darob erzürnte die Herzogin von Cleve und beneidete Elsa und sprach zu ihr: »Mag immer euer Lohengrin ein mächtiger Held sein und auch vielleicht ein Christ, weiß man doch nicht, woher er stammt und wer er ist, da er also abentheuerlich zu euch ans Land geschwommen kam.«

Diese Worte wurmten die schöne Elsa tief, und als sie Nachts mit ihrem Gemahl zu Bette lag und er sie in seinen Armen hielt, weinte sie gar bitterlich. Das bemerkte Lohengrin und sprach zu ihr: »Meine liebe Frau, warum weinet ihr?« Darauf antwortete Elsa und sprach: »Die Herzogin von Cleve hat mir bitter Leid angethan.« Und da schwieg Lohengrin und fragte nichts weiter. Die zweite Nacht sprach sie solches abermals, aber Lohengrin schwieg wieder und fragte nichts weiter. In der dritten Nacht aber war es der schönen Elsa nicht mehr möglich, noch dem Gebote ihres Mannes nachzukommen, und sie redete also zu ihm: »Mein lieber Herr und Gemahl, ich bitte euch, mir zu sagen, von wannen ihr geboren seid und von woher ihr stammt, denn mein Herz sagt mir, daß ihr von sehr edelm Stamme sein müsset.«

Mit Anbruch des Tages aber erhob sich Lohengrin und entdeckte ihr, von wannen er geboren sei und von woher er stamme und daß Parcival sein Vater sei, und daß Gott der Herr ihn von dem Grale zu ihr gesendet[86] habe, und daß er auch nun nicht mehr bei ihr bleiben dürfe. Dann ließ er seine beiden Kinder zu sich kommen und küßte sie herzlich und gab ihnen sein Horn und sein Schwert, und befahl ihnen, daß sie einen guten Gebrauch davon machen sollten, und der schönen Elsa gab er den Ring, den er einst von seiner Mutter bekommen hatte. Nachdem er das gethan, kam der Schwan mit dem Schifflein wieder, und Lohengrin stieg ein und fuhr weg, die Schelde herab. Elsa aber war ohnmächtig niedergesunken, und als sie sich wieder erholte, weinte sie und war betrübt über den Verlust ihres lieben Gemahles ihr ganzes Leben lang.

Lohengrin aber kam in das Land Lyzaboria, wo er die schöne Belaye heirathete. Diese liebte ihn über die Maßen und hütete sich darum wohl, ihn nach seiner Abkunft zu fragen, und sie war stets traurig, wenn er nicht bei ihr war, denn sie fürchtete seine Unbeständigkeit. Lohengrin aber mochte nicht immer zu Hause sitzen und zog darum oftmals nach der Jagd. Dann sprach aber die schöne Belaye kein Wort und saß da, als wenn das Leben aus ihr geflohen und ein böser Zauber ihr was angethan hätte.

Da gab eine ihrer Frauen ihr den Rath, daß sie, um Lohengrin mehr an sich zu fesseln, ihm ein Stück Fleisch aus der Seite schneiden und dasselbe essen solle. Belaye aber erzürnte darob und sagte, eher wolle sie sich begraben lassen, als ihrem Gemahl auch nur einen Finger quetschen, und sie entzog der Kammerfrau ihre Neigung und all ihr Zutrauen. Darauf ging dieses falsche Weib und log ihre schändlichen Lügen den Freunden der schönen Belaye vor, welche alsbald beschlossen, Lohengrin das Fleisch von seinen Gliedern zu schneiden damit Belaye genesen möchte. Als der Held nun einmal wieder von der Jagd kam und ermüdet eingeschlafen war,[87] wollten sie ihr böses Werk beginnen. Aber Lohengrin hatte zur selben Zeit einen Traum, worin er Tausende von Schwertern sah, welche auf ihn gerichtet waren, er sprang darum erschreckt aus dem Schlafe auf und schaute die argen Menschen mit so grimmen Augen an, daß sie alle zitterten und bebten, und dann hob er seine Hand und schlug auf sie und tödtete mehr denn hundert. Doch da bekamen sie Muth und halfen einander und brachten Lohengrin eine unheilbare Wunde bei an dem linken Arme. Als sie dieß aber sahen, wurden sie von also herrlicher Tapferkeit, wie der Held gezeigt, in ihrem Herzen überwunden und sie fielen ihm alle zu Füßen.

Als Belaye dieß vernahm, starb sie vor Schrecken und Leidwesen, und ward mit Lohengrin einbalsamirt und in Einen Sarg gelegt und mit vieler Feierlichkeit begraben. Später hat man ein Kloster über diesem Grabe gebaut, und noch zeigt man daselbst die Körper der Beiden den Pilgern. Und das ist geschehen fünfhundert Jahre nach der Geburt unsers lieben Herrn, und seitdem nannte man das Land Lyzaboria nach Lohengrin Lothringen.

Quelle:
Wolf, Johann Wilhelm: Niederländische Sagen. Leipzig: Brockhaus, 1843, S. 83-88.
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